Frankfurt in der Europa League:Die Fans trösten den Fehlschützen

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Verschossen: Martin Hinteregger nach dem Elfmeterschießen. (Foto: dpa)
  • Eintracht Frankfurt verpasst im Elfmeterschießen beim FC Chelsea das Finale der Europa League.
  • "Wir haben nichts in der Hand, aber es war eine sensationelle internationale Saison. Ich bin stolz", sagt Eintracht-Trainer Adi Hütter.
  • Nun sind die Frankfurter in der Bundesliga gefordert, wo es um den erneuten Einzug in den Europapokal geht.

Von Tobias Schächter, London

Und dann tönte sofort "One step beyond" aus den Lautsprechern, der legendäre Song von Prince Buster in der Version von Madness. Die englischen Fans im Stadion an der Stamford Bridge tanzten, als wären sie alle Ska-Fans. "Don`t watch that, watch this. This is a heavy heavy Monstersound", heißt es zu Beginn des Kultlieds, das Donnerstagnacht, tief im Westen von London, den Abschluss einer irren Europapokalwoche orchestrierte.

Eden Hazard hatte gerade den entscheidenden Elfmeter für den FC Chelsea verwandelt. Es war das 4:3 im Elfmeterschießen für die Gastgeber gegen Eintracht Frankfurt, nach regulärer Spielzeit und Verlängerung hatte es 1:1 (1:1, 1:0) gestanden - so wie nach dem Hinspiel. Der letzte Schuss des Abends von Hazard sorgte für ein Londoner Stadtderby im Finale der Europa-League am 29. Mai in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan. Im anderen Semifinale setzte sich der FC Arsenal gegen den FC Valencia durch - in beiden Europapokal-Endspielen stehen damit nur Teams aus England (in der Champions League trifft Liverpool auf Tottenham).

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Am Donnerstag rang die Haltung der Mannschaft und der Fans von Eintracht Frankfurt nach dem Platzen ihres Traumes vom Finale auch den Anhängern des FC Chelsea Applaus und Anerkennung ab. Zunächst sanken die Spieler nach Hazards Siegtreffer auf den Boden. Doch die Eintracht-Fans, die die Profis mit ihrem Enthusiasmus durch diese denkwürdige Europa-Tour getragen hatten, richteten die Profis wieder auf. Sie klatschten nach dem K.o. minutenlang in wildem Rhythmus, bis sich Spieler und Offizielle vor der Kurve aufgestellt hatten. Und dann sangen alle Frankfurter, es waren bestimmt doppelt so viele im Stadion wie die zugelassenen 2000, ihre Hymne, die mit der Zeile beginnt: "Im Herzen von Europa liegt mein Frankfurt am Main."

"Hinteregger, Hinteregger, hey, hey"

Es war ein rührender Moment nach einer bitteren Niederlage in einem Spiel, das als eines der größten in der Geschichte der Eintracht eingehen wird. "Wir haben nichts in der Hand, aber es war eine sensationelle internationale Saison. Ich bin stolz", sagte Eintracht-Trainer Adi Hütter. Sechs Siege in der Vorrunde - gegen Limassol, Lazio Rom und Olympique Marseille - hatte zuvor noch keine deutsche Mannschaft geschafft. In der K.o.-Phase spielten die Frankfurter in Schachtar Donezk, Inter Mailand und Benfica Lissabon drei Champions-League-Absteiger aus dem Wettbewerb. Und am Donnerstag, so fasste Adi Hütter das Geschehen gegen Chelsea zusammen, habe seine Auswahl den "Topfavoriten fast blamiert". Aber eben nur fast.

Chelsea dominierte die erste Halbzeit und ging durch einen Treffer von Ruben Loftus-Cheek in Führung (28.). Doch der Ausgleichstreffer (49.) durch Luka Jovics zehntes Europapokaltor gab den Frankfurtern Mut und Selbstvertrauen. In der Verlängerung rettete zunächst David Luiz (100.) und dann Davide Zappacosta (105.) jeweils nach Abschlüssen des eingewechselten Sebastien Haller auf der Linie das 1:1 für den FC Chelsea. Und im Elfmeterschießen hielt Chelseas Torwart Kepa Arrizabalaga zwei Mal - einmal mehr als Kevin Trapp, der den Schuss von Cesar Azpilicueta parierte. Für die Eintracht scheiterten Martin Hinteregger und Gonçalo Paciência, die beiden letzten Schützen.

Nach Hintereggers flachem Schuss blieb der Ball irgendwie zwischen den Füßen des spanischen Torstehers hängen - und trudelte nicht über die Linie, obwohl es für einen klitzekleinen Moment so wirkte. Kepa stand zwei lange Sekunden wie festgemauert tief gebeugt über dem Ball. Die Eintracht-Fans trösteten nach dem Abpfiff den Fehlschützen: "Hinteregger, Hinteregger, hey, hey", tönte es dem Österreicher entgegen. Vor dem Elfmeterschießen spielte die Stadionregie übrigens "Heroes" von David Bowie. Der Held des Abends war dann der belgische Nationalspieler Eden Hazard. Und nicht nur wegen Paciências und Hintereggers Fehlschüssen meinte Eintracht-Trainer Hütter: "Heute sind wir alle Pechvögel." Er bezog sich auch besonders auf Mittelfeldspieler Sebastian Rode, der sich nach Angaben von Sportvorstand Fredi Bobic "schwerer am Knie verletzt" hat, ausgewechselt werden musste und die Ehrenrunde nur auf Krücken absolvieren konnte.

Für den ersten Finaleinzug nach 39 Jahren hat es also nicht gereicht, 1980 hatten die Hessen den Wettbewerb gewonnen, der damals noch Uefa Cup hieß. Doch die Eintracht gewann nicht nur rund 35 Millionen Euro durch ihre Erfolge, sie hat sich auch wieder ins Bewusstsein des europäischen Fußballs gespielt und gefeiert. "Ohne die Fans wären wir nicht so weit gekommen", lobte Routinier Makoto Hasebe. Wie kein anderer Klub nahm die Eintracht die von vielen Klubs marginalisierte Europa League als Chance und nicht als Last an, Fans und Mannschaft trieben sich zu immer neuen Abenteuern an. Auch in London war das so. "Wer das erlebt hat, auch mit den Fans, der verdient, nächstes Jahr wieder international zu spielen", sagte Trainer Hütter beschwörend.

So stolz die Frankfurter auf das bisher Geleistete sein können - die Saison "kann natürlich noch bitter enden", stellte Torwart Trapp ernst fest. Zuletzt zahlten die Profis in der Liga ihren Kraftakten in Europa Tribut, nur zwei Punkte aus den letzten vier Spielen und die letzte 1:6-Pleite in Leverkusen dokumentieren dies. Besonders in den Heimspielen gegen Augsburg (1:3) und Berlin (0:0) habe die Elf keine Power gehabt, konstatierte Trapp.

Dennoch steht die Eintracht zwei Spiele vor Rundenende noch auf Champions-League-Rang vier. Doch verlöre die Eintracht am Sonntag zuhause gegen Mainz und zum Abschluss beim FC Bayern, könnte sie sogar einen Europapokalplatz verpassen. Ein Sieg gegen Mainz ist also Pflicht. Man müsse der DFL extrem danken, dass sie die Partie gegen den Rhein-Main-Rivalen auf Sonntag verlegt habe, sagte Trapp. Normalerweise finden alle Partien der beiden letzten Spieltage parallel statt. Nun bekam die Eintracht den einen Tag länger Erholung. Aber genügt das, um nach dem Saisonhöhepunkt, der mit Tränen und Frust endete, noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren?

In Europa haben die Frankfurter in dieser Saison nur gewonnen, auch am Donnerstag in London, trotz der Niederlage. Am Sonntag aber hat diese Mannschaft viel zu verlieren, und die ausgeruhten Mainzer würden allzugerne den Spielverderber für den Nachbarn spielen. Der Druck ist spürbar. Auch deshalb sagte Sportvorstand Bobic Donnerstagnacht im Regen von London zum Abschied aus Europa: "Heute gehen wir enttäuscht, ins Bett - aber mit breiter Brust. Egal, was rauskommt, das ist eine überragende Saison."

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