Eintracht in der Europa League:Frankfurt ist ein Vorbild für Traditionsklubs

Aus dem Europapokal-Triumph von Eintracht Frankfurt ergibt sich ein Auftrag an die ganze Bundesliga - vor allem an die großen und etablierten Vereine.

Kommentar von Christof Kneer

Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, ein seriöses Meinungsforschungsinstitut mit der wichtigsten Frage der Republik zu beauftragen? Warum hat noch kein Medienunternehmen seine Reporter zur Straßenumfrage rausgeschickt? Es wäre ein lohnendes Projekt, gerade jetzt, nach dem spektakulären Europacup-Sieg von Eintracht Frankfurt: mal rauszufinden, welche 18 Klubs in der ersten Fußball-Bundesliga spielen würden, wenn die Leute sich diese Liga selbst zusammenstellen dürften.

Führende Demoskopen werden vorab schon mal anmerken, dass die Ergebnisse je nach Herkunft und Alter variieren dürften; wer aus dem Großraum Hannover kommt, wird eher dem örtlichen Fußballklub eine Erstliga-Berechtigung ausstellen als jemand vom Niederrhein, der Fortuna Düsseldorf bevorzugt. Und wer die Bundesliga noch aus Zeiten kennt, in denen die Sportschau nur drei Spiele zeigte, würde eher dem 1.FC Kaiserslautern den Zuschlag erteilen als Mainz 05.

Ohne den fleißigen Demoskopen vorzugreifen, ließe sich ein Teil des Ergebnisses womöglich schon vorhersagen: Die Leute würden sich nicht nur auf den FC Bayern einigen können, sondern gewiss auch auf die großen Traditionsbetriebe aus Dortmund, Schalke, Hamburg, Bremen, Köln, Frankfurt, Mönchengladbach und Stuttgart. Auch das Alleinstellungsmerkmal von Bayer Leverkusen - der Traditionsklub unter den Kommerzklubs - dürfte mit einem sicheren Startplatz belohnt werden, ebenso der SC Freiburg, dessen Alleinstellungsmerkmal darin besteht, der SC Freiburg zu sein. Der VfL Bochum? Ja, kann gut sein.

Aber was ist mit Hertha BSC? Die Hertha ist der Hauptstadtklub mit unendlich viel Geschichte - aber wäre es korrekt, ihr aus historischen Erwägungen den Vorzug vor dem Stadtrivalen Union geben, der in der Gegenwart so vieles richtig macht? Und was wiegt schwerer: die prächtigen alten Bilder, die der 1. FC Nürnberg, der 1. FC Kaiserslautern, der MSV Duisburg und der TSV 1860 München gemalt haben - oder die moderne Kunst von Mainz 05, die dem deutschen Fußball Klopp und Tuchel geschenkt haben? Und muss man Hoffenheim und Leipzig wirklich verachten, um ein aufrechter Staatsbürger sein zu dürfen?

Die Pointe der Geschichte ist, dass Traditionsmarken von Klubs wie Freiburg oder Leipzig zur Erneuerung gezwungen wurden

Das sind die Fragen, die sich aus den vergangenen beiden Wochen ergeben, in denen der deutsche Fußball rauschende Feste bei Schalke 04, beim VfB Stuttgart, bei Werder Bremen und bei Eintracht Frankfurt erlebt hat. So sehr ähnelten sich die Bilder, dass man darüber eines fast vergaß: Schalke, Bremen und Stuttgart haben nur das Schlimmste korrigiert oder vermieden (die Zweitklassigkeit). Eintracht Frankfurt hat dagegen einen internationalen Titel gewonnen, den der deutsche Fußball seit 25 Jahren nicht mehr gewonnen hat.

Die großen Bilder aus Frankfurt stehen nun stellvertretend für ein Fußballjahr, das sich Fußballromantiker übers Bett hängen werden. In der nächsten Saison könnte die Bundesliga wieder ein bisschen aussehen wie in der Gründerzeit, aber das alleine ist höchstens für Traditionalisten und TV-Vermarkter ein Wert an sich.

Aus dem Triumph der Frankfurter ergibt sich ein Auftrag an die ganze Liga, nicht nur, weil es der Eintracht hoch anzurechnen ist, dass sie die Europa League so ernst genommen hat, wie es ihr zusteht. Trotz einer mittelprächtigen Bundesliga-Saison taugt Eintracht Frankfurt jetzt als Vorbild für all die großen Kultmarken: Sie hat sich durch seriöse Kaderpolitik so stabilisiert, dass sie auch größere Umbrüche wie im vorigen Sommer gefahrlos (und mit einem Titel) übersteht - ein Ziel, von dem Schalke, Bremen, Stuttgart, Hamburg und sowieso die Hertha noch weit entfernt sind.

Noch ist das Fußballjahr aber nicht zu Ende, und das anstehende DFB-Pokalfinale fügt der guten Geschichte die entscheidende Pointe hinzu. In der großen Liga-Soap verkörpern der SC Freiburg (gut!) und RB Leipzig (böööööse!) zwar die unterschiedlichen Pole, aber aus ihrer innovativen Arbeitsweise ergibt sich dasselbe: Sowohl die schlauen Nischen (Freiburg, Mainz) als auch die schwerst gesponserten Start-ups (Leipzig, Hoffenheim) haben die Traditionsklubs vor sich hergetrieben und zur Erneuerung gezwungen. Die Bedeutung, die Freiburg und auch Leipzig auf diese Weise für den Betrieb gewonnen haben, wird sich von der Demoskopie allerdings nicht ermitteln lassen.

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