Süddeutsche Zeitung

Eintracht Braunschweig:Im Fahrstuhl nach oben

Hinter dem früheren Deutschen Meister Eintracht Braunschweig liegen turbulente Jahre. An diesem Samstag könnte der Klub in die zweite Liga zurückkehren - es besteht Hoffnung auf eine weniger wacklige Zukunft.

Von Thomas Hürner, Braunschweig

Das Internet vergisst nichts. Aber das ist in diesem speziellen Fall auch gar nicht schlimm, findet Peter Vollmann, der Sport-Geschäftsführer bei Eintracht Braunschweig. Vollmann ist so etwas wie die graue Eminenz des Traditionsklubs, er hat die Eintracht aufsteigen und abstürzen sehen. Und nun, an einem strahlenden Tag im Frühjahr, sitzt er also in der Braunschweiger Geschäftsstelle und erinnert sich an seinen Fernsehauftritt im "Sportclub", ziemlich genau 20 Jahre ist das her.

Auf dem Videoschnipsel trägt Vollmann ein eher mäßig geschnittenes Sakko, in der Hand ein Vitamindrink mitsamt exotischem Strohhalm, des Katers wegen. Der Moderator will gleich zu Beginn wissen, wie die Party gewesen sei. Die Eintracht hatte seinerzeit gerade den Aufstieg in die zweite Liga geschafft.

"Es war sensationell", antwortete Vollmann: "Es war ein tolles Gefühl. Man hat gesehen, dass sich da etwas aufgestaut hat."

Vollmann gehört in der dritten Liga quasi zum Inventar

Zwei Dekaden ist die Szene jetzt alt, doch sie ist auch im Jahr 2022 noch irgendwie aktuell geblieben. Die Braunschweiger befinden sich gerade in einer guten Ausgangslage, um in die zweite Liga zurückzukehren, wie damals. Der Klub hat einige aufreibende Zeiten hinter sich, mit Krisen, Umbrüchen und enttäuschten Erwartungen. Wie damals. Und die Wende einleiten soll erneut Vollmann, nur diesmal nicht als Trainer, sondern als Verantwortlicher für das Ressort Sport.

Vollmann, 64, kennt sich aus im fußballerischen Grenzbereich zwischen Profifußball und ambitionierten Amateurklassen, denn nichts anderes ist die dritte Liga. Sein halbes Leben hat er hier verbracht, er war Coach an mehreren Standorten, mehr als 500 Pflichtspiele stehen in seiner Vita. Man darf ihm also glauben, wenn er die Eintracht "jetzt auf einem guten Weg" verortet.

Als Beleg dafür, sagt Vollmann, tauge auch die Erinnerung daran, wie vor nicht allzu langer Zeit rund um das legendäre Stadion an der Hamburger Straße ausgesehen hat: Der VIP-Bereich war ein provisorisches Zelt auf dem Parkplatz, die Tribünen bröckelig, es gab nicht einmal einen beheizbaren Trainingsplatz. Heute sieht alles ein wenig moderner aus, das Stadion wurde renoviert, die Strukturen wurden professionalisiert, die Entscheidungswege verkürzt. Doch im Profifußball, das ist das Problem an der Sache, stehen Klubs immer in Relation zu anderen Klubs. Und auch die haben Wege gefunden, um sich der Branche zu behaupten.

Braunschweig wurde 1967 Meister - und war in dieser Zeit ein echter Innovationsstandort

Allein der Blick auf die niedersächsischen Rivalen zeigt, wie sehr sich die Fußballlandschaft verändert hat. Nur 40 Kilometer entfernt ist die von einem Autokonzern subventionierte VfL Wolfsburg-Fußball GmbH. 70 Kilometer in die andere Richtung, und man landetet beim Erzrivalen Hannover 96, wo sie seit Jahren gegen die 50+1-Regel ankämpfen, die den Einfluss von Investoren auf Vereine einschränkt. Geographisch liegt Braunschweig zwischen Wolfsburg und Hannover. Sportlich wird es aber immer schwieriger, mit den Nachbarn mitzuhalten.

Die Stadt Braunschweig hat 250 000 Einwohner, eine starke Wirtschaft, ein starkes Forschungswesen - und auch die Geschichte der Eintracht passte lange zum vitalen Standort. Der Klub ist Gründungsmitglied der Bundesliga und Meister in der erweiterten Neuzeit, 1967 unter dem Trainer Helmuth Johannsen. In dieser Zeit war der Verein auch so etwas wie das Versuchslabor des deutschen Fußballkapitalismus. In den Siebzigerjahren wurde hier die moderne Trikotwerbung erfunden, weil der damalige Mäzen Günter Mast das Hirsch-Logo eines inzwischen weltweit bekannten Spirituosen-Herstellers auf die Leibchen pappte. Sogar über Sponsoring im Vereinsnamen wurde damals nachgedacht.

Immerhin, die sportliche Gegenwart schürt wieder Hoffnungen in der Region. Die Braunschweiger liegen als derzeitiger Tabellenzweiter über dem internen Zweijahresplan, der sofort ausgearbeitet wurde, nachdem der Traditionsklub vor einem Jahr in die Drittklassigkeit abgerutscht war. "Es gibt keinen guten Zeitpunkt, um abzusteigen", sagt Vollmann, "aber für einen Verein wie uns gab es wohl keinen schlechteren." Die vergleichsweise hohen Fernsehgelder aus der zweiten Liga fielen weg, der bei der Eintracht traditionell große Zuschauerandrang wurde von der Pandemie ausgebremst. Die Folge: Der Kostenapparat musste drastisch heruntergefahren werden. Es ging um die Stabilisierung des Gesamtkonstrukts.

In diesem Bestreben verpflichtete Vollmann im vergangenen Sommer auch den Trainer Michael Schiele, dem der Ruf vorauseilt, ein ausgewiesener Drittliga-Experte zu sein. Schiele, 44, ist ein charismatischer Coach, er kann einen kumpeligen Draht zu seinen Spielern aufbauen und steht für einen intensiven, kraftvollen Fußball. Eine Notwendigkeit in der körperlichen dritten Liga. Die nach dem Abstieg neu zusammengebaute Mannschaft brauchte ein bisschen, um diesen Stil zu verinnerlichen, aber seit der Rückrunde läuft es.

Am Freitag gewannen die Braunschweiger 2:1 gegen den bereits als Tabellenersten feststehenden 1. FC Magdeburg, und mit sieben Siegen aus den vergangenen acht Spielen hat sich die Schiele-Elf pünktlich zur Crunch-Time in Bestform gespielt. Ein Erfolg an diesem Samstag beim SV Meppen (Anpfiff 14 Uhr) reicht deshalb für den direkten Wiederaufstieg.

In der Braunschweiger Geschäftsstelle herrscht dennoch ein höchstens vorsichtiger Optimismus. Wohl kein Wunder, denn kaum ein anderer Profiklub wurde in der jüngeren Vergangenheit derart durch verschiedene Realitäten geschleudert, es ging meistens um Nuancen und falsche Kalkulationen. 2013 schaffte der Klub das Unmögliche, die Rückkehr in die erste Bundesliga. Das führte dazu, dass man das Unmögliche zur Normalität machen wollte, mit höherem Etat und einigen bekannten Namen. 2017 wäre das fast gut gegangen, die Braunschweiger unterlagen in der Aufstiegsrelegation nur knapp dem VfL Wolfsburg. Nur ein Jahr später folgte der Abstieg in die Drittklassigkeit, wieder ein Jahr darauf wäre der Klub fast in die Regionalliga abgestürzt. Eine Nahtoderfahrung, von der sich Fans und Umfeld bis heute nicht erholt haben. Die Eintracht ist seitdem eine klassische Fahrstuhlmannschaft geblieben.

Für eine weniger wacklige Zukunft, sagt der Sportchef Vollmann, sei nun "Kontinuität der Schlüssel". Das ist kein Satz, für den es Innovationspreise zu gewinnen gibt. Aber das sei ihm zugestanden, denn in der dritten Liga bekommt man quasi an jedem Wochenende Beispiele vorgeführt, wie man es besser nicht machen sollte. Die Gegner heißen TSV 1860 München, 1. FC Kaiserslautern, MSV Duisburg oder Waldhof Mannheim - alles alte Traditionsmarken, die zeitweise um ihre Existenz bangen mussten.

Vollmann hätte nichts dagegen, wenn er diesen Klubs bald auf Nimmerwiedersehen sagen könnte.

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