Eine Frage der Sicherheit:Scheibe oder Schein?

F1 Grand Prix of Russia - Practice

Kurze Testfahrt in Sotschi: Der Australier Daniel Ricciardo im Red Bull mit "Aeroscreen" im Training für den Russland-Grand-Prix.

(Foto: Clive Mason/Getty)

Die Köpfe der Formel-1-Fahrer sollen besser geschützt werden. Wie - darüber gehen die Meinungen auseinander.

Von René Hofmann, Sotschi/München

Die Formel 1 will bis zum 1. Juli entscheiden, wie sie die Köpfe der Fahrer künftig besser schützen wird. Charlie Whiting, der Renndirektor des Automobilweltverbandes, bestätigte vor dem Großen Preis von Russland am Sonntag entsprechende Pläne. Bereits 2017 soll ein solcher Schutz eingeführt werden. Damit den Teams genug Zeit bleibt, diesen beim Design der Rennwagen für die kommende Saison zu berücksichtigen, sei ein weiterer Aufschub nicht sinnvoll. Whiting unterstrich zudem, dass ein einheitliches Konzept für alle Teilnehmer vorgeschrieben werde.

Aktuell konkurrieren zwei Systeme um den Zuschlag. Bei den Wintertestfahrten führte Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen "Halo" vor, was im Englischen für "Heiligenschein" steht: eine Querstrebe, die sich über den Kopf des Fahrers spannt und vor dem Cockpit an einer vertikalen Strebe befestigt ist. Im Training für den Russland-Grand-Prix schickte nun Red Bull seine Alternatividee auf eine erste Ausfahrt. Der Australier Daniel Ricciardo absolvierte eine Runde mit einem Aufbau, den die Firma "Aeroscreen" getauft hat; im Prinzip handelt es sich dabei um eine extrem starke Windschutzscheibe.

Ricciardo zeigte sich nach der Probefahrt angetan. "Die Sicht war in keiner Weise eingeschränkt", rapportierte der 26-Jährige, "sicher ist es anders, aber im Kern ist es ziemlich gut."

Ricciardo trug bei seiner kurzen Fahrt eine Brille, in die Kameras montiert waren. Deren Bilder sollen nun ausgewertet und an den Automobilweltverband weitergeleitet werden. Zudem veröffentlichte das Team Red Bull, das sich für die Einführung des Konzeptes starkmacht, Videos von Crashtests, die zeigen, dass die Windschutzscheibe den Aufprall eines Formel-1-Rades aushält, das mit mehr als 220 km/h auf sie gefeuert wird.

Bei den Protagonisten fiel das Echo auf die Idee trotzdem gemischt aus. Der Brite Jenson Button schwärmte: "Es sieht hübsch aus, besser als ein normales Auto." In ein paar Jahren, glaubt der 36-Jährige, der 2009 den WM-Titel gewann, werde man sich die Autos von heute anschauen und finden, dass sie ohne Scheibe "komisch" aussahen.

Ganz anderer Meinung war Lewis Hamilton. Der 31-Jährige, der bereits das "Halo"-System eindeutig abgelehnt hatte, forderte: "Wenn sie das machen, dann sollten sie das Cockpit gleich ganz schließen, wie bei einem Kampfjet." Der dreimalige Weltmeister findet: "Diese Scheibe sieht so schlecht aus - wie ein Polizei-Schutzschild." Ein solches passe so gar nicht zu den coolen, eleganten, futuristischen Formel-1-Autos. Und der Brite hat noch einen prinzipiellen Einwand gegen die Neuerung: Die Formel 1 habe immer auch wegen der Gefahr fasziniert, die von ihr ausgehe. Würden zu viele Gefahren eliminiert, ginge dies verloren.

In Gang gekommen war die Diskussion um einen besseren Kopfschutz nach zwei schweren Unfällen im Juli 2009. Henry Surtees, der 18 Jahre alte Sohn des einstigen Formel-1-Weltmeisters John Surtees, war damals bei einem Formel-2-Rennen in Brands Hatch von einem bei einem Unfall abgerissenen und anschließend herumfliegenden Rad erschlagen worden. Am gleichen Wochenende war Felipe Massa bei der Formel-1-Qualifikation in Budapest eine abgerissene Dämpferfeder bei hohem Tempo gegen den Helm geprallt und hatte den Brasilianer am Kopf schwer verletzt. Der 35-Jährige äußerte sich zur Idee einer Windschutzscheibe zurückhaltend. "Sie ist nicht so hübsch", findet Williams-Lenker Massa, "das Ferrari-Teil war besser."

Auch Haas-Fahrer Romain Grosjean, 30, sieht das so: "Ich bevorzuge Halo. In der Formel 1 sollte der Helm in der Luft sein", sagt er. Sebastian Vettel ist der Meinung, kein System könne zu hässlich sein, wenn es Leben rette. Über die Windschutzscheibe aber scherzt er: "Da musst du nachher erst mal die Fliegen abkratzen."

Beide Systeme sollen nun noch weiter getestet werden. In den kommenden Wochen will der Automobilweltverband eruieren, wie weit sich die Köpfe der Piloten während der Rennen exakt bewegen - und wie viel Platz sie deshalb brauchen. Bei der Windschutzscheibe soll zudem mit Beschichtungen experimentiert werden, die Regentropfen abweisen und Spiegelungen unterdrücken. Erreichen beide Systeme Serienreife, entscheidet die Formel-1-Kommission, welches letztlich als Einheitsteil eingeführt wird.

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