Leichtathletik:Erst der Mensch, dann die Medaille

Leichtathletik: Eike Emrich (hier ein Bild aus dem Jahr 2009) wies der deutschen Leichtathletik den Weg zu neuen Erfolgen - und plädierte zugleich für einen humanen Spitzensport.

Eike Emrich (hier ein Bild aus dem Jahr 2009) wies der deutschen Leichtathletik den Weg zu neuen Erfolgen - und plädierte zugleich für einen humanen Spitzensport.

(Foto: Imago)

Eike Emrich wies der deutschen Leichtathletik den Weg zu neuen Erfolgen - und plädierte zugleich für einen humanen Spitzensport. Ein Nachruf auf einen, dessen Ideen relevanter denn je sind.

Von Johannes Knuth

Eine der vielen Fertigkeiten des Leichtathletikfunktionärs Eike Emrich war es, die Köpfe seiner Zuhörer zum Rauchen zu bringen. Emrich pflegte seine Klugheit in komplizierte Sätze zu kleiden; Clemens Prokop, über viele Jahre Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), scherzte einmal: "Man musste sich sehr anstrengen, um alles zu verstehen." Dann stimmte Prokop eine lange, erst gemeinte Hymne an über den "Vordenker" Emrich, der nicht nur die leistungssportliche Bilanz des DLV verwandelte.

Als die deutschen Leichtathleten 2004 mit zwei Silbermedaillen von Olympia in Athen heimkehrten, galt das als Zeichen großer Not. Damals hatte Bernd Schubert über ein Jahrzehnt als Cheftrainer im DLV gewirkt, ein Mann mit Vergangenheit im DDR-Staatsdoping, der keine überzeugenden Antworten auf die Frage hatte, wie die alte Leichtathletik im neuen Mediensportzeitalter bestehen sollte. DLV-Präsident Prokop brauchte neue Ideen, neue Köpfe. Er fand sie im besonnen Landestrainer Jürgen Mallow, der auf Schubert folgte, und in Emrich, dem Professor für Sportsoziologie, Trainer und Stützpunktleiter, der sich fortan im DLV als Vizepräsident um den Leistungssport kümmerte.

Emrich fand, dass der deutsche Sport seine Förderung viel zu sehr an Medaillen orientierte

Fünf Jahre hielt Emrich es aus, aber das reichte, um mit Mallow eine neue Kultur einziehen zu lassen: Sie öffneten den Raum in der verästelten Vereinslandschaft für neue Ideen, bauten Hierarchien im (damals wie heute wieder) streng hierarchischen Trainerwesen ab, schufen ein stärkeres Bewusstsein für das Leben nach dem Berufssport. In diese Zeit fielen auch große Erfolge - neun Medaillen allein bei der WM 2009 in Berlin -, wobei Emrich stets fand, dass das Publikum seine Gunst bzw. der Dachverband DOSB seine Förderung viel zu sehr an Medaillen orientierten, statt Leistungen inhaltlich einzuordnen. Im deutschen Sport, tadelte Emrich einst, müsse "der Bearbeitung grundlegender Fragen und unkonventioneller Ansätze sehr viel mehr Raum gegeben werden".

Das lässt sich problemlos auf die aktuelle Lage übertragen - in der deutschen Leichtathletik, im Dachverband, überhaupt. Lauscht man dem Grundrauschen, von dem der Spitzensport auch in diesen Tagen unterlegt ist, all der Willkür, dem Missbrauch und Zwang, kommt einem Emrichs "Verantwortungsethik" wieder in den Sinn, über die er einmal schrieb: Sie "will Erfolg, aber nicht um jeden Preis, sie fordert härtesten Einsatz im Training, aber nicht um den Preis der Karrierechancen im Beruf, sie freut sich über Erfolge, respektiert aber, dass nicht jeder Medaillen gewinnen kann, sie betrachtet alle eingesetzten Mittel in Training und Förderung nicht nur unter der Perspektive ihrer Wirksamkeit für Erfolg, sondern auch unter der Perspektive der mittel- und langfristigen Kosten, die die eingesetzten Mittel der Sportförderung für Individuum und Gesellschaft nicht nur materiell, sondern auch sozial mit sich bringen".

Das ist so ein typischer Eike-Emrich-Satz. Und ein ziemlich kluger.

Eike Emrich wurde am Freitag in seiner pfälzischen Heimat Meisenheim beigesetzt; er war vor einer Woche nach schwerer Krankheit im Alter von 65 Jahren gestorben.

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