Süddeutsche Zeitung

EHC München:Ein Corona-Ausbruch, der den Sport aufschreckt

Trotz hoher Impfquote werden 22 Personen beim EHC München positiv auf Corona getestet. Nun fragt sich nicht nur die Deutsche Eishockey Liga, was das für die kommenden Monate bedeutet.

Von Johannes Schnitzler

Vollständig oder nicht? Das war zuletzt die Frage, wenn es darum ging, wie gut Personen gegen das Coronavirus geschützt sind. Je nach verabreichtem Wirkstoff gilt als vollständig geimpft, wer eine oder zwei Dosen bekommen hat. Wobei "vollständig geimpft" nicht "vollkommen geschützt" bedeutet: Selbst dann bleibt ein Fenster offen, durch das Viren in Körper gelangen können. Beim EHC Red Bull München interpretieren sie die Frage "Vollständig oder nicht?" mittlerweile anders: Nachdem der Klub aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) am vergangenen Samstag bekannt gegeben hatte, dass die Partie am Sonntag gegen Nürnberg wegen mehrerer Coronafälle im Team sowie im Trainer- und Betreuerstab ausfallen müsse, präzisierte der dreimalige deutsche Meister am Montag: Insgesamt seien 18 Personen infiziert, darunter 14 Spieler.

Am Dienstag erhöhte sich die Zahl weiter auf 22, davon 16 Spieler und sechs Personen aus dem engen Mannschaftsumfeld. Alle Betroffenen befänden sich auf Anordnung des Gesundheitsamts München in Quarantäne. Dazu kommen nach Vereinsangaben fünf verletzte Profis. Das heißt: 21 von 29 lizenzierten Spielern stehen den Münchnern derzeit nicht zur Verfügung. Zehn Feldspieler plus ein Torwart wären das Minimum, um als spielfähig zu gelten. Auch das für diesen Mittwoch angesetzte Spitzenspiel gegen die Adler Mannheim und die Partie am Freitag bei Aufsteiger Bietigheim sind abgesagt, mit einer Verlegung des Spiels am Sonntag zu Hause gegen Meister Eisbären Berlin muss gerechnet werden. Wie ist das möglich?

"97,5 Prozent aller Spieler, Trainer und Betreuer sind aktuell vollständig oder zumindest einfach geimpft", teilt der EHC auf Anfrage mit. Dass sich 22 Personen separat in ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld zur gleichen Zeit infizieren, gilt nach Ansicht von Experten als nahezu ausgeschlossen. "Viel wahrscheinlicher ist", sagt der Hygieneexperte Florian Kainzinger, dass sich "ein oder zwei Personen in ihrem privaten Umfeld infiziert" und die anderen dann angesteckt hätten - als sogenannte Superspreader, Infizierte mit einer besonders hohen Virenlast.

Ein explosionsartiges Aufkommen von Fällen wie in München werde begünstigt durch den "längeren Aufenthalt von vielen Personen in geschlossenen Räumen", sagt Kainzinger, eine Situation, wie sie Sportler oft erleben, in schlecht gelüfteten Kabinen, im Mannschaftsbus, beim Essen oder bei Videositzungen etwa. Kainzinger, 39, arbeitet mit der "Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb im Profifußball", war federführend beim Hygienekonzept für die Basketball-Bundesliga beteiligt und berät auch die DEL.

Mehr Vorsicht geht nicht: München brachte zu Spielen seine eigenen "Tatortreiniger" mit

Dennoch: Was bedeutet ein solch massiver Impfdurchbruch für die kommenden Herbstmonate? Das fragen sich auch Verantwortliche in anderen Sportarten und Ligen. "Vermutlich hat kein Klub mehr getan für die Einhaltung der Hygieneregeln als die Kollegen in München", sagt Stefan Esch, Kommunikationschef bei den Augsburger Panthern. Selbst zu Auswärtsspielen brachten die Münchner ihre emsigen Hygienebeauftragten mit, von der Konkurrenz halb spöttisch, halb bewundernd als "Tatortreiniger" bezeichnet. Die Münchner hätten außerdem die Liga und die anderen Klubs "offen und frühzeitig informiert", betont Esch.

Dennoch habe die Nachricht vom Münchner Impfdurchbruch am Samstag in Augsburg "richtig eingeschlagen". Dort war der EHC noch am Freitagabend zuletzt angetreten - ohne neun Spieler. Als Grund für die vielen Ausfälle gaben die Münchner Verletzungen sowie regenerative Gründe an. Die sehr kurze Bank kam Beobachtern dennoch seltsam vor. Der Verdacht lag nahe, dass einige der Ausfälle bereits coronabedingt gewesen sein könnten. Von der Liga hieß es, alle Testergebnisse vor der Partie seien negativ ausgefallen. "Red Bull München hat alle von den zuständigen Behörden geforderten Auflagen erfüllt", teilte der Klub am Dienstag mit. Dummerweise halten sich Viren eher unzuverlässig an behördliche Anordnungen.

"Standard für alle Profiligen in Deutschland ist, dass nur ungeimpfte Spieler getestet werden", sagt Florian Kainzinger. Dieses Verfahren sei mit der Berufsgenossenschaft abgesprochen. Möglich wäre also sowohl, dass Ungeimpfte, aber negativ Getestete gespielt haben. Möglich wäre auch, dass Geimpfte das Virus auf andere übertragen haben, und erst, als einige Spieler Symptome zeigten und daraufhin alle getestet wurden, das ganze Ausmaß der Infektionen ersichtlich wurde. Vieles bleibt Spekulation.

Nachdem erst zum vergangenen Wochenende in Bayern die Zuschauerbeschränkungen gelockert worden waren, habe man in Augsburg nun "das Test-Protokoll wieder massiv nach oben gefahren", sagt Stefan Esch. Bislang gebe es in Augsburg keinen Corona-Fall, auch das Spiel der Panther am Sonntag in Krefeld fand wie geplant statt. Florian Kainzinger sagt, die Wahrscheinlichkeit, sich als Gegner bei einem Spiel anzustecken, sei "sehr gering", noch mal geringer bei Sportarten unter freiem Himmel wie etwa beim Fußball. Aber auch in Hallen, die üblicherweise über ein sehr gutes Lüftungssystem verfügen, sei die Gefahr einer Infektion - auch für die Zuschauer - "um ein Vielvielvielfaches geringer" als unter Teamkollegen in der Kabine. Deshalb plädiert Kainzinger nach wie vor für die Rückkehr von Zuschauern in die Sportarenen, für die Rückkehr zu einer achtsamen Normalität.

"Die Pandemie führt uns immer wieder vor Augen, wie unkontrollierbar sie ist. Mit strengen Hygienekonzepten und Vorsichtsmaßnahmen können wir die Gefahr zwar minimieren, aber niemals ausschließen", hatte Mannheims Manager Jan-Axel Alavaara sachlich auf die Absage der Partie in München reagiert. Stefan Esch sagt: Das Beispiel München sei auf jeden Fall ein "Beleg dafür, wie schwer dieser Herbst werden" kann. Nicht nur für die Deutsche Eishockey Liga.

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