Eduardo Vargas:Die Rückkehr des Turbomannes

Lesezeit: 3 min

Fühlt sich im chilenischen Trikot besonders wohl: Eduardo Vargas. (Foto: REUTERS)
  • 439 Tage lang war Eduardo Vargas aus Chiles Nationalelf verbannt worden.
  • Erst kurz vor der Copa América in Brasilien kehrte er zurück - und traf gegen Japan gleich doppelt.
  • Das Turnier ist eine Art Fetisch für den Angreifer.

Von Javier Cáceres, Belo Horizonte

Es gibt Kuriositäten in Südamerika (und in seinem Fußball), die man vielleicht wirklich nur noch mit Magischem Realismus erklären kann: mit dieser literarischen Gattung, in der fantastische, magische, übersinnliche Geschehnisse rund um eine Figur als normal und alltäglich dargestellt werden. Womit wir bei Eduardo Vargas wären, einem chilenischen Stürmer, der in nahezu allen Mannschaften, in denen er spielte, eher leise als krachend scheiterte. Aber er scheiterte.

In Italien (Neapel), in Brasilien (Grêmio Porto Alegre), in Spanien (Valencia), in England (Queens Park Rangers) und in Deutschland bei der TSG 1899 Hoffenheim. An all diesen Orten spielen elf gegen elf, entsprechen die Tore exakt den Maßen, die das Reglement vorgibt, und auch die Bälle sind überall rund. Aber zum "Turboman", als den man ihn in seiner Heimat kennt, wird Vargas nur, wenn er das rote Leibchen der chilenischen Nationalelf überstreift. Dann trifft er. Ein ums andere Mal.

Copa América
:Videobeweis-Drama für Brasilien

Dem Gastgeber werden bei der Copa América drei Tore aberkannt - das Publikum reagiert ungehalten. Tour-Sieger Geraint Thomas stürzt schwer, gibt aber Entwarnung.

Meldungen im Überblick

Am Montagabend bekam das im Estádio Morumbi von São Paulo Japans Vertretung zu spüren, eine leicht getunte Version der Mannschaft, die 2020 die Olympischen Spiele in Tokio bestreiten soll und mit 0:4 unterging. Japan spielte ansprechend, Youngster Takefusa Kubo, 18, deutete an, wieso er als "japanischer Messi" gilt und Real Madrid sich gerade ein Loch in den Bauch freut, dass man ihn beim FC Tokio loseisen konnte - zumal Kubo bei Reals Erzrivalen FC Barcelona ausgebildet wurde.

Kapitän Gary Medel bekniete den Nationalcoach - mit Erfolg

Aber: Es mangelte den Japanern in beiden Strafräumen an der Effizienz, die Chile zeigte. Für den Titelverteidiger der Copa América trafen Erick Pulgar und Alexis Sánchez, jeweils nach Vorarbeit des exzellenten Leverkuseners Charles Aránguiz. Und es traf: Eduardo Vargas. Mit seinen beiden Toren kam er in 90 Minuten auf die gleiche Anzahl an Treffern, die er für Hoffenheim in anderthalb Jahren geschossen hatte, ehe er zu Tigres nach Mexiko weiterzog.

Für Vargas war der Triumph gegen Japan umso bemerkenswerter, als er bis vor Kurzem noch ein Geächteter war. Bei einer Freundschaftsspielreise Chiles durch Skandinavien fiel er im März 2018 dem Nationaltrainer Reinaldo Rueda negativ auf. Vargas leistete sich, wie der Coach sagte, "Undiszipliniertheiten", und das ließ sich rasch dahingehend übersetzen, dass Vargas nicht nur die horrenden Steuern auf alkoholische Getränke in Schweden egal waren. Er hatte zudem Damen, die nicht seinem Familienkreis, sondern einer Branche angehören, die 1999 in Schweden verboten wurde, das Hotelzimmer zeigen wollen.

Kapitän Gary Medel alias El Pitbull bekniete den kolumbianischen Trainer seines Teams, Reinaldo Rueda, Vargas zu vergeben. Keiner treffe so sicher wie der frühere Bundesligaprofi. Am Ende lenkte el profe ein. Kurz vor der Südamerikameisterschaft, 439 Tage nach dem Eklat von Stockholm, kehrte Vargas in die Nationalelf zurück. Und Medel durfte sich nach der Partie gegen Japan bestätigt fühlen. "Uns fehlten Tore, und Eduardo ist zurückgekommen. Genau das, was wir brauchten", sagte der "Pitbull".

Für Vargas ist die Südamerikameisterschaft eine Art Fetisch, ein Turnier, bei dem er sein Idyll findet. Chile holte erst zwei Mal die Copa América - 2015 im eigenen Land, 2016 beim Centenario in den USA -, und jedes Mal war Vargas Torschützenkönig. Beim Turnier in Chile kam er auf vier Tore, in den USA auf sechs. Durch die beiden Treffer von São Paulo schraubte er sein persönliches Torkonto in der chilenischen Nationalelf auf 38, damit hat er dort eine mehr als doppelt so hohe Quote (0,43 pro Partie) wie in seinen Klubs (0,21). Überdies sorgte Vargas dafür, dass sich die Stimmung beim Titelverteidiger wieder erholen kann.

Denn die Nationalelf des erdbebenerprobten Landes sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für Erschütterungen, die in der Summe dazu führten, dass die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Russland 2018 verfehlt wurde. Am Ende wurden auch noch zwei Säulen der Meistermannschaften von 2015 und 2016, Torwart Claudio Bravo und der einstige Hamburger Relegations-Held Marcelo Díaz, gnadenlos rausgeworfen - von den eigenen Kameraden.

Bravo wurde zum Verhängnis, dass seine Ehefrau sich nach dem K. o. in der WM-Qualifikation öffentlich über die Eskapaden diverser Spieler beklagte und den eigenen Ehemann als vorbildlichen, asketischen Profi skizzierte; im Mannschaftskreis kam das nicht gut an. Díaz wiederum wird von jeher in seiner Heimat Carepato genannt, Entengesicht. Intern aber hatte er seit geraumer Zeit den Ruf eines sapo weg, was wörtlich "Frosch" heißt, aber im übertragenen Sinne für Spitzel steht. Díaz soll befreundeten Journalisten Interna gesteckt haben. Solange Chile gewann, galt das im Team als lässliche Sünde. Im Misserfolg brach alles über ihn herein.

Umso erleichterter war man in Chile, dass das naive japanische Team, das bei der Copa América in Brasilien als Gast antritt, so deutlich geschlagen wurde - und Erick Pulgar endlich andeutete, Marcelo Díaz im defensiven Mittelfeld vergessen machen zu können. Vor allem aber herrscht Freude darüber, dass Alexis Sánchez und Eduardo Vargas zeigten, mit dem Tor doch noch per Du zu sein. "Es ist sehr wichtig, dass unsere beiden Stürmer treffen konnten", sagte der frühere Bayern-Profi Arturo Vidal vor den abschließenden Gruppenspielen gegen Ecuador und Uruguay. "Wir wollen versuchen, diesen Pokal zu verteidigen."

© SZ vom 19.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Copa América
:Wenn der Gegner plötzlich Katar heißt

Seit 1993 nehmen Länder von anderen Kontinenten an der Copa América teil - diesmal auch Katar. Die Fluggesellschaft des Emirats sponsert den südamerikanischen Fußballverband.

Von Javier Cáceres

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: