Süddeutsche Zeitung

Tennisspieler Stefan Edberg:Niemand warf den Ball höher

Sein Aufschlag war ikonisch, sein blonder Seitenscheitel fein gezogen: Vor 30 Jahren erklimmt Stefan Edberg die Weltranglistenspitze - und mopst Boris Becker große Titel.

Von Milan Pavlovic

Der 13. August 1990 war ein Montag, und wie alle Montage, an denen kein Grand-Slam-Tennis stattfindet, war auch jener Sommer-Montag unspektakulär, was Spiele angeht. Ein markantes Tennis-Datum war es trotzdem, und das hat damit zu tun, dass montags jeweils die neue Weltrangliste erscheint. In diesem elitären Klub tauchte in jenem Sommer vor 30 Jahren zum achten Mal ein neuer Name auf. Na ja, neu war der Name nicht, weil Stefan Edberg damals schon mehr als acht Jahre Profi war. Aber mit 24 stand er endlich ganz oben in seinem Sport. Das hatten etliche Beobachter schon 1983 prognostiziert, als der jugendliche Schwede als erster - und bis heute einziger - Junior den Grand Slam gewann: alle vier Majors in einem Kalenderjahr.

Bei anderen Athleten wäre das vermutlich schon ein Riesending gewesen, wie auch die Tatsache, dass er seinem Heimatland im Davis Cup schon als Teenager wichtige Punkte im Doppel auf dem Weg zum Titelgewinn 1984 und 1985 besorgte; oder die Kuriosität, dass er der letzte Mann war, der die Australian Open gewann, als diese noch im Dezember und auf Rasen ausgetragen wurden (1985, mit 19) - und der erste Mann, der die Australian Open gewann, als diese dann im Januar ausgetragen wurden, letztmals auf dem krumpligen Rasen von Kooyong (1987, Edberg war gerade 21 geworden).

Aber bei Edberg fiel alles ein paar Nummern kleiner aus. Während Boris Becker, mit dem ihn seit Jugendtagen eine freundliche Rivalität verband, stets die Scheinwerfer fand (wenn nicht die Scheinwerfer ihn fanden), scheute der höflich junge Mann die großen Auftritte. Jenseits des Platzes überließ er anderen die Show, auf den Center Courts sprach sein Tennis für ihn. Passend zu seinem Charakter machte Edberg die Kunst seiner Schläge kleiner als sie war. Sein Angriffstennis war schnörkellos und sein Rückhandvolley ein Gedicht. Die einhändige Rückhand war eine patente Waffe, mit dem vorbereitenden Slice zwang er viele Gegner in die Knie. Seine Vorhand hingegen war wacklig, manchmal verlor er den Rhythmus, dann schaufelte er die Bälle reihenweise ins Netz oder ins Aus und sah nicht wie einer der Besten seines Metiers aus - besonders, wenn Boris Becker ihn auf der Vorhand triezte.

Seine Vorhand hingegen war wacklig, manchmal verlor er den Rhythmus

Edbergs Aufschlag schließlich verdient ein eigenes Kapitel. Oder zumindest einen Einschub: Wer es im Leben zu etwas gebracht hat, nach dem wird gerne eine Straße, ein Platz oder eine Allee benannt. Andere bekommen eigene Modelabels, Duftmarken oder einen Stern auf dem Walk of Fame. Aber wie viele Menschen können von sich sagen, dass sie die Inspiration für das Logo eines Events waren, ohne dass sie gefragt wurden oder monetär von der Entscheidung profitiert hätten. Insofern ist das langjährige Logo der Australian Open eine Rarität: Es zeigt einen Tennisprofi bei einer gewaltigen Aufschlagroutine, und auch wenn der Spieler als abstrakte Gestalt entworfen wurde, erkennt jeder, der Tennis Ende des 20. Jahrhunderts verfolgte, in der Figur Stefan Edberg bei seinem extremen Ballwurf.

Anders als die Bumm-Bumm-Fraktion im Tennis, ob nun Becker, Richard Krajicek oder - noch limitierter - Greg Rusedski, lebte der Schwede kaum vom Tempo seines Service. Er bereitete vielmehr seinen zweiten Schlag vor, indem er die Aufschläge gekonnt verteilte und sowohl Tempo als auch Schnitt als auch Platzierung variierte. Sprang ein Ass dabei heraus, war das schön; kam der Ball zurück, war Edberg dank seines hochhaushohen Ballwurfs ins Feld hinein und des bestialischen Kickeffekts schon so weit nach vorne gerückt, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit den Punkt beenden konnte. Andre Agassi, einer der besten Return-Spieler dieses Sports, hat mal ehrfurchtsvoll über den Australier Wayne Arthurs und dessen schier endlose Varianten des Linkshänder-Aufschlags doziert. Rechtshänder Edberg hatte kaum weniger anzubieten. Aber wehe, es windete arg oder das Flutlicht schien zu hell: Dann verlor der Schlaks aus Västervik schon mal die Kontrolle über den Ball und produzierte absurd anmutende Doppelfehler. So oder so hielt er sich nie lange mit einzelnen Momenten auf, sondern machte einfach weiter.

Insofern war es fast angemessen, dass Edberg ohne Pomp und Brimborium die Nummer eins wurde. Selbst in Schweden blieb die Welt nicht stehen, die Skandinavier waren ja auch verwöhnt durch Björn Borg, der in der Tenniswelt bis Ende 1981 die Hauptrolle bekleidet hatte; und dann durch Mats Wilander, der 1982 aus dem Nichts aufgetaucht war (1988 gleich drei Grand Slams in einem Jahr gewann) und sozusagen der große Bruder jener neuen Tenniswelle war, auf der dann bald danach Boris Becker, Edberg und Andre Agassi surften, bevor Michael Chang, Jim Courier und Pete Sampras nachrückten.

Diese Namen bestimmten im August 1990 schon das Geschäft, aber entthronen musste Edberg damals einen Routinier: Ivan Lendl, der die Nummer eins fast fünf Jahre lang okkupiert hatte und noch nicht wahrhaben wollte, dass er auf die Zielgerade seiner Karriere eingebogen war. Edberg krönte derweil einen schönen Sommerzwischenspurt: Nach seinem zweiten Triumph in Wimbledon (wieder gegen Boris Becker, wie schon 1988) sammelte er die Pokale in Los Angeles und Cincinnati ein. Dort gewann er das Finale gegen Brad Gilbert so flott (6:1, 6:1), dass sein fein gezogener blonder Seitenscheitel nicht einmal ansatzweise verwuschelt war, und er übernahm die Nummer eins ohne einen einzigen dramatischen Moment: Lendl fehlte verletzt, Becker ließ den Stopp aus, Agassi war indisponiert und Sampras noch nicht da, wo er ein paar Wochen später in New York sein würde.

Edberg, der schon im Frühjahr 1990 in den USA geglänzt hatte (Sieg in Indian Wells, Finale in Miami, jeweils gegen Agassi), reiste also als Mann der Stunde zu den US Open. Dort aber verlor er sang- und klanglos in der ersten Runde (gegen Alexander Wolkow) und war ausnahmsweise sichtlich vergrätzt ob der eigenen Vorstellung. Es war einer dieser Tage, als er seine Vorhand in der Kabine vergessen zu haben schien, und wie immer, wenn er nervös war, vergoss er noch mehr Schweiß als gewöhnlich. Was erwähnenswert ist, weil er ohnehin so viel schwitzte, dass er bisweilen wie ein Wasserhahn auf zwei Beinen wirkte.

Zu diesem Zeitpunkt, nach etwas über der Hälfte seiner Karriere, hatte Edberg vier Grand-Slam-Titel gewonnen. Das wäre schon reichlich gewesen in einer Zeit, als es viel mehr Siegertypen gab als in der von Federer, Nadal und Djokovic dominierten Ära seit 2003. Aber Edberg wollte und konnte mehr. Er verkraftete 1991 frustrierende Erlebnisse in Melbourne (Fünfsatzniederlage im Halbfinale gegen Lendl) und vor allem in Wimbledon (wo er im Halbfinale Michael Stich unterlag, ohne einmal sein Service verloren zu haben) und kehrte vollkonzentriert nach New York zurück. Dort besiegte er fünf Amerikaner und verlor ab dem Achtelfinale keinen Satz mehr - Jim Courier gestattete Edberg im Finale gerade mal sechs Spiele.

1995 begann Edbergs Karriere auszutrudeln

Aufwendiger - und deutlich spektakulärer - verlief die Titelverteidigung im Spätsommer 1992. Um überhaupt ins Finale vorzustoßen, musste er drei Fünfsatz-Partien gewinnen: gegen Richard Krajicek, Ivan Lendl (7:6 im fünften Satz) sowie im Halbfinale gegen Michael Chang, in einer faszinierenden, mehr als fünfstündigen Hitzeschlacht. Gerade einmal 24 Stunden später kehrte der Schwede scheinbar ungerührt zurück, holte gegen Pete Sampras einen Rückstand auf und kletterte zum fünften (und letzten) Mal auf Platz eins der Welt.

Mit sechs großen Titeln (jeweils zwei in Australien, Wimbledon und New York) liegt Edberg in der Ahnengalerie gleichauf mit Boris Becker. Noch etwas verbindet die beiden (und Pete Sampras): Allen fehlt zur Komplettierung ihrer Grand-Slam-Sammlung ein Triumph in Paris. Während Sampras bloß einmal das Halbfinale erreichte und dort glatt verlor (1996 gegen Jewgeni Kafelnikow) und Becker sich in drei Halbfinals (1987, 1989, 1991) mehr oder weniger deutlich geschlagen geben musste, war Edberg einmal sehr nahe dran: 1989 hatte der 23-jährige Schwede souverän die Vorschlussrunde erreicht, wo er zunächst eine 2:0-Satzführung verspielte, bevor er das Comeback des 21-jährigen Boris Becker verhinderte, indem Edberg im letzten Satz einen Rückstand umdrehte. (Gemeines Detail aus der Sicht des Deutschen: Er gewann zwar 25 von 35 Duellen gegen Edberg, aber bei Grand Slams lautet die Bilanz 1:3.) Die Favoritenrolle im Finale gegen das überraschende Stehaufmännchen Michael Chang bekam Edberg freilich nicht gut: Er führte nach Sätzen mit 2:1, ließ aber in Durchgang vier diverse Chancen ungenutzt, verlor die Partie - und kam bei den French Open nie mehr über das Viertelfinale hinaus. Viele Zeitzeugen sind sich sicher, dass Becker - hätte er die Hürde Edberg gemeistert - das Finale gegen Chang gewonnen hätte. Teufel, denn Edberg selbst verlor nie wieder ein Grand-Slam-Duell gegen den Amerikaner.

1995 begann Edbergs Karriere auszutrudeln. Er war einer der Ersten, die sich wagten, mit Ankündigung so etwas wie eine einjährige Abschiedstour zu starten. Er sagte überall auf der Welt Servus, genoss die Ovationen und zeigte sich in New York noch einmal von seiner besten Seite. Während eine andere Legende (Pat Cash, Wimbledon-Sieger von 1987) auf einem Außenplatz leidend seine Karriere beendete, verblüffte Edberg sich, die Welt und seinen Gegner, als er den amtierenden Wimbledon-Sieger Richard Krajicek in drei Sätzen abfieselte. Bald danach stand er im Viertelfinale gegen Goran Ivanisevic, der Edberg allerdings ziemlich humorlos in Rente schickte.

Im Gegensatz zu vielen großen Tennis-Rentnern verabschiedete sich Edberg nach seinem Rücktritt wirklich von der Szene, eineinhalb Jahrzehnte machte sich der nun in Växjö lebende und seriös wirtschaftende Schwede rar. Und nur der Ruf von Roger Federer konnte das ändern. Weil der Schweizer ein paar Jahre ohne Grand-Slam-Triumph war, bat er sein Jugendidol Ende 2013 um Hilfe und Inspiration. Gut zwei Jahre war Edberg Teil des Trainerteams - was zu der kuriosen Situation führte, dass Boris Becker (als Trainer von Novak Djokovic), Ivan Lendl (Andy Murray) und Stefan Edberg (Federer) in neuer Rolle wieder um die altbekannten Titel rangen.

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