Süddeutsche Zeitung

E-Sport:Hexen in der Super-Liga

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Der FC Bayern holt spanische Nationalspieler, Fürths erfolgreiches Team steht vor dem Aus: Auch im E-Sport hängen die Großen die Kleinen ab.

Von Thomas Gröbner

Die Japaner sind ein interessiertes Volk, sie interessieren sich sogar für die Koteletten von Oliver Kahn. Er trug diese blonden Reibeisen-Streifen ja 2002, als er im WM-Finale in Yokohama geschlagen an einem Pfosten saß, das ist lange her, aber in der aktuellen Fußballsimulation "Pro Evolution Soccer" des japanischen Spieleherstellers Konami hechtet der junge Kahn immer noch, als "Legende" des FC Bayern. Kahns Backenbart, die aktuelle Mannschaft und das Stadion wurden mit 3-D-Scans vermessen, den Zugang hat sich Konami einiges kosten lassen: Als "Platin-Partner" sollen die Japaner dem FC Bayern rund 15 Millionen Euro bis 2022 zahlen, berichtete die Sport-Bild im Sommer. Dass die Bayern ihren E-Sport-Einstieg nach langem Zögern im Dezember beim Konami-Titel Pro Evolution Soccer verkündeten und nicht mitspielen wollten in der Virtual Bundesliga der DFL, das kam dann nicht mehr überraschend.

Es erschien ja kurz so, als wäre der FC Bayern gerade zur rechten Zeit aufgeschlagen in einen boomenden Markt. In das Aufmerksamkeitsvakuum, das der reale Fußball in der Corona-Pause hinterließ, spielten Fußballprofis in ihren Wohnzimmern gegen Zocker-Profis, jeder konnte zusehen. "Bundesliga Home Challenge" hieß das. Der Fußball macht keine Pause, das war die Botschaft.

Überraschend kam da die Nachricht vom Gedankenspiel der Spielvereinigung Greuther Fürth. Der Zweitligist war mit seinem Konsolen-Team die Mannschaft der Stunde, gewann die Vizemeisterschaft hinter Werder Bremen mit einem schmalen Budget - das in der Corona-Krise wohl nicht mehr zu halten ist. Schon Anfang April haben die Fürther den Spielern nahegelegt, sich einen neuen Verein zu suchen, eine finale Entscheidung steht aber noch aus. In Fürth rechne man nicht damit, weitere Sponsoren auftreiben zu können, um die Sparte zu finanzieren. Vom boomenden Videospiele-Markt scheinen kleine Vereine nicht genug profitieren zu können, es bleibt ein Zuschussgeschäft, auch im Erfolgsfall. Zweitliga-Torhüter haben in Japan unabhängig von ihrer Bartfrisur eben wenige Anhänger.

Die Bayern spielen - und da ist die Fußballsimulation wieder ganz nah an der Wirklichkeit - dagegen in einer anderen Liga. Während die DFL mit dem Konkurrenzprodukt "Fifa 20" arbeitet, treten die Münchner in einer Art Super-Liga an, mit dem FC Barcelona, Manchester United, FC Arsenal, AS Monaco, Celtic Glasgow und dem FC Schalke 04. Die Schalker sind so etwas wie die Pioniere im E-Sport, ihr Gaming-Chef Tim Reichert gibt das Ziel aus, bald den Profifußball mit den Erlösen aus dem E-Sport subventionieren zu wollen.

So weit sind die Münchner noch nicht, sie leisten sich aber ein Top-Team, mit José Sánchez, Miguel Mestre und Alex Alguacil spielt fast die komplette spanische E-Sport-Nationalmannschaft in München. Doch vom Hau-Ruck-Einstieg waren manche eingefleischten Bayernfans nicht begeistert. Bei der Partie gegen Werder Bremen hing ein Plakat in der Südkurve, "Kein E-Sport beim FC Bayern", eine Botschaft ganz im Geiste von Uli Hoeneß, einem ausgewiesener E-Sport-Gegner. "Baller- und Kriegsspiele" werde es nicht geben, hatte Karl-Heinz-Rummenigge zum Start beruhigt. Ein Weg, wie 1860 ihn geht, haben die Bayern-Bosse damit ausgeschlossen.

Fazit des ersten Jahrs E-Sport beim TSV 1860: Man habe "viel zu wenig Ahnung" gehabt

Denn statt sich auf das Kerngeschäft Fußball zu konzentrieren, in dem man immerhin Erfahrung hat, treten die Löwen in der Fantasiewelt von "League of Legends" an, in der Hexen, Ninjas und Monster aufeinander einprügeln, Laien sehen dabei nur Chaos und Lichtblitze. Auch die Löwen-Verantwortlichen waren anfangs überfordert. "Viel zu wenig Ahnung" habe man gehabt, so fasst Vereinsmanagerin Viola Oberländer das erste Jahr nach dem Einstieg im Januar 2019 zusammen. "Deutlich komplexer" als gedacht sei die Angelegenheit, man habe erwartet, "schneller Sponsoren zu finden": Vom ausgegebenen Ziel, die aufstrebende Box-Abteilung mit der virtuellen Zockerei zu subventionieren, ist man noch entfernt.

Immerhin trägt sich das Profi-Team selbst, das von der Gaming-Agentur Penta gestellt wird. Deren Versprechen, keine roten Zahlen zu produzieren, dürfte die Verantwortlichen überzeugt haben. Nach einer Liga-Reform spielt 1860 nun in der zweithöchsten Liga, doch die Erwartungen waren natürlich größer: Meisterschaft, Trikotverkäufe, neue Zielgruppen erschließen. Immerhin, 50 neue Mitglieder hat 1860 dazugewonnen, der große Erfolg blieb aber noch aus. Man sah sich anfangs als Titel-Favorit, dann rettete sich 1860 aber nur mit Mühe vor dem Abstieg. Wenigstens etwas, das den Löwenfans vertraut sein dürfte.

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SZ vom 15.05.2020
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