Dynamo Dresden:Paartherapie bei Netflix

SG Dynamo Dresden - Karlsruher SC

Ein Team und diesmal auch eine Einheit: Die Spieler von Dynamo Dresden haben beim Rückrundenauftakt gegen Karlsruhe etwas zu feiern.

(Foto: Robert Michael/dpa)

"Los jetze hier!": Das 1:0 gegen Karlsruher nährt bei Dynamo die Hoffnung, dass der Zweitliga-Abstieg doch noch vermieden werden kann.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

In der aktiven Fanszene der SG Dynamo Dresden gibt es einen kategorischen Imperativ, der mit Immanuel Kant zwar überhaupt nichts zu tun hat, ja nicht einmal mit N'Golo Kanté, den zu kennen aber wichtig ist, um den wieder einmal besonderen Aggregatzustand zu begreifen, in dem sich der Verein nach seinem 1:0-Heimsieg am Mittwochabend gegen den Karlsruher SC befindet. Der also spezielle Dresdner Imperativ lautet "Los jetze hier!" Die Losung zielt einerseits wie das bairische "Pack ma's!" mit Hoffnung auf die Zukunft, sie ist andererseits aber nicht frei von Unmut über das ganze verdammte Elend, das gerade mal auszuhalten gewesen ist und das den kategorischen Weckruf überhaupt erst nötig gemacht hat. In Dresden haben sie von beidem, von Unmut wie Hoffnung, mal wieder reichlich gerade.

Fußball ist auch, wenn sich hinterher alle auf eine Version verständigen, warum die Dinge so und nicht anders gelaufen sind. Die Hinserie von Dynamo litt so betrachtet unter der romantischen aber ex post nicht richtigen Idee, den Vereinsdreiviertelgott Cristian Fiél zum Cheftrainer zu ernennen. Fiéls Unerfahrenheit in Kombination mit solchen Charakter- und Leistungsschwächen, wie sie in einem Profikader selten ausbleiben, gelten im Rückblick als wesentlich; als wesentlich dafür, dass Dresden als Tabellenletzter der zweiten Liga ins neue Jahr gegangen ist; dass vor Weihnachten das Verhältnis zwischen Team und Fans als vergleichsweise zerrüttet einzustufen war; dass selbst Sportgeschäftsführer Ralf Minge, der sonst zwar deutlich, aber durchaus gepflegt formuliert, die Hinrunde aus heutiger Sicht knapp so bilanziert: "Scheiße im Herbst".

Auf diesen Herbst aber folgte das Wintertrainingslager mit dem immer noch neuen Trainer Markus Kauczinski, und was da passierte, könnte als die Magie von Mijas in die Chronik dieses Vereinsjahres eingehen. Eine Delegation der aktiven Fanszene reiste ebenfalls nach Andalusien, und in einer Art Paartherapie wurde ein Verbund so erneuert, dass am Mittwochabend glauben konnte, die Elektro Schweißtechnik Dresden GmbH werbe nicht zufällig auf der Bande vor dem K-Block, sondern hätte an genau dieser Nahtstelle zwischen Mannschaft und Fanszene gerade einen Spezialauftrag erfolgreich erledigt.

Neben diesem neuen Verbund zeigten gegen den KSC auch einige der immerhin sechs Neuverpflichtungen des Winters erste Wirkung, darunter besonders sehenswert und zählbar der aus Freiburg geliehene Marco Terrazzino, der handlungsschnell das einzige Tor des Abends erzielte (38.). Wie jedes andere, so hat auch dieses Tor ein Vorgeschichte, und die erzählt viel über die Winterverwandlung von Dynamo Dresden. Das Tor folgte auf giftiges Nachsetzen nach einer Ecke, die wiederum ihrerseits erst mal hatte erstritten werden müssen. Dynamo präsentierte sich gegen den KSC in verbesserter defensiver Ordnung, vor allem aber setzten die Spieler dem Gegner immer wieder nach wie junge Hunde, eine Spielweise, die Teile des Kaders hernach zutreffend als "eklig" lobten.

Wie belastbar der Glaube ist, wird sich schon am Sonntag in Heidenheim zeigen

So sah man viel Wollen auf Dresdner Seite und jedoch auch weiterhin einiges an Nicht-Besser-Können. Die These, dass die Elf im Aufbauspiel den Ball nur deswegen gelegentlich verloren hätte, um gleich danach zeigen zu können, wie schnell sie ihn wieder zurückholen kann, wäre zu viel des Wohlwollens - unbeeinträchtigt davon bleibt aber der Eindruck, dass da eine neue Lust auf Kampf im Kader steckt und ein neuer Glaube daran, aus dem letzten Platz der Tabelle noch einen machen zu können, der den Nichtabstieg bedeutete.

Wie belastbar dieser Glaube ist und wie stabil gegenüber Rückschlägen, wird sich womöglich schon am Sonntag in Heidenheim zeigen. Dass es den Glauben überhaupt gibt, ist die Nachricht vom Mittwoch und das Ergebnis des "Los jetze hier!"

Ralf Minge sagt, den Winterzugängen sei alles bekannt gewesen, der Verein und auch die Tabellensituation. Bei denen, die nun neu da sind - neben Terrazino etwa der als Königsleihtransfer einzustufende Josef Husbauer aus Prag - sei die feste Zusage teilweise innerhalb von 24 Stunden gekommen. "Da war die Botschaft: Wir kommen her, um den Klassenerhalt zu schaffen", sagt Minge. Er sagt auch, dass es andere Spieler gab, die noch mal um vier, fünf Tage Bedenkzeit gebeten hätten, "das haben wir dann lieber gleich beerdigt".

Minge, der vielleicht einzige Dreieinviertelvereinsgott bei Dynamo, urteilt in Summe, man habe jetzt im Winter nur "bedingt strategisch" gehandelt, "das war Krisenmanagement, Brandherde löschen". Dies scheint insofern zumindest vorläufig funktioniert zu haben, als sich an den neuen Kollegen wie am neuen Trainer auch solche Spieler wieder aufrichten konnten, die im Düster des Herbstes selbst gefangen gewesen waren, wie nicht nur der am Mittwoch sehr agile Sascha Horvath.

Gleichzeitig passt zur Vokabel Krisenmanagement, dass diesen durch Arbeitsreichtum verdienten Sieg gegen einen verblüffend anämischen KSC in Dresden niemand allzu hoch hängen will. Von Kauczinski bis zu Kevin Broll, dem schon in der Hinrunde alles andere als düster spielenden ersten Torwart, betonten nach der Partie alle, man habe jetzt eben ein Spiel gewonnen und mehr allerdings noch nicht.

Die Losung geht in Dresden eher dahin, dass man nun 15 weitere Endspiele vor sich habe. Der Schulterschluss zwischen Mannschaft, Fans, Sponsoren sowie anderen als Umfeldgeistern zielt daher auf die komplette Rückserie. Dafür wurde sogar ein Trailer produziert, als wäre "SG Dynamo Dresden" eine neue Serienproduktion bei Netflix. Das "Los jetze hier!" bildet den Schlusspunkt dieses Trailers, der am Mittwoch in einem Stadion lief, in dem sich 27 595 Zuschauer befanden und in das zwei Tage zuvor zu einem öffentlichen Training schon ein paar tausend Fans gekommen waren. In dem Trailer taucht kurz auch der alte Schabowski mit seinem Zettel auf, und wenn in Dresden noch jemand fragen sollte, ab wann genau das "Los jetze hier!" denn nun in Kraft tritt, dann kann man ihm nur sagen: Das tritt nach Kenntnis aller ... ist das sofort, unverzüglich.

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