Süddeutsche Zeitung

Dynamo Dresden:"Es reicht nicht, einfach eine Flanke abzufangen"

Marvin Schwäbe ist einer der besten Torhüter in Deutschland - mit dem Ball am Fuß. Ein Gespräch über modernes Torwartspiel.

Interview von Sven Haist, Dresden

Die besonderen Fertigkeiten von Marvin Schwäbe, dem Torwart von Zweitligist Dynamo Dresden, werden meistens nur dann sichtbar, wenn er dazu gezwungen wird, sie zu zeigen. So wie etwa bei einem Länderspiel mit der U20-Nationalmannschaft vor drei Jahren gegen Polen, als ein Gegenspieler unmittelbar vor ihm auftauchte. In der Not behalf sich Schwäbe mit einem Beinschuss, die Szene ist daraufhin tausendfach aufgerufen worden im Internet. Schwäbe, 22, 1,90 Meter groß, in der Jugend noch Ringer, ist einer der besten Fußballer unter Deutschlands Torhütern. Seit Sommer 2016 hat die TSG Hoffenheim ihn nach Dresden ausgeliehen, wo er sich für den Sprung in die Bundesliga weiterentwickeln soll.

SZ: Herr Schwäbe, eine typische Spielsituation: Ein Teamkollege passt Ihnen in Bedrängnis den Ball zu. Normalerweise wäre das für das gegnerische Team der Auslöser, den Torwart zu attackieren. Doch bei Ihnen bremsen die gegnerischen Stürmer oft ab und verzichten darauf, Ihnen den Ball abnehmen zu wollen. Eine große Anerkennung für Sie, oder?

Marvin Schwäbe: Absolut, das ist ein schönes Kompliment. Als Torwart in Frieden gelassen zu werden, verschafft uns Ruhe im Spielaufbau. Ich erinnere mich an einige solcher Szenen, wo die Stürmer einfach abgewinkt haben, so auf die Art: Den laufen wir jetzt nicht an, das ergibt sowieso keinen Sinn.

Der Gegner stellt sich also auch auf Sie ein.

Ich habe schon das Gefühl, dass der Gegner analysiert, wie ich spiele und wohin ich den Ball passe. Meistens wird auf ein bestimmtes Zuspiel von mir spekuliert. Agiert eine Mannschaft etwa nur mit einem Stürmer, der mich von der linken Seite aus angreift, sollte mein rechter Innenverteidiger frei sein. Bei zwei gegnerischen Angreifern ist das schwieriger. In der Regel muss der Ball dann zu unserem defensiven Mittelfeldspieler ins Zentrum. Mit dem rechten Fuß tue ich mich bei diesen Aktionen etwas leichter, aber mittlerweile klappt das auch mit links ganz gut.

Sie gehen ein hohes Risko ein, die Zuspiele erfordern Präzision, ein Fehler könnte unmittelbar zum Gegentor führen.

Das ist leider bereits passiert. Wir trainieren natürlich die Woche über, um das zu vermeiden. Selbst zwischen den einzelnen Übungen nehme ich mir den Ball, um meine Fähigkeiten weiter zu perfektionieren. Beim Aufwärmen vor dem Spiel wiederholen wir zudem bestimmte Passfolgen, um ein gutes Gefühl zu bekommen.

Wie kann sich ein Torhüter diese Fertigkeiten am Ball aneignen?

Ich glaube, dass eine hohe Zahl an Wiederholungen unabdingbar ist. Ohne die Eigenmotivation sich ständig einen Ball zu nehmen und die Technik zu stärken, geht es nicht. Allerdings gehört auch Mut dazu: Es bringt ja nichts im Training, hundert Pässe mit dem schwächeren Fuß auszuführen, sich im Spiel dann aber nicht zu trauen. Am Anfang habe ich mich etwas hilflos gefühlt. Aber wenn ich sehe, wie wir als Team in der ersten Halbzeit beim Pokalspiel in Freiburg (1:3) von hinten heraus gespielt haben, sage ich: Besser geht es kaum. Das ist letztlich eine Bestätigung für die getane Arbeit.

Vor dem Spiel lobte Freiburgs Trainer Christian Streich, dass Dresden durch Ihre Qualitäten quasi einen weiteren Feldspieler im Spielaufbau hat. Ab wann haben Sie gezielt angefangen, Technikübungen für den Fuß einzubauen?

Beim DFB in den Junioren-Nationalteams haben die Verantwortlichen darauf geachtet, dass ich meinen linken Fuß nicht nur als Standbein verwende. Intensiviert habe ich das Training mit dem Fuß allerdings erst nach meinem Wechsel in die U19 der TSG Hoffenheim, wo ich auf Michael Rechner getroffen bin, ...

...einen anerkannten Torwartguru, der in Hoffenheim für die Torhüter der U19 und U23 verantwortlich war.

Mit ihm habe ich viele Zusatzeinheiten gemacht, teilweise waren wir alleine auf dem Platz. Bei meinen fußballerischen Fähigkeiten hat er Potential gesehen. Ich musste mir diese Qualität aneignen, weil in den Jugendteams in Hoffenheim Wert auf spielerische Lösungen gelegt wurde. Mittlerweile reicht es nicht, einfach eine Flanke abzufangen. Im Augenwinkel sollte ich bereits die Position meiner Mitspieler kennen, um den Ball direkt im Anschluss wieder abwerfen zu können. Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich schon vor der Klärungsaktion weiß: Ah, rechts vorne ist einer frei von uns: Da muss der Ball jetzt gleich hin.

Macht Sie das ständige Mitdenken müde?

Das Torwartspiel ist in der Tat viel Kopfarbeit. Ich muss immer auf alles gefasst sein und darf mich nie auf eine Situation festlegen und denken: Der Ball wird schon dahin kommen. Es gab genügend Szenen, in denen ein Torwart von der Mittellinie aus überlupft wurde. Das kostet Kraft. Nach dem Spiel gehe ich meistens mit leichten Kopfschmerzen vom Platz und möchte zu Hause nur meine Ruhe haben.

Ist das Mitspielen eine Stärke von Ihnen, die Sie von anderen Torhütern abhebt?

Ich würde nicht sagen, dass ich da die Nase vorne habe im Vergleich zu anderen. Ein paar Mal habe ich dem Gegner auch schon den Ball in den Fuß gespielt. Ich finde, es geht darum, auch mal wegzukommen von der Denkweise, dass Torhüter immer nur an gehaltenen Bällen gemessen werden. Das heißt jetzt nicht, dass ich nicht mehr auf der Torlinie glänzen möchte, auf gar keinen Fall. Aber mittlerweile gehört das Fußballspielen eben für einen Torwart absolut dazu. Am Ende geht es aber auch für mich nicht darum, ansehnlichen Fußball zu spielen - sondern den Ball nicht ins Tor zu lassen.

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SZ vom 03.12.2017
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