Bis zu 30 000 Fans von Dynamo Dresden werden am Mittwoch in die Bundeshauptstadt fahren, um sich das Pokalspiel ihres Teams gegen Hertha BSC anzuschauen. Solche Massen mobilisiert auswärts kaum ein Bundesligist - was einer der Gründe ist, warum die Fanszene des abstiegsbedrohten Zweitligisten als eine der schillerndsten der Republik gilt. Ein anderer Grund ist das nicht ungern selbstgepflegte "Bad-Guy-Image", das sich der harte Kern der Dresdner Fanszene zuletzt im Mai 2017 bestätigen ließ.
Damals marschierten 2300 Dynamo-Fans im Camouflage-Look zum Karlsruher Wildparkstadion, orchestriert von bengalischen Fackeln und Böllerschlägen. Die martialischen Bilder, die dieser Fanmarsch lieferte, sollten das Motto "Krieg dem DFB" veranschaulichen. Bei vielen Passanten verursachten die als Soldaten verkleideten Fans aber schlicht und einfach Angst, 22 Polizisten wurden an diesem Nachmittag verletzt - durch eigene Polizeipferde, aber auch durch Böllerwürfe, die Knalltraumata hervorriefen.
Dass nun, nach mehr als zwei Jahren andauernden Ermittlungen, die Strafbefehle dazu in Sachsen eintreffen, würde wohl nicht mal Fan-Aktivisten empören - sofern sie den Menschen gelten würden, die damals diese Böller geworfen haben. Doch deren Personalien konnten nicht ermittelt werden. Stattdessen bekamen nun diejenigen Fans Post, die die Behörden für die Organisatoren des Fanmarsches halten: der Capo von "Ultras Dynamo"; jener Fan, der die Shirts verkauft hatte - und ein paar Dutzend andere Dynamo-Anhänger, deren Identität die Polizei nach einer Razzia im Winter 2017 feststellte, bei der sie unter anderem Handys und Spielkonsolen von 28 Fans konfiszierte.
Aus Angst vor neuen hohen Kosten wird auf eine Revision verzichtet
Fast alle der insgesamt 57 Beschuldigten, die Post aus Karlsruhe bekamen, erwarten nun harte Strafen. Die vermeintlichen Organisatoren des Fanmarsches haben sogar Gefängnisstrafen auf Bewährung erhalten, die Geldstrafen bewegen sich zwischen 900 und 10 000 Euro. Den Höchstsatz muss ausgerechnet der Capo Stefan L. bezahlen, dessen Anwaltskosten sich zudem bereits auf 14 000 Euro belaufen und der wie die anderen Fans auf eine Revision verzichtet. Denn die würde womöglich eine wochenlange Anwesenheit in Karlsruhe erfordern und könnte weitere Verfahrenskosten von bis zu einer Million Euro für alle Verfahren nach sich ziehen.
Die Anwältin Angela Furmaniak, die einzelne Fans vertritt, hat Verständnis dafür, dass die meisten Anhänger die Strafen zähneknirschend akzeptieren wollen, schließlich sei die Angst vor weiteren hohen Kosten nicht unbegründet: "Aus meiner Sicht als Strafverteidigerin hätte es mich aber gereizt, die Verfahren vor Gericht zu verhandeln. Hier wurde das Recht schon bis an die äußerste Grenze gedehnt."
Dass Fans verurteilt werden können, von denen in den meisten Fällen sogar die Staatsanwaltschaft nicht behauptet, dass sie sich individuell etwas zuschulden hätten kommen lassen, beruhe auf der "Argumentation, dass die angeblichen Organisatoren des Fanmarschs für alles, was dort geschehen ist, verantwortlich sind, auch wenn sie nicht selbst gewalttätig geworden sind", schlussfolgert Furmaniak: "Ich wüsste allerdings nicht, dass diese Rechtsfigur schon einmal außerhalb des Fußballs angewandt wurde."
Zudem wertet die Staatsanwaltschaft den Dresdner Fanmarsch als politische Kundgebung, was den Vorwurf ermöglicht, gegen das Uniformierungsverbot verstoßen zu haben. Der Vorsänger L., der den Fanmarsch per Megafon dirigiert hatte und am Spieltag durchgehend von Handy- und Polizeikameras gefilmt worden war, wurde am härtesten von allen Fans bestraft - empörend, wie er meint: "Körperverletzung? Jeder konnte sehen, dass ich genau das nicht gemacht hatte. Ich habe niemanden verletzt und auch niemanden dazu animiert", betont L.
Doch um eine direkte Tatbeteiligung geht es nach Ansicht der Karlsruher Juristen auch nicht: "Diese Personen sind hinreichend verdächtig, den Einsatz der Pyrotechnik mitgetragen und organisiert sowie die eingetretenen Verletzungen der eingesetzten Polizeibeamten als möglich erachtet und billigend in Kauf genommen zu haben", heißt es in einer Erklärung der Staatsanwaltschaft.
Derweil finden die Fans, die sich in einem "Solidaritätskomitee (Soko) Dynamo" zusammengeschlossen haben, dass der Charakter des Fanmarsches falsch gedeutet wird. Was sie als - im übertragenen Sinne - Kampfansage an den DFB intendiert hatten, sei von den Juristen wörtlich genommen worden: "Die haben 'Krieg dem DFB' als politische Botschaft eingestuft - und offenbar nicht feststellen können, dass Fans ja nicht erst seit gestern auch mit Ironie und Übertreibung arbeiten", heißt es in einer Soko-Erklärung.
Schon im Sommer 2018 hatten die Dynamo-Fans aber geahnt, dass ihnen drakonische Strafen bevorstehen. Da erfuhren sie, dass jeder, der in den Chatverläufen konfiszierter Handys gefunden wurde, von nun an als Beschuldigter gelte. Dass die Staatsanwaltschaft die Einnahmen aus dem Verkauf der Motto-Shirts gepfändet hat, halten die Fans ebenso für einen Skandal.
Ein Trabant-Kübelwagen, der vorausfuhr, soll ins Museum
Hart getroffen hat es auch den Halter jenes Trabant-Kübelwagens, der dem Fanmarsch im Schritttempo vorausfuhr. Der Oldie-Sammler hatte den Fans das Gefährt für den Fanmarsch ausgeliehen; zurückbekommen wird er es wohl nie mehr. Der Trabi gilt als Beweisstück und soll im Technikmuseum in Sinsheim (Baden-Württemberg) ausgestellt werden. Dem Besitzer des Wertstückes sei signalisiert worden, dass er straffrei ausgehe, wenn er einwillige.
Um zumindest einen Teil der Verfahrens- und Strafkosten, etwa 180 000 Euro, wieder hereinzubekommen, wurde eine Sammelaktion gestartet. Knapp 40 000 Euro sind bislang zusammengekommen.
Auch der Verein Dynamo Dresden solidarisiert sich "mit voller Überzeugung" mit den Fans: "Solidarität mit Schwarz-Gelben zeigen, denen keine Ausübung von Gewalt vorgeworfen" werde, hieß es in einer Presseerklärung. Derweil haben aktuelle und ehemalige Dresdner Spieler Geld für die Fans gespendet, allein die Pokalsiegermünze des ehemaligen Dresden- und späteren Bayern-Spielers Jens Jeremies brachte 3000 Euro ein.