Doping-Affäre:Einblicke in eine irre Gedankenwelt

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Langläufer Johannes Dürr aus Österreich im Rahmen der Olympia-Einkleidung für die 22. Olympischen Winterspiele im Jahr 2014. (Foto: Expa/ Jfk/picture alliance/dpa)

Während Johannes Dürr für sauberen Sport warb und als Kronzeuge ein Netzwerk auffliegen ließ, betankte er sich weiter mit Eigenblut. Genau dieser Widerspruch sagt viel über den Leistungssport aus.

Kommentar von Johannes Knuth

Wenn in den vergangenen Tagen in der jüngsten Blutdoping-Affäre eines klar wurde, dann waren es die kreischenden Widersprüche. Da waren Dominik Baldauf und Max Hauke, die österreichischen Langläufer, die bei der Nordischen Ski-WM als Blutdoper aufflogen. Beide wollen ein neues Leben beginnen, wie sie in einem Interview jetzt erzählten: Baldauf, der in Seefeld in der Loipe verhaftet wurde, als Polizist, Hauke, im Hotel mit der Kanüle im Arm ertappt, als Medizinstudent. Auch nicht schlecht: Peter Schröcksnadel, der mächtige Präsident des Österreichischen Skiverbands. Der verkörpert wie kaum ein anderer den ÖSV, übernimmt aber offenbar nur für Erfolge die Verantwortung. Was faule oder gar verbotene Blüten treibt, wie Dopingskandale in der Dauerschleife, damit hat er natürlich nichts zu tun, wie er beteuert.

Und dann ist da nun also auch Johannes Dürr. Der österreichische Langläufer, der vor fünf Jahren als Doper entlarvt wurde und dann beweisen wollte, dass es auch sauber geht. Der einen Schriftsteller von seiner angeblichen Redlichkeit überzeugte und mit ihm ein Buch über sein Comeback schrieb, Spenden einwarb - und heimlich weiter die Bluttankstelle von Mark Schmidt ansteuerte. Bei jenem Arzt also, den Dürr bei den Behörden gerade auffliegen ließ. Das ist die bislang irrste Wendung der Affäre: dass Dürr nun beides ist in diesem Sportkrimi, Kronzeuge und Beschuldigter.

Doping-Netzwerk in Erfurt
:Dürr soll "bis zuletzt Eigenblutdoping betrieben" haben

Der Kronzeuge im Erfurter Doping-Fall hat laut Staatsanwaltschaft auch in diesem Winter gedopt. Dürr muss weiter mit einer Anklage rechnen.

Auch zwei Tage, nachdem die Innsbrucker Staatsanwaltschaft das alles bestätigt hat, macht es fassungslos. Wieso entlarvt jemand einen Arzt, der ihm bis zuletzt, entgegen aller Beteuerungen, die Blutbeutel aufbereitete? Gingen die 39 000 Euro, die Dürr eintrieb, womöglich auch für Schmidts Kurierdienste drauf (was Dürr in der ARD am Donnerstag abstritt)? Vor allem: Was ist das: dreist? Kriminell? Zwei Persönlichkeiten, die in einem Sportlerkörper ringen? Oder ist das - in Dürrs Gedankenwelt - sogar konsequent, wenn man sich in einem Systemzwang gefangen wähnt?

Ob Dürr jetzt wirklich die ganze Wahrheit berichtet hat, wie sie zu bewerten ist, welche Rolle auch die einstweilige Verfügung spielte, mit der er vom ÖSV vor seinem Geständnis belegt wurde - das wird sich wohl noch zeigen. Das Verfahren, das Dürr anstieß, ist davon unberührt, hier ist eine juristische Mülltrennung durchaus angemessen. Ohne Dürrs Aussagen kann kein Ermittler seinen Horchposten beziehen, keinen Arzt ausfindig machen, keine Blutbeutel aus Erfurter Garagen heben, keine Beweiskette knüpfen, die offenbar so dicht ist, dass die Drahtzieher umfassend kooperieren wollen.

Eine zweite Erkenntnis der letzten Tage: Wenn bislang vor allem Mittelklasse-Langläufer, Radsport-Domestiken und gedopte Kronzeugen erwischt wurden - was ist eigentlich mit der Oberschicht? Und den angeblichen Dopern a.D., die nach ihren Sperren gerne mal zu noch größerer Form auflaufen? Ist das alles möglich, weil sie plötzlich nur noch auf Talent, Fleiß, Willen vertrauen? Oder sind hier und da auch Arzneien ein Problem, die kein Labor der Welt entdeckt, die sich nur betuchte Kunden leisten können?

Man wüsste es vielleicht genauer, hätten die Sportverbände den sog. Anti-Doping-Kampf nicht über Jahre verkümmern lassen. Was jeder Funktionär und Athlet vielleicht bedenken sollte, wenn er jetzt wieder über den bösen Generalverdacht schimpft.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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