Süddeutsche Zeitung

DTTB-Pokal:Gedreht und gewendet

Svetlana Ganina verhilft dem SV-DJK Kolbermoor durch einen kuriosen Überraschungssieg gegen Europameisterin Solja zum Pokalgewinn. Ihre unangenehme Spielweise hat die 43-jährige Russin schon an so manche Reform ihrer Sportart angepasst.

Von Andreas Liebmann

Petrissa Solja ließ sich Zeit. Trocknete ihr Gesicht ab, die Unterarme, die Beine. Verharrte. Zupfte ihre Kleidung zurecht. Hätte es das Reglement erlaubt, sie hätte vermutlich noch ihre Nägel lackiert und den Hallenboden gewischt. Ihr Timeout hatte die 27-Jährige bereits im zweiten Satz verbraucht, also blieb ihr nur noch diese Handtuchpause, um zurückzufinden zu sich selbst.

Es lief der fünfte Satz ihres Auftakteinzels gegen Kolbermoor, im Finale um die deutsche Tischtennis-Pokalmeisterschaft. Es war klar, dass ihr Team, der TSV Langstadt, fest mit ihrem Sieg rechnete. Und immerhin: Solja hatte diesen fünften Satz mit furiosen Attacken begonnen, war 5:0 in Führung gelegen beim Seitenwechsel. Danach allerdings hatte sie keinen Punkt mehr gemacht, und auch die Handtuchpause beim Stand von 5:7 sollte sie nicht mehr retten. 5:11 ging die Partie verloren. Elf Punkte in Serie verlor sie an ihre Gegnerin, die die Arme hochriss, im Gesicht ungläubige Freude: Svetlana Ganina, 43, hatte etwas Großes vollbracht für Kolbermoor. Es war der erste, der vorentscheidende Schritt zum zweiten Pokalsieg nach 2019 für die Oberbayern, und Trainer Michael Fuchs versicherte später, dass es kein Zufall war, dass Ganina den riesigen Pokal für das Jubelfoto ausgehändigt bekam. Man wisse, wem man zu danken habe.

Die Bedeutung des Sieges gegen Solja ist leicht erklärt. Langstadts Nummer eins hat 2021 zwei Europameistertitel gewonnen, im Einzel und im Doppel. Sie ist Weltranglisten-19., war in diesem Pokalturnier noch ungeschlagen, hatte mit zwei Siegen gegen ihre deutschen Nationalmannschaftskolleginnen Shan Xiaona und Nina Mittelham den Grundstein gelegt zum 3:2-Halbfinalsieg Langstadts gegen Titelverteidiger Berlin Eastside. Ganina war also jenes "Break" gegen die große Favoritin gelungen, auf das Fuchs gehofft, das er aber eher nicht von ihr erwartet hatte. "Es war ein perfektes Wochenende", befand er später.

Auch wenn es oft knapper war, als die Endergebnisse ahnen ließen: Kolbermoor gewann jede Partie 3:0

Deutlich schwieriger ist es, Außenstehenden das Phänomen Svetlana Ganina zu erklären. Man müsste dazu eigentlich den Plastikball erwähnen, der nicht mehr so viel Schnitt annimmt wie jene Zelluloid-Kugeln, die er vor einigen Jahren abgelöst hat, was speziell für Schnittabwehrspezialistinnen wie Ganina eine enorme Veränderung bedeutete. Es war immer eine Stärke der Russin, gegnerische Angriffe mit enorm viel Unterschnitt abzuwehren. Und man müsste erklären, dass es neben glatten Obergummis im Tischtennis auch andere Beläge gibt, die ihre Gumminoppen außen haben, wodurch sie den Bällen einen anderen Effet verleihen als "normale" Beläge. Ganina zum Beispiel verwendet einen Langnoppenbelag auf ihrer Rückhandseite - aber dazu später mehr.

Geboren ist Ganina in Nischni Nowgorod, dem früheren Gorki, der fünftgrößten Stadt Russlands. Sie ging auf ein Internat, sei "durch die härteste russische Schule gegangen", sagt Fuchs, gewann bei Jugend-Europameisterschaften acht Medaillen, nahm an zwei Olympischen Spielen teil und an acht Weltmeisterschaften. 2007 wurde sie im Doppel für Russland Europameisterin. Von 1996 bis 2005 verdiente sie ihr Geld in der Bundesliga, nach einigen Jahren in der Heimat kam sie über Wendelstein und Hövelhof nach Kolbermoor, wo sie seit 2017 spielt. Die Mutter zweier Kinder wohnt nahe Düsseldorf, ist Teilzeitprofi. "Sehr zuverlässig, sehr diszipliniert", skizziert sie Trainer und Abteilungsleiter Fuchs, und wenn man erst mal warm werde mit ihr, sei sie "eine sehr herzliche Person". Vor allem ist Ganina, die in der Liga meist im hinteren Paarkreuz eingesetzt wird, dort eine Sieggarantin für Kolbermoor.

Das Pokalturnier in Hannover war ein besonderes, erstmals fanden die Vorrundengruppen und das Final Four an nur einem Wochenende in einer Halle statt, und der SV-DJK Kolbermoor hatte sich etwas vorgenommen. "Wir hatten gesagt, dass wir gerne mal wieder einen Titel holen würden", sagte Fuchs, und ihnen sei klar gewesen, dass die Chancen dazu im Pokal größer wären als in der Meisterschaft. Im Winter hat der Verein die routinierte Ungarin Georgina Pota dazugeholt, die nun debütierte. In zwei Vorrundenpartien, im Halbfinale gegen Böblingen und im Finale gegen Langstadt, gewann sie wie Ganina und die Nummer eins Kristin Lang all ihre Einzel. Natürlich sei alles knapper gewesen als die Endergebnisse, betonte Fuchs, und hätte Pota ihr letztes Einzel gegen Chantal Mantz nicht herumgerissen, hätte er Langstadt durchaus auch noch die Wende zum Titel zugetraut - aber am Ende hieß es eben immer 3:0 für Kolbermoor.

20 Jahre lang gewann sie nicht einen Satz gegen Qianhong Gotsch - und nun gleich ihr erstes Match

Svetlana Ganina war schon im Halbfinale gegen die SV Böblingen zur Heldin avanciert, durch ihren Sieg gegen Qianhong Gotsch, 53, auch so ein Abwehr-Phänomen. Zwanzig Jahre lang habe sie nichts gegen die gebürtige Chinesin gewonnen, erzählte Fuchs, kürzlich in der Liga dann zum ersten Mal ein Sätzchen - und nun das ganze Match. Gotsch habe später sogar berichtet, es sei das erste Mal gewesen, dass sie einer anderen Abwehrspielerin unterlegen war.

Gotsch und Ganina haben eine Menge Reformen ihrer Sportart mitgemacht, die meisten waren für Abwehrspielerinnen eher von Nachteil. Aber sie wussten sich immer anzupassen. Womit man noch mal bei den langen Noppen wäre. Gegnerinnen müssen wachsam sein und mitdenken gegen die unterschiedlichen Beläge, und Ganina hat es perfektioniert, ihren Schläger während der Ballwechsel blitzschnell zu drehen, die Noppen also mal auf der Vorhand-, mal auf der Rückhandseite einzusetzen, ohne dabei Fehler zu machen, was alles andere als einfach ist. Wenn sie dann noch mit Rückhand-Topspins und Vorhand-Schüssen aktiv wird, raubt sie Gegnerinnen jeden Rhythmus. Solja, die 16 Jahre jüngere Europameisterin, wirkte am Ende rat- und hilflos.

In der Liga ist Kolbermoor zurzeit nur Vierter. Die vor der Saison verpflichtete Matilda Ekholm lebt inzwischen in New York und hatte noch keinen Einsatz; auch bei Pota, deutet Fuchs an, könne es schwierig werden mit Ligaspielen. Sie hat ein kleines Kind in Ungarn. Gut möglich, dass es Pota bei diesem Pokalabenteuer belässt. Doch selbst wenn, sagt Fuchs: Mit einer Ganina in dieser Form könne man auch in der Liga noch einiges bewegen.

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