Süddeutsche Zeitung

Motorsport:Die DTM ist wieder konkurrenzfähig

Die alte Dame tanzt wieder: Serienchef Gerhard Berger hat es geschafft, aus dem Auslaufmodell DTM wieder eine lebendige Rennserie zu machen. Er profitiert dabei auch von der Schwäche der Formel E.

Von Thomas Gröbner, Nürnberg

Gerhard Berger weiß ja, wie Champagner in den Augen klebt und brennt. Der ehemalige Formel-1-Pilot und DTM-Chef hat sich deshalb bei den Feierlichkeiten am Norisring um eine Dusche gedrückt, und so konnte er trocken und trotzdem glücksbeschwipst berichten, dass alles ziemlich "great" sei: Die Zuschauer, das Rennen auf der engen Schleife, die Sonne über dem Nürnberger Dutzendteich. Der 62-jährige DTM-Chef war, ja, in Champagnerlaune.

Dabei hatte es vor einem Jahr noch so ausgesehen, als wäre die letzte Brausebuddel endgültig geleert, selbst gestandene Fahrer wie der BMW-Pilot Marco Wittmann, seit 2013 in der DTM, hielten die Serie für mausetot, und nicht alle waren traurig. Der Kampf um Aufmerksamkeit und Zuschauer ist hart im Motorsport, einige hätten es deshalb gerne gesehen, wenn die DTM verschwände, glaubte Berger noch am Saisonstart. Doch die totgeglaubte Motorsport-Serie hat in einem furiosen Finale gezeigt, dass Berger ihr wieder Leben einhauchen konnte.

Tatsächlich schien 2020 der Exodus der großen Werksteams das endgültige Ende einzuläuten: Audi und BMW stiegen aus der DTM aus, Mercedes hatte sich schon Ende 2018 verabschiedet. Audi wollte "um den Vorsprung von Morgen mitfahren" in der Formel E, die eine moderne, woke Version der Formel 1 sein sollte. Die röhrenden Verbrenner in der DTM schienen eher für das Gestern zu stehen, die 34 Jahre alte Geschichte der DTM auserzählt.

1200 PS sollen Überzeugungskraft liefern

Doch die Formel E hat ihr Versprechen nicht halten können, die "Petrolheads" von der elektrifizierten Rennserie zu überzeugen. BMW, Mercedes und Audi haben der Serie schnell wieder den Rücken gekehrt, und so spült der Audi-Rückzug den dominierenden Piloten der letzten Jahre wieder zurück in die DTM. Der dreimalige DTM-Champion René Rast kehrt aus der Formel E zurück und heuert bei Abt an. Es scheint, als sei es Berger gelungen, die Schwäche der Formel E zu nutzen für die alte Tante DTM, die plötzlich wieder ganz ansehnlich daherkommt.

Aber nur in den Rückspiegel zu schauen, das kann sich auch die DTM nicht erlauben. Und deshalb drehte sich am Wochenende am Norisring auf einem Podest ein Prototyp eines 1200-PS-Tourenwagens mit Elektroantrieb. Ein Auto, das die Fans mitnehmen soll, Tausend PS könnten doch eine ordentliche Überzeugungskraft entwickeln, glaubt Berger; die Fans würden sich ja zuvorderst nach harten Rennen sehnen, nicht nach Abgasen. Ab 2023 oder 2024 will auch Berger seine Tourenwagen mit Elektroantrieb sehen. Ob das reicht, auch die Motorsportpuristen zu überzeugen? "In ein paar Jahren kennen wir die Antwort", sagt Berger.

Das Duell Lawson gegen Van der Linde eskaliert in der ersten Kurve

In der Gegenwart donnern benzingetriebene Audi, BMW, Mercedes, Ferrari und Lamborghini über die Strecke, aber die teuren Prototypen sind Rennwagen auf GT3-Basis gewichen, die Kosten sind damit um die Hälfte gesunken. Eine Softwaresimulation spuckt Berechnungen aus, anhand derer die schnellsten Boliden mit Zusatzgewicht bepackt werden. Das Versprechen der Simulationssoftware: Auf der Strecke seid ihr alle gleich. Mit dieser "Balance of Performance" (BoP) konnte die DTM neue Teams locken, die nicht fürchten mussten, erst Jahre hinterherzufahren, sondern gleich Sponsoren mit Punkten glücklich machen können. Dass es bis zum Ende ein Vierkampf um den DTM-Titel am Norisring gab, kann als Beleg gelten dafür, dass der Ansatz funktioniert.

Doch das Rennen auf dem engen Kurs in "fränkisch-Monaco" lieferte auch Bilder, die der Motorsport nicht gerne sieht: Der 19-jährige Neuseeländer Liam Lawson wurde mit seinem Ferrari gleich an beiden Renntagen vom Zweitplatzierten Kelvin van der Linde in der ersten Kurve abgeräumt, die Attacken des Südafrikaners kosteten Lawson den sicher geglaubten Titel: "Das ist der dreckigste Rennfahrer, gegen den ich je gefahren bin", schäumte das Supertalent danach. Auch sein Teamchef Ron Reichert klagte: "Es ist einfach eine Schande für den Sport, was heute wieder auf der Rennstrecke passiert ist." Er dürfte damit auch auf das finale Manöver anspielen, mit dem Mercedes-Pilot Maximilian Götz dem 19-Jährigen, dem Berger "zu 100 Prozent" eine Zukunft in der Formel 1 prophezeit, doch noch den Titel entrissen hatte.

Denn die führenden Mercedes-Piloten der anderen Teams verstanden sich in den verbliebenen beiden Runden plötzlich als Marken-Brüder und ließen Götz passieren, der so den Sieg und den Titel holte. "Ich verstehe, dass Mercedes der Familie helfen will", sagte Berger auf der Pressekonferenz, "aber es gefällt mir nicht." Entschuldigen müsse er sich nicht dafür, den Triumph so zu bekommen, findet Götz: "Danach fragt später keiner mehr, ich steh in den Geschichtsbüchern, das macht mich stolz." Die Familie, sie ist immer noch wichtig in der alten Tante DTM.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5436616
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/pps/sfi/cch
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.