Süddeutsche Zeitung

DSV:Die Sechs-Schanzen-Tournee

Für die Skispringer beginnt ein dicht getakteter Saisonhöhepunkt. Die Deutschen sind gut eingestellt.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Der Berg lädt zum Wandern ein. Die Tannen leuchten grün, und die Wiesen über Oberstdorf sind zwar etwas bräunlich, aber sonnenbeschienen, man möchte dort verweilen. Irgendwo weiter oben im Fels schimmert etwas Weißes, wahrscheinlich ist es echter Schnee, anders als das Kunstprodukt, das unten den Auslauf der Schattenbergschanze bedeckt. Während der Anfahrt nach Oberstdorf, auf Höhe Nesselwang, hat Bundestrainer Werner Schuster Golfspieler gesehen, aber das sind alles nur äußere Umstände. Tatsächlich beginnt am Montag die 64. Vierschanzentournee, die Aufregung steigt, und mancher Wanderer schirmt seine Augen ab und schaut gebannt durch die Glasfront in den Oberstdorfer Pressesaal, wo Schuster gerade etwas von seiner Strategie verrät für diese Vierschanzentournee, die ja eigentlich eine Sechsschanzentournee ist.

Die Skispringer werden bis zum 17. Januar unterwegs sein. Zunächst absolvieren sie natürlich den Jahreshöhepunkt, die Vierschanzentournee, doch kaum hat der Gewinner am 6. Januar seine Trophäe in den Händen, muss er sie schon wieder weglegen, denn am nächsten Tag geht es weiter nach Willingen im Hochsauerland, wohin der Weltverband Fis noch einen Weltcuptermin gelegt hat. Willingen ist zugleich die Generalprobe für die Skiflug-WM am Kulm in Österreich. Das Ganze ist eine Herausforderung, sagt Schuster: "Wir brauchen ja auch Regenerationszeit für die folgenden Wettkämpfe." Also haben sich die Deutschen in diesem Jahr zwei Neuerungen im Tournee-Plan einfallen lassen. Die eine steht unter dem Motto "Vier-Schanzen-Simulation", die andere unter "Sechs Tage im selben Bett".

Letztere Neuerung ist ein Übernachtungstrick und gar nicht so innovativ, denn die Österreicher, bei denen Rekord-Weltcupgewinner Gregor Schlierenzauer nach seiner Auszeit wieder dabei ist, haben es vergangenes Jahr auch schon ausprobiert - damals mit dem Erfolg eines Gesamt-Doppelsieges von Stefan Kraft und Michael Hayböck. Die Deutschen übernachten diesmal also auch in Seefeld, örtlich zwischen den Stationen Garmisch und Innsbruck, sie sparen sich einen Hotelwechsel und die damit verbundene innere Ablenkung und Neugewöhnung.

Aufwendiger war dagegen Schusters zweite Maßnahme. Sein Team hat die Tournee auf den Schanzen Oberstdorf, Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen im Sommer einmal simuliert, und zwar eins zu eins. Man schlief in denselben Hotels, hielt dieselbe Reihenfolge ein, beachtete streng dieselben Zeitabstände, trainierte mit denselben limitierten Probezeiten, und versuchte sich dann zu denselben Tageszeiten in zwei Entscheidungsdurchgängen. Man hatte alles, erzählt Schuster schmunzelnd, "nur die 15 000 Freiwilligen, die sich an den Schanzen als Zuschauer einfinden, konnten wir nicht finden".

Viel Lernen aus wenig Feedback - das erfordert die Tournee

Die wären zur Abhärtung aber nicht unwichtig gewesen, denn der Rummel, der Lärm und die Erwartungen spielen für die Deutschen vor eigenem Publikum durchaus eine Rolle. Schuster glaubt dennoch trotz mancher Enttäuschung in Oberstdorf nicht an ein psychologisches Problem seiner Springer. Mit der Simulation bezweckte er etwas anderes. "Die Springer müssen in den kommenden drei Wochen extrem schnell präsent sein", sagt er. Seine Top-Springer Severin Freund, Richard Freitag und Andreas Wellinger und dazu Stephan Leyhe, Marinus Kraus und Andreas Wank sollten trainieren, sich mit wenigen Probesprüngen auf den entscheidenden Moment, den veränderten Kurvenradius und den längeren oder steileren Hang einzustellen. Kurz gesagt, sie haben das Üben geübt.

"Es ist uns ganz gut gelungen", sagt Schuster, und wer weiß, vielleicht wird die Simulation ja zur Routine. Die 15 000 Zuschauer werden sich auch bald finden, sie kommen ja auch in diesen Tagen nach Oberstdorf - mitten im Sommer.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2015
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