Paul Drux bei der WM:Er könnte einer der besten Handballer der Welt sein

Handball WM · Deutschland - Kroatien

"So ein Mittelding kam für mich nie infrage": Paul Drux (l.) wird für sein körperliches Spiel geschätzt.

(Foto: dpa)
  • Im Januar findet die Handball-Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark statt.
  • Ob die deutschen Handballer dabei auf ihren starken Rückraumspieler Paul Drux zurückgreifen können, ist wieder einmal ungewiss.
  • Nach Bänderrissen im Sprunggelenk absolvierte er eine Reha. An diesem Donnerstag steht Drux nun mit den Berliner Füchsen vor seinem Bundesliga-Comeback.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Drinnen quietschen die Schuhe über den Belag, draußen auf dem Gang gibt Paul Drux, 23, eine Führung wie durchs eigene Wohnzimmer. Große Fotoleinwände hängen dort, auf einigen sind Meisterschaftsbilder der A-Jugendmannschaften aus den vergangenen Jahren abgebildet, Drux findet sich selber im Vorbeigehen. Ein Mal Tippen, fast ohne hinzuschauen, zack: Meisterschafts-Paul 2014. Auf der Wand gegenüber dehnt sich die Galerie der Profis aus, mit dem EHF-Pokal etwa, Drux geht von einem Bild zum anderen. Hinter der Wand zischen die Bälle Richtung Tor. Paul Drux macht Reha.

Sportforum Berlin, es ist einer der ersten richtig kalten Tage in der Hauptstadt, das Grau hat sich über die Straßen gelegt, das Grau bleibt jetzt da. Neben der Trainingshalle ragt eine Brauerei in den dunstigen Himmel, zahllose Kästen türmen sich daneben. "Wenn die ihre Tanks aufmachen, stinkt es hier ziemlich nach Hopfen", sagt Drux, er kennt diese Tage, er kennt viele Tage in Berlin. Seit sieben Jahren ist er hier. Seit er als 16-Jähriger ans Sport-Internat gekommen ist, vom VfL Gummersbach, um Profi-Handballer zu werden. Mit 17 gab er seine Bundesliga-Premiere, mit 19 absolvierte er sein erstes Spiel im Nationaltrikot.

Seit er 16 ist, steht Paul Drux in Berlin für ein Versprechen

Doch Paul Drux zu sein heißt eben auch: Als großes Talent in einem Sport erwachsen geworden zu sein, dessen Strapazen ihn allzu oft ausbremsten auf seinem Weg in die Weltspitze. Nach seiner WM-Premiere 2015 hat er in den vergangenen vier Jahren nur ein Turnier gesund beginnen und beenden können: Olympia 2016, Bronzemedaille. "Hoffentlich war das nicht alles", sagt Drux. Kommende Woche startet ein Länderspiellehrgang, Paul Drux ist noch nicht wieder im Nationalteam dabei.

Noch fünf Wochen bis zur Handball-WM.

Seit er 16 ist, steht Paul Drux in Berlin für ein Versprechen. Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning hat ihn nach Berlin gelotst und dann recht früh einen Satz gesagt, der bis heute an dem Sportler klebt. Damals war Drux gerade 19 Jahre alt, als Hanning prognostizierte: "Er kann der neue Nikola Karabatic werden". Der König auf der Königsposition, Rückraummitte, Dirigent im Vollkontaktsport. Was Drux dafür mitbringt: eine massive Statur, um sich durch die Abwehr zu wuchten, und die Übersicht, um das Spiel zu leiten. Wie geht man damit um, mit 19 die schönsten Zukunftsprognosen zu bekommen - und dann ständig verletzt zu sein?

Während die Mannschaftskollegen in der Halle die Spielzüge durchgehen, schwitzt Drux einen Raum weiter, Gerätetraining, Aufbau-Übungen. "Ich versuche, mir den Tag so zu legen, dass ich die anderen noch sehen kann", sagt er. Anfang Oktober musste er am linken Sprunggelenk operiert werden, Überbleibsel alter Verletzungen, Narbengewebe wurde entfernt, "jetzt habe ich da zwei schöne Schrauben drin", sagt er. Schon im Sommer 2015 hatte ihn eine komplizierte Schulter-OP viele Monate Rehabilitation gekostet - und die Teilnahme an der EM 2016 in Polen, von der die Nationalmannschaftskollegen mit der Goldmedaille heimkehrten. "Ein gemischtes Gefühl" hätte er damals gehabt, auf der einen Seite die Freude für die anderen, auf der anderen "war ich natürlich auch ein bisschen traurig", sagt er. Als ginge es dabei nur um eine verpasste Geburtstagsfeier und nicht um EM-Gold, eine der wertvollsten Medaillen im Handball.

Bei der WM 2017 musste er mit einer Knöchelverletzung ein Spiel pausieren, das war noch eine Kleinigkeit im Vergleich zu anderen Turnieren. Im anschließenden Sommer zog er sich einen Meniskusriss zu, wieder monatelang Pause. Bei der EM 2018 erneuter Meniskusriss, im März Bänderrisse im Sprunggelenk. "Dieses und letztes Jahr waren sehr bitter", sagt Drux, "immer wenn ich zurückkam, wurde ich erneut aus dem Tritt gebracht." Leicht frustrierend, nennt er es noch. Und wirkt doch so positiv.

Drux findet: Handball hat ein strukturelles Problem

Im Grunde ist er ja genau damit erwachsen geworden: dass das Leben Situationen bereithält, die nicht immer komfortabel sind und die einen vor Aufgaben stellen. Er habe durch die vielen Verletzungen auch was fürs Leben gelernt, sagt der 23-Jährige: "dass es außerhalb des Handballs noch ganz viele andere Sachen gibt." Nach dem Abitur im Internat hat er sich für Wirtschaftsinformatik eingeschrieben, um beständig auch was für den Kopf zu tun. Seit er sportlich öfter pausieren muss, betreibt er sein Studium "mit mehr Nachdruck", sagt Drux, auch weil er Spaß am Programmieren gefunden hat. "Das lineare Denken gefällt mir. Dass man gesagt bekommt: Wenn etwas so ist, ist es so. Dann akzeptiert man das und hinterfragt es nicht besonders. Damit kam ich bisher immer gut klar." Was einem weiterhelfen kann, wenn man gezwungenermaßen mehr Reha- als Handball-Profi ist. "Man hat ja nur zwei Möglichkeiten", sagt Drux: "Entweder man reißt sich den Hintern auf oder man lässt es bleiben. So ein Mittelding kam für mich nie in Frage. Entweder ganz oder gar nicht."

Ganz oder gar nicht, so erlebt man Drux auch auf dem Spielfeld. Ist er fit, fällt er durch Furchtlosigkeit auf, er sucht den Kontakt zum Gegner in Eins-gegen-ein-Situationen und hat eine Wurfgenauigkeit, die er sich durch Fleißarbeit nach dem Mannschaftstraining aneignete. Dagur Sigurdsson, bis 2015 Trainer der Füchse und Förderer von Drux, bis 2017 auch Nationaltrainer, hat ihn in wichtigen Jahren geprägt, "er hat mich gelehrt, Mut zu haben", sagt Drux, "dass man sich Situationen stellt, auch wenn sie zunächst beängstigend erscheinen". Entscheidende Fähigkeiten für einen Spielgestalter. Aber auch als Dirigent im eigenen Leben.

Dass es immer wieder ihn erwischt mit den Verletzungen, damit hadert er nicht, "das liegt auch ein bisschen an meiner Spielweise", sagt er, und manchmal kommt eben noch Pech dazu. Seit Jahren wird eine Belastungsdebatte im Handball geführt, auch Drux findet: Der Sport hat ein strukturelles Problem. "Das Problem ist die geringe Pause im Sommer oder Winter. Jeder würde es begrüßen, viele englische Wochen zu haben und dafür zwei Monate Pausen dazwischen", sagt Drux, und auch: "Da müssten sich mal einige Personen, die oben was zu sagen haben, zusammensetzen. Und da sollte es mehr um die Sportler gehen und nicht nur darum, wie man Handball besser vermarkten kann." Aussagen, in die er auch erst hineinwachsen musste.

Drux hofft darauf, noch rechtzeitig fit zu werden

Ob man den besten Paul Drux schon einmal gesehen hat? Drux zögert kurz, dann sagt er: "Ich glaube, ich hatte schon ein paar ganz gute Spiele, ich war bisher nicht ganz so schlecht. Aber natürlich hätte ich das schon gerne mal über längere Strecken gezeigt." Die Olympischen Spiele in Rio waren sein bestes Turnier, "es war kein katastrophales Spiel dabei", sagt er, er ist ein dankbarer, fast demütiger Mensch. Persönliche Titel seien ihm "so was von komplett egal", mit der Mannschaft will er Titel gewinnen, sonst nichts. Deswegen ist das mit dem Karabatic-Vergleich von vor vier Jahren auch etwas, das er lieber ausblendet. "Ich habe immer gesagt, ich bin kein Karabatic", sagt Drux, "ich habe immer versucht, ich selbst zu bleiben." Und während er so erzählt in den Gängen der Halle, kommen Teamkollegen herbei, andere Füchse, man grüßt sich per Handschlag.

Dass er auf der Mittelposition genauso wie im linken Rückraum eingesetzt werden kann, macht Drux gerade jetzt zu einem noch begehrteren Mann im Nationalteam - einige Kollegen sind verletzt und fallen aus für die Heim-WM im Januar, Drux hofft darauf, noch rechtzeitig fit zu werden und in die Mannschaft zu rutschen. "Die Vorrunde in Berlin, das ist ja fast mein Wohnzimmer", überlegt er laut, "und dann die Hauptrunde in Köln. Das wäre ja... wie gemalt eigentlich." Wie gemacht für Paul Drux. Doch auch mit niederschmetternden Diagnosen hat er gelernt, umzugehen. Vielleicht klingt es so, das Erwachsenwerden im Sport, wenn einer ohne Bitterkeit in der Stimme sagt: "So schön der Sport ist, ist es manchmal auch hart. Manchmal bist du auf der einen Seite, manchmal auf der anderen."

Auf der einen Seite quietschen die Handballschuhe übers Parkett, auf der anderen gucken die Reha-Patienten durch die Glasscheibe in der Tür. Paul Drux lächelt dabei.

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