Druck im Leistungssport:Hilfe muss von außen kommen

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Mit Ralf Rangnick hat sich wieder jemand wegen mentaler Erschöpfung zurückgezogen, der als stark galt. Die stille Bedrohung nimmt überrall zu, im Spitzensport offenbart sich eine dramatische Entwicklung - die der Sport nicht selbst lösen kann.

Thomas Kistner

Ausgebrannt. Auch Ralf Rangnick kann nicht mehr. Wieder einer, über den es immer hieß: Er war so stabil. So stabil wie der grimmige Markus Miller, zuletzt Ersatztorwart bei Hannover 96, der sich erst vor Tagen aus dem Bundesligabetrieb zurückzog. Grund: Burnout-Syndrom.

Reaktionen auf Rangnick-Rücktritt
:"Ein großer Schock"

Ralf Rangnick ist zurückgetreten, weil er an einem Erschöpfungssyndrom leidet. Viele Trainer-Kollegen erklären, dass der Druck auf sie zunimmt und leiden mit dem Schalker Ex-Trainer. Die Nachricht trifft viele in der Bundesliga persönlich. Die Reaktionen.

Vielleicht hat sich die Situation im harten Profigeschäft Fußball aufgrund der Diskussionen nach dem tragischen Tod von Robert Enke doch ein klein wenig verändert. Vielleicht werden Schwächen und Krankheiten eher toleriert und respektiert als noch vor zwei Jahren", äußert DFB-Chef Theo Zwanziger zu dem Fall - in einem Blatt, welches das Publikum detailliert auf dem Laufenden hält zu Schicksals- und Intimbereich bekannter Sportler.

Losgelöst vom Fall Rangnick: Vielleicht ist es ja umgekehrt. Vielleicht hat sich die mediale Dauer-Observation, ein elementarer Teil dieses immer härter werdenden Profibetriebes, schon so tief eingenistet im Gewebe Leistungssport, dass sie dort zweierlei bewirkt: Sie beflügelt (über die ständige Er- und Übermittlung noch der banalsten Lebensvorgänge) die Prozesse, die sensible Gemüter in Erschöpfungszustände treiben können. Und sorgt zugleich dafür, dass eintretende "Schwächen und Krankheiten" öffentlich toleriert werden müssen: Weil sie sich in einem vollüberwachten Hochglanz-Zirkus sowieso nicht unter dem Deckel halten ließen. Auch nicht, wenn es dem Betroffenen lieber wäre.

Die stille mentale Bedrohung nimmt in allen Gesellschaftsbereichen zu. Im Sport offenbart sich eine dramatische Entwicklung, von Skispringer Sven Hannawald bis zur nationalen Fußballhoffnung Sebastian Deisler: Sie sind erleichtert ausgestiegen. Neben solchen Fällen aber, das wird auch bei dieser Debatte gern vergessen, hat der Zuchtbetrieb Spitzensport noch eine ureigene Abteilung, die Höchstrisiken für Leib und Seele kreiert: Welchen Schaden richten all die Pharmapräparate an, die - erlaubt oder unerlaubt - im Geschäft mit dem Körper konsumiert werden, oft ja täglich? Wie gespalten müssen Selbstgefühl und Berufsphilosophie all derer sein, die ihre Leistung mit Doping befeuern - und dies zugleich ständig leugnen (müssen)?

Eigene Betriebspsychologie

Suchtverhalten im Sport wird aber gern nur in den US-Profiligen lokalisiert, dort, wo das Problem nicht mehr zu übersehen ist. Ski-Freestyler Jeret Peterson, der 2010 bei Olympia in Vancouver Silber für die USA gewann, beging vor zwei Monaten Suizid. Gleich drei Todesfälle beklagte in jüngster Zeit die nordamerikanische Eishockeyliga NHL. Wade Belak, Derek Boogaard und Rick Rypien wurden tot aufgefunden; mal war es Depression, mal ein tödlicher Medikamenten-Cocktail. Wie fließend sind die Grenzen? Die NHL kündigt an, sie wolle nun ihr Programm für psychisch gefährdete Profispieler intensivieren.

Schwer vorstellbar, dass die Lösungen ausgerechnet im Hochfinanzsektor Spitzensport zu finden sind. Der pflegt zudem längst seine eigene Betriebspsychologie. Eine, die Sportlern hilft, sich in ihrer Berufswelt durchzubeißen, die um rein merkantile Fragen kreist: Stimmt die Leistung, das Image, das Ego?

Der Sport, das ist die Erkenntnis, hat ein Problem, das er nicht selber lösen kann. Diese Leistungsmaschine kennt nur eine Richtung: schneller, höher, weiter; den Rest regeln eigene Werkstattbetriebe. Zwar diskutiert seit Enke das halbe Land über das Thema. Bewirkt hat es nichts in einem Geschäft, für das nicht Erkrankung oder Erschöpfung das Hauptübel ist, sondern die Pause.

© SZ vom 23.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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