Drittligist bei der WM:Aufgewacht in Berlin

Russland - Deutschland

Gefragter Hilfsmanager im Anflug: Weil der in Erlangen geborene Sergej Gorpischin so gut deutsch spricht, war er für die russische Nationalmannschaft nicht nur auf dem Spielfeld wichtig.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Sergej Gorpischin spielt beim HC Erlangen meist in der dritten Liga - und für Russland bei der Handball-Weltmeisterschaft.

Von Joachim Mölter

So eine Weltmeisterschaft strengt ganz schön an, das war Sergej Gorpischin anzusehen. Mit jedem Tag, der bei der Handball-WM verging, verging ihm auch das Lächeln etwas mehr, schwand der Schwung aus seinem zunächst so federnden Schritt, sackte der mächtige Körper des Zwei-Meter-Mannes ein wenig mehr in sich zusammen. "Es ist eine super Atmosphäre, es macht super viel Spaß, die Spiele sind super", fasste der 21-Jährige das Erlebnis seines ersten großen Turniers zusammen: "Aber es ist natürlich auch super-ermüdend. Ich für meinen Teil bin jetzt ein bisschen platt." Lädiert ist Gorpischin obendrein, er pult sich ein Klebeband von den Fingern der rechten Hand, während er erzählt, eine Kapselverletzung: "Wenn man die Chance hat, bei der WM zu spielen, taped man alles."

Siebenmal innerhalb von zehn Tagen ist der Kreisläufer Gorpischin für die ruhmreiche russische Nationalmannschaft aufgelaufen, für die das Turnier am Sonntag freilich schon beendet war, mit der 28:34-Niederlage gegen Katar im Spiel um Platz 13. Acht Tore hat Gorpischin dabei erzielt, drei Zeitstrafen kassiert, 198 Minuten war er insgesamt im Einsatz. Sein Klub, der HC Erlangen, hat ihn in der gesamten Saison nicht so viel beansprucht, da stand er nur zehnmal überhaupt im Bundesliga-Kader. Klar, dass er sich in erster Linie über die viele Spielzeit freute. "Ob ich jetzt mit der U23 von Erlangen vor 300 Leuten in der Hirsemann-Halle spiele oder hier bei der WM vor 10000 - ich liebe jede Sekunde auf dem Feld", sagte er während der Vorrunde in Berlin. Da schwärmte er noch: "Es ist ein Traum, den ich gerade lebe - ich wache in Berlin auf und bin bei der WM."

Gorpischins Vater gehört zur letzten goldenen Generation des russischen Handballs

Dass der russische Nationaltrainer Eduard Kokscharow einen Spieler in seinen WM-Kader beruft, der hauptsächlich in der dritten Liga unterwegs ist, ist ja tatsächlich etwas traumhaft und nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Aber die Nominierung hat Sergej Gorpischin wohl auch seinem Namen zu verdanken: Sein Vater Wjatscheslaw, 49, gehört zur letzten goldenen Generation des russischen Handballs, ausgebildet beim legendären ZSKA Moskau, Olympiasieger 1992 und 2000, Weltmeister 1993 und 1997. "Erlangen war die erste Station meines Vaters im Ausland", erzählt Gorpischin junior; es ist die Erklärung dafür, dass er dort geboren wurde - in der Stadt, in die er im Sommer 2017 als Profi zurückkehrte. Groß geworden ist er in Hildesheim, von wo aus der Vater später zu wechselnden Engagements bei deutschen Klubs aufbrach. In Erlangen ist er immerhin fünf Jahre geblieben, von 1995 bis 2000.

Sergej Gorpischin hat sich nicht wirklich um einen deutschen Pass gekümmert, "ich darf hier ja alles außer wählen", sagt er und fügt hinzu: "Die Hälfte der Deutschen wählt auch nicht, insofern fühle ich mich zur Hälfte auch als Deutscher." In der russischen Mannschaft war Sergej Gorpischin wegen seiner Deutschkenntnisse eine Art Hilfsmanager während der Weltmeisterschaft: Immer wenn es irgendwas zu bestellen gab im Hotel, wenn etwas besorgt werden musste, schickten sie ihn vor. Als Laufbursche hat er sich dabei freilich nicht missbraucht gefühlt, die Zeit der strengen Hierarchien, in der die Jungen sich erst einmal hochdienen mussten innerhalb einer Mannschaft, sind auch in der russischen Auswahl vorbei. Er kennt die Geschichten von seinem Vater, bei dem er sich "natürlich" auch mal einen Rat holt.

Russlands Team befindet sich im Umbruch - Gorpischin steht dabei für Vergangenheit und Zukunft

Bei dieser WM saugte Sergej Gorpischin alle Tipps auf, die er bekam, von wem auch immer, Trainern, Mitspielern. "Das sind so erfahrene Leute", sagt der Handballer, "was die einem sagen, kann man noch mehr mit Gold aufwiegen als im Klub." Der 35 Jahre alte Linksaußen Timur Dibirow zum Beispiel, Champions-League-Gewinner mit Skopje. Oder der 36-jährige Rechtsaußen Dimitri Kowalew, "der hat noch mit meinem Vater zusammen gespielt", weiß Gorpischin junior. Trainer Kokscharow sowieso, der 43-Jährige ist an der Seite von Wjatscheslaw Gorpischin sogar noch Weltmeister und Olympiasieger geworden.

Kokscharow soll eine neue starke Mannschaft in Russland aufbauen, im Moment befindet sich die Auswahl jedoch im Umbruch, Sergej Gorpischin schlägt dabei sozusagen die Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Die Gegenwart war dabei erst mal ernüchternd, die Russen hatten sich mehr vorgenommen als Platz 14 bei diesem Turnier, "aber wir haben gezeigt, dass wir Potenzial haben", findet er, gerade in den Partien gegen Deutschland (22:22) und Weltmeister Frankreich (22:23).

Durch das frühe Ausscheiden hat Sergej Gorpischin jetzt sogar mehr Zeit zum Lernen, er studiert ja noch Maschinenbau an der Universität Erlangen und demnächst stehen Prüfungen an. "Ich muss jetzt quasi in einer Woche anderthalb Monate aufholen und dann noch für die Klausuren lernen", sagt er, "mal schauen, wie das ausgeht."

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