Dritter Platz bei WM:Belgien frönt der Leichtigkeit

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Eden Hazard (Mitte) ist an nahezu jeder genialen Aktion der Belgier beteiligt. (Foto: REUTERS)
  • Die belgische Nationalmannschaft sichert sich mit dem dritten Platz bei der WM in Russland das beste Ergebnis ihrer Geschichte.
  • Gegen England zeigen die Akteure um Kevin De Bruyne, dass sie auf ästhetischen Fußball setzen.
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Von Sven Haist, Sankt Petersburg

An der hinteren Eckfahne fing Belgien mit dem Angriff an. Bis eine Mannschaft den Ball von dieser Stelle aus zielgerichtet vor das gegnerische Tor gebracht hat, vergeht normalerweise eine Zeit, in der der Spielfluss oft mindestens einmal unterbrochen wird. Die belgische Mannschaft lieferte im Spiel um den dritten WM-Platz gegen England aber ein Beispiel, wie sich der Platz schnell, sinnvoll und ästhetisch überspielen lässt.

Die Konterspezialisten aus Belgien ließen den Ball in der Schlussphase über elf Stationen quer über den Rasen laufen, ohne dass das Spielgerät zur Ruhe gekommen wäre. Um die Kombination in ihrer Vollkommenheit genießen und nachvollziehen zu können, kommt man nicht umhin, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen.

Im eigenen Strafraum schirmte der eingewechselte Moussa Dembele nach einem Ballverlust der Engländer das Spielgerät mit dem Körper vor Marcus Rashford ab, um ihn mit einem Kontakt an Kapitän Vincent Kompany weiterzuleiten. Der schaffte den Ball mit seinem Pass zu Außenbahnspieler Dries Mertens direkt aus dem Strafraum, der wiederum kurz abtropfen ließ zum nahe an der Eckfahne positionierten Jan Vertonghen. Der Innenverteidiger täuschte einen Befreiungsschlag auf die Tribüne an, ehe sein scharfes Zuspiel in der Mitte der eigenen Spielhälfte den Ausnahmekönner Eden Hazard erreichte. Mit einem Hackentrick, der in seiner Genialität vermutlich nur ihm vorbehalten ist, löste Hazard sich aus der englischen Umklammerung, drehte sich ins Zentrum, während der Ball nach außen zu Mertens weiterlief. Vier Pässe und acht Ballkontakte tauschten Mertens und Kevin De Bruyne, einer der besten Passgeber der Welt, untereinander aus. Dann legte Mertens von der linken Seite den Ball halbhoch rüber zur rechten Strafraumkante, wo der mitgesprintete Thomas Meunier mit dem Außenrist volley abzog.

Der Ball flog direkt aufs Toreck zu und wäre auch im Toreck gelandet, wenn nicht der englische Torhüter Jordan Pickford den Spielverderber gegeben hätte. Mit einer Rettungstat, die ähnlich großartig aussah wie der belgische Tempogegenstoß, vereitelte Pickford die vielleicht am schönsten herausgespielte Chance des Turniers. Ohne Nachbearbeitung könnte der Angriff ins Fußballmuseum für Liebhaber des sogenannten schnellen Umschaltspiels gestellt werden - direkt neben das Führungstor der Belgier. Die Szene war ebenfalls aus dem eigenen Strafraum heraus entstanden und auch hier kam England nicht einmal zwischendurch an den Ball. In elf Sekunden trugen die Belgier den Angriff über vier Spieler und sieben Ballkontakte vor. Einen Flugball des Torhüters Thibaut Courtois köpfte Nacer Chadli auf der linken Seite in die Mitte, wo De Bruyne mit einer Körpertäuschung den Weg zur Ballannahme für Romelu Lukaku freimachte. Dessen raumöffnender Pass hinter die gegnerische Abwehrkette zu Chadli flankte der pfeilschnelle Außen zu Meunier, der den Ball nach drei Minuten und 36 Sekunden aus kurzer Distanz nur über die Torlinie befördern musste.

Gelohnt hat sich auch das Zusehen beim zweiten Treffer der Belgier durch Hazard (82.), der natürlich wiederum auch im eigenen Strafraum losging. In diesmal zwölf Sekunden spielten sich die Roten Teufel über fünf Profis mit zwölf Ballkontakten vom einen Ende des Spielfelds ans andere. Schon beim Achtelfinalerfolg über Japan führte Belgien einen zwölf-Sekunden-Blitzzug auf, der selbstredend ebenso im eigenen Strafraum entsprang und in der Nachspielzeit zum Siegtreffer durch Chadli führte. Egal welchen dieser Angriffe man zur Ansicht wählt, irgendwo hat Hazard immer seine Füße im Spiel. Erstmals nach Jan Ceulemans vor 52 Jahren hat mit dem genialischen Dribbler Hazard erneut ein Belgier sieben Torbeteiligungen (drei Treffer, vier Vorlagen) bei einer WM vorzuweisen.

Belgiens 2:0 über England sicherte den Spielern eine Medaille für den dritten Rang und den 64 406 Zuschauern ein fußballerisches Spektakel der oftmals als goldenen Generation bezeichneten Auswahl. Wobei sich die Frage stellte, ob das nun mehr an der Extraklasse der Spieler um Hazard, De Bruyne und Lukaku lag oder an der Darbietung der Engländer. Die Three Lions legten mit ihrem völlig konfusen Auftritt die Vermutung nahe, dass eher die wohlwollende Auslosung dem Team um Nationaltrainer Gareth Southgate zum vierten Platz - dem besten Ergebnis seit 28 Jahren - verholfen hat als das spielerische Vermögen der Mannschaft. Die englische Hoffnung alsbald wieder der Weltspitze anzugehören, ist jedenfalls erst mal auf irritierende Weise gestoppt worden. Beim Jubiläum, dem 100. Turnierspiel des englischen Nationalteams, wiesen die Spieler mit ihrem zusammenhanglosen Vorgehen daraufhin, was in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2020 dringend verbessert werden muss. In 90 Minuten demonstrierte Belgien den Konkurrenten von der Insel, wie viel Spielwitz im Fußball stecken kann.

Die Leichtigkeit in den Offensivszenen bestätigte die Mentalität der Belgier, denen nachgesagt wird, mehr aus Freude zum Fußball zu spielen als des Erfolgs wegen. Im Halbfinale leistete sich Trainer Martínez den Luxus beim letztlich entscheidenden Eckball für Frankreich eine halbe Stunde vor Schluss mit Lukaku den besten Kopfballspieler an der Mittellinie positioniert zu lassen - für den Fall es hätte einen Konter gegeben.

© SZ vom 15.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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