Dritte Liga:Preise wie 1955

Karlsruher SC FC Würzburger Kickers Deutschland Karlsruhe 03 11 2018 Fussball 3 Liga Saison

Mit einer Choreo mit Bildern aus der Stadiongeschichte verabschieden sich die KSC-Fans vom Wildparkstadion.

(Foto: Sportfoto Rudel/imago)

Karlsruhe nimmt Abschied vom Wildpark. Nach 63 Jahren als Sehnsuchtsort des KSC wird das alte Stadion sukzessive in eine moderne Arena verwandelt, die dem Traditionsverein eine bessere Zukunft garantieren soll.

Von Tobias Schächter, Karlsruhe

Als der Abpfiff endlich erklungen war, ging niemand nach Hause. Nicht an diesem Tag. Mehr als 24 000 Fans blieben im Wildpark und feierten, als sei der Karlsruher SC gerade ins Pokalfinale eingezogen: Es war eben ein ganz besonderer Tag für den KSC. Und das nicht nur, weil die Profimannschaft durch ein schnödes 2:1 gegen die Würzburger Kickers den Anschluss an die Aufstiegsplätze für die zweite Liga geschafft hatte. An diesem Samstag spielte der KSC zum allerletzten Mal in diesem Stadion, das über 63 Jahre Heimat und Sehnsuchtsort war. Ab Montag rollen die Bagger, bis 2022 soll sukzessive eine neue, moderne Arena für 34 000 Zuschauer entstehen, die dem Klub eine bessere Zukunft garantieren soll. Die Gegenwart heißt dritte Liga.

Normalerweise kommen nur rund 10 000 Menschen zu den Heimspielen, gegen Würzburg lockte der KSC mit Eintrittspreisen wie 1955, damals kickte der KSC erstmals in dieser Arena, die Stadt hatte dem Klub, der drei Jahre zuvor aus der Fusion des VfB Mühlburg und dem FC Phönix entstandenen war, das Stadion draußen im Wildpark hingestellt. Nun hat es ausgedient.

Passenderweise jährte sich soeben das größte Spiel des Klubs zum 25. Mal

Zur großen Abschiedsparty unter dem Motto "Danke Wildpark 1955 - 2018" waren viele gekommen, die hier Geschichte geschrieben haben: die Leichtathletik-Legenden Heinz Fütterer, 87 und Lothar Knörzer, 85, Heinz Ruppenstein, 88, Mitglied der Pokalsiegermannschaft von 1956, Spieler der (Erstliga-)Aufstiegsmannschaft von 2007 und natürlich die Helden des größten Spiels der Vereinsgeschichte, dem 7:0 gegen den FC Valencia vom 2. November 1993, das sich am Freitag zum 25. Mal gejährt hat. Mit 1:3 hatte der KSC das Hinspiel in der zweiten Runde des Uefa-Cups in Spanien verloren, doch im Rückspiel überrannte die Mannschaft von Trainer Winnie Schäfer den namhaften Gegner unter Coach Guus Hiddink und schrieb Europapokalgeschichte.

Es war der Höhepunkt in der Geschichte des KSC und das größte Spiel im Leben des Edgar Schmidt. Vier Tore schoss der Mittelstürmer an jenem Abend, an dem sich der KSC ins kollektive Gedächtnis des deutschen Fußballs schoss. Seither wird Schmidt in der ganzen Republik "Euro-Eddy" genannt - ein Titel, den er später ein manches Mal verfluchte, nicht alles gelang dem Spätstarter, der erst mit 28 Erstligaprofi wurde, nach der Fußballkarriere. Heute hat er seinen Frieden damit geschlossen, eine lebende Legende zu sein, der 55-Jährige arbeitet beim Vermarkter des KSC.

Der Klub setzte sich zu große Ziele - und scheiterte

Doch "Valencia" wurde nicht nur zur Chiffre der Nostalgiker für den Coup in der Vereinsgeschichte und Startschuss zum Einzug ins Europapokal-Halbfinale, wo Casino Salzburg Endstation war. "Valencia" wurde auch zum Erwartungshorizont, der später nie mehr erreicht wurde. Für die nachfolgende Generation war der legendäre Abend eine Bürde, der Moment war einfach zu groß für einen Verein, der lange als Fahrstuhlklub zwischen den Ligen pendelte. In der Ära mit Trainer Winnie Schäfer (1986 bis 1998) brachte der Klub Talente wie Oliver Kahn oder Mehmet Scholl hervor, die später beim FC Bayern Weltstars wurden. Doch der KSC übernahm sich bei dem Versuch, mit den Großen mitzuhalten. Auch Weltmeister Thomas Häßler konnte 1998 den Abstieg in die Zweite Liga nicht verhindern und der spätere Bundestrainer Jogi Löw im Jahr 2000 nicht den Absturz in Liga drei. Seither kehrte der KSC nur noch von 2007 bis 2009 für zwei Jahre in die Bundesliga zurück. Dramen gab es immer wieder in dieser alten Schüssel mit dem Charme alter, englischer Fußballstadien - so wie den knapp verpassten Bundesliga-Aufstieg in der Relegation gegen den Hamburger SV 2015.

Offiziell eingeweiht wurde das Wildparkstadion am 7. August 1955 mit dem Spiel gegen Meister Rot-Weiß Essen, für den Helmut Rahn spielte, der Deutschland fünf Jahre zuvor in Bern zum Weltmeister geschossen hatte. Rahn erzielte damals auch ein Tor in Karlsruhe beim 2:2. Auf der Tribüne nannte der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens die Arena "ein Juwel". Konzipiert war sie auch für große Leichtathletik-Veranstaltungen, die inoffizielle Einweihung war denn auch das "Zatopek-Sportfest" drei Wochen zuvor vor 35 000 Zuschauern gewesen. Die Langlauflegende Emil Zatopek, 1952 dreifacher Olympiasieger in Helsinki, bekam als Antrittsgeschenk ein Moped, das ihm Freunde wie Heinz Fütterer halfen auseinanderzubauen - um es so in die Tschechoslowakei zu schmuggeln. Der dreimalige Europameister Fütterer, den sie hochachtungsvoll "den weißen Blitz" tauften, hatte 1954 den Weltrekord von Jesse Owens über 100 Meter (10,2) eingestellt.

Drei Jahre Bauzeit, Kosten von 123 Millionen Euro, zum Erfolg verdammt

Der in Illingen bei Karlsruhe geborene Fütterer ist auch in hohem Alter noch angriffslustig: Wir müssen nach vorne schauen, ich bin froh, dass endlich das neue Stadion kommt", rief der 87-Jährige am Samstag auf der Ehrenrunde der Legenden den Fans zu. Der Abschied wurde mit den Evergreens "Time to Say Goodbye" und "Forever Young" orchestriert, ein Pyro-Feuerwerk wurde abgebrannt und zum Finale sangen die Fans mit Sängerin Sabine Wittwer die Vereinshymne "Für immer KSC".

Der Abschied symbolisiert auch den Aufbruch, der Neubau des Stadions soll dem Verein einen Platz im Profifußball sichern. Doch die Baukosten summieren sich auf insgesamt horrende 123 Millionen Euro. Drei Jahre dauert die Bauphase, dann muss der KSC eine ligaabhängige Pacht an die Stadt zahlen, mit der der Klub jahrzehntelang um das neue Stadion stritt. Der klamme KSC, der seit Jahren von den Millionen des Unternehmers und Vorstandsmitglieds Günter Pilarsky abhängig ist, ist also zum Aufstieg verdammt. Mit der neuen Perspektive erhöht sich auch der Aufstiegsdruck auf die aktuelle Mannschaft und Trainer Alois Schwartz. Der Sieg am Samstag gegen Würzburg bedeutete nach drei sieglosen Spielen zuvor also mehr, als nur einen gelungenen Abschied aus dem alten Stadion.

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