Zu Beginn erstmal ein kurzer Schwenk in den August vor zwei Jahren, ein Samstagnachmittag im Dallenbergstadion, das siebte Saisonspiel der Würzburger Kickers, 4255 Zuschauer, der Gegner hieß FSV Zwickau und sollte dazu herhalten, die Krise zu überwinden. Nach dem Spiel saß Michael Schiele im Medienraum und war wie paralysiert. Würzburgs damaliger Trainer konnte ja nicht wissen, dass das 0:2 der Anfang von etwas Großem war, dass seine Mannschaft am Ende der Saison aufsteigen würde.
Schiele wirkte abwesend, sein Gesicht war versteinert, er konnte nicht verbergen, wie nahe ihm die Krise ging. Ein paar Monate später saß wieder Schiele wieder im Pressesaal, der Raum sah anders aus als sonst, reduzierter. Alles war in Champagner getränkt, Schieles Haare, sein T-Shirt, selbst das Mikrofon, das er in der Hand hielt.
Wenn eine Geschichte mit Champagner endet, weiß man, dass die Geschichte nicht nur ein versöhnliches Ende genommen hat, sondern eines, das etwas bedeutet. Die Kickers waren in die zweite Bundesliga aufgestiegen, und losgegangen war alles mit Zwickau.
Kurz nach der Pause wirft sich Kopacz in eine Flanke und drückt den Ball ins Netz - "ein Befreiungsschlag"
Wer zurückblickt, meint ja oft, exakt den Moment zu finden, in dem sich alles zum Guten gedreht hat. Und damit zurück ins Jetzt, in den August 2021. War am Sonntagnachmittag vielleicht ein solcher Moment? Dallenbergstadion, 2155 Zuschauer, das vierte Saisonspiel der Kickers, der Gegner hieß VfL Osnabrück und sollte dazu herhalten, dem Krisengerede keinen Raum mehr zu lassen. Kurz nach der Pause warf sich David Kopacz in eine Flanke und drückte den Ball mit dem Kopf ins Netz. Wer dann sah, wie entfesselt die Spieler jubelten, wie sie schrien vor Glück, der spürte, dass das Tor kein gewöhnliches Tor war.
"Das war ein Befreiungsschlag, das hat uns richtig gut getan", sagte später Linksverteidiger Robert Herrmann und setzte ein Gesicht auf, das deutlich näher an Schieles Zwickau-Gesicht als an Schieles Champagner-Gesicht war. Herrmann war ganz und gar nicht anzumerken, wie gut das Tor getan hatte, der Moment ließ sich nicht mehr greifen, weil er überhangen war von einer Verletzung des Hoffnungsträgers Maximilian Breunig und von einem Resultat, das Würzburg wieder mal betrübte. 1:1, das nächste Spiel ohne Sieg, schon wieder ein spätes Gegentor.
Die Kickers hatten aber, und das hob auch Herrmann hervor, "wieder einen kleinen Schritt nach vorne gemacht". Seit Trainer Torsten Ziegner auf Viererkette umgestellt hat, ist die Würzburger Abwehr stabil. Nicht zuletzt, weil Torwart Hendrik Bonmann "ein großer Rückhalt" ist, wie Ziegner am Sonntag meinte. Als Würzburgs Trainer über den Saisonstart sprach, wusste er, was zu sagen ist. Seine Ansprache ist klar, er findet oft die richtigen Worte. In diesem Fall also: Probleme in der Offensive benennen, Ruhe bewahren und positiv bleiben.
"Die Mannschaft ist in der Lage, Spiele hintereinander zu gewinnen", betont Herrmann
"Die Mannschaft ist in der Lage, Spiele hintereinander zu gewinnen", betonte auch Herrmann, und dachte dann an das Aufstiegsjahr unter Schiele - er ist ja einer der wenigen, der damals schon zum Würzburger Kader zählte: "Da hat man gesehen, wie es funktioniert, wenn man mal einen Rausch hat." Nur: Ist es so einfach? Müssen die Kickers bloß auf Copy-and-Paste drücken und schon fließt wieder Champagner?
Es schadet gewiss nicht, dass die Verantwortlichen in der eigenen Geschichte fündig werden, wenn es um die Frage geht, wie ein Fehlstart zurechtzurücken ist. Erfahrung ist vor allem dann ein kostbares Gut, wenn selbst die leichten Dinge schwerfallen. Dass die Mannschaft vor zwei Jahren nach dem Zwickau-Spiel Tabellenplatz um Tabellenplatz kletterte, darf allerdings nicht blenden. Damals zog Schiele die richtigen Schlüsse und formte eine Einheit, die vor allem ihr Geist auszeichnete, ihr unumstößlicher Glaube an sich selbst, ihre Wehrhaftigkeit.
Um dorthin zu kommen, hat das jetzige Team noch einiges vor sich. Zunächst das Mittwochspiel beim SC Freiburg II, dann die schwere Aufgabe gegen Saarbrücken und im September Duelle mit Magdeburg und Wiesbaden. Das Programm hat es in sich, doch Bonmann sagt: "Wir haben einen richtig guten Trainer, deswegen glaube ich, dass wir auf Dauer unseren Weg schon finden werden."