Dritte Fußball-Liga:Quanten­sprung ins Bett

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Ein U19-Europameister für Ingolstadt, ein österreichischer Routinier in Giesing, 20 Neue für Türkgücü: Die bayerischen Klubs starten runderneuert.

An diesem Wochenende beginnt die dritte Fußball-Liga wieder, und bei den bayerischen Vertretern hat sich personell teilweise viel, teilweise extrem viel verändert. Ein Überblick von Ingolstadt bis Unterhaching.

Neues Herz

Der Regisseur werkelt jetzt in der Arena in Paderborn an großen, spielerischen Momenten. Maximilian Thalhammer, 23, ist nach dem in letzter Minute verpassten Aufstieg in die zweite Liga in eben jene Spielklasse zum SCP gewechselt - und hat als Achter, im Herz des FC Ingolstadt 04, eine Lücke hinterlassen. Ob es dem Trainer Tomas Oral nun schnell gelingt, diese kreative Lücke zu füllen, wird daher eine der Kernfragen werden, die über den Erfolg oder Misserfolg des FCI in dieser Saison entscheidet. Zwei Tore in drei Testspielen und der Erstrundenpartie im DFB-Pokal gegen Düsseldorf (0:1) weisen noch auf Startprobleme hin.

Die von Oral erhoffte Ideallösung für die Thalhammer-Nachfolge hat bislang aber auch noch nicht gespielt: Marc Stendera, 2014 gemeinsam mit Joshua Kimmich und Davie Selke U19-Europameister und neben Sascha Mölders (1860 München) sowie Marcel Risse (Viktoria Köln) einer der Prominentesten in der dritten Liga. "Seine Fähigkeiten am Ball stehen außer Frage", sagt der Coach. Doch in Sachen Fitness muss der in der vergangenen Woche verpflichtete Stendera noch zulegen. Lange war auch er wie Selke und Kimmich ein Bundesliga-Spieler, ehe ihn dann unter anderem zwei Kreuzbandrisse zurückwarfen. Über den Zweitligisten Hannover 96 kam der bei Eintracht Frankfurt ausgebildete zentrale Mittelfeldspieler nun zu Ingolstadt - mit dem Ziel, neu durchzustarten. Statt Stendera könnte aber auch der wohl fittere Zugang Rico Preißinger (Magdeburg) an diesem Sonntag (13 Uhr) gegen Uerdingen als Nebenmann des defensiveren Robin Krauße im zentralen Mittelfeld starten.

Neuer Kopf

Ein bisschen skurril ist die Situation schon: Weil seine Mannschaft in den vergangenen Jahren stets in der Rückrunde einen unerklärlichen Leistungseinbruch erlitt, muss ein Trainer seinen Posten abgeben. Er wird aber in neuer Funktion damit betraut, seinen eigenen Nachfolger zu finden und diesen auch noch zu beurteilen. Und so kommt Claus Schromm, der Nicht-mehr-Trainer der SpVgg Unterhaching, zu dem Schluss, dass der Neue die absolute Idealbesetzung sei. "So einen haben wir gesucht", sagt derjenige, der insgesamt knapp sieben Jahre und davon die letzten 63 Monate am Stück auf der Bank gesessen hatte. Und er meint Arie van Lent, der nach dem Training mit dem Drittligakader eben nicht einfach nach Hause gehe, sondern auch bei den Einheiten der U16 und U17 zuschaut und sich mit dem neuen Sportdirektor - eben Claus Schromm - ständig über seine Beobachtungen austauscht.

Van Lent macht vor der Saisonpremiere am Samstag (14 Uhr) beim FSV Zwickau einen ruhigen Eindruck. Er posaunt nicht irgendwelche überzogenen Erwartungen in die Welt, sondern schätzt die Lage gelassen ein. Die Liga sei schwierig einzuordnen, deshalb hält er sich mit einer Prognose zurück. Nur so viel: "Ein guter Start würde uns helfen." Abgesehen vom niederländischen Trainer halten sich die Zugänge in Grenzen, Stürmer Patrick Hasenhüttl (Türkgücü) und der vor wenigen Tagen verpflichtete Abwehrspieler Robert Müller (vereinslos, davor Cottbus) sowie das bayerische Sturmtalent Julien Richter (Burghausen) sind die einzigen Externen, die nach Haching kamen. Die übrigen Neuen stammen aus der eigenen Jugend oder kehren nach Ausleihen vom Kooperationspartner 1860 Rosenheim zurück. Im Gegenzug fehlt den Rot-Blauen derzeit viel Qualität, weil Stürmer Stephan Hain (Knie), Mittelfeldspieler Dominik Stahl und die Verteidiger Josef Welzmüller (beide Kreuzbandriss) und Marc Endres (Knöchel) länger ausfallen. Alex Winkler ging nach Kaiserslautern, Sascha Bigalke und Jim-Patrick Müller wurden aufgefordert, sich einen neuen Verein zu suchen. Van Lent will vor allem eines anders machen als sein Vorgänger: Das Team solle aggressiver anlaufen, "wir wollen früher an den Ball kommen, möglichst schon in der gegnerischen Hälfte", sagt der Coach und stellt seinem Vorgänger, der jetzt sein Chef ist, ein gutes Zeugnis aus: "Ich habe einfach das, was da war, kompensiert mit dem, was ich will. Die Mischung ist gut gelungen, glaube ich."

Neue Mischung

Über die Mischung seiner Fußballer gerät auch Günther Gorenzel, Sport-Geschäftsführer des TSV 1860 München, ins Schwärmen. "Diese Mischung machts's aus, von dieser Mischung sind wir überzeugt." Dass auch und vor allem altersmäßig durchgemischt werden sollte, zeigten die zuletzt verpflichteten neuen Stürmer, die beide aus Österreich stammen: Der 20-jährige Tim Linsbichler kam aus der U21 von Hoffenheim und soll sich erst einmal entwickeln, der 32-jährige Martin Pusic vom insolventen österreichischen Erstligisten Mattersburg soll hingegen sofort helfen. "Er bringt uns mit seiner Erfahrung, Schlitzohrigkeit und Qualität auch kurzfristig weiter", meinte Trainer Michael Köllner: "Er ist ein Performer im letzten Drittel." Zum ersten Spiel in Meppen an diesem Samstag (14 Uhr) wird Pusic schon mitreisen, nachdem seine Spielgenehmigung eingetroffen ist.

Auch sonst steht natürlich vor allem im Mittelpunkt, was neu ist: zum einen der aus Venlo zurückgekehrte Richard Neudecker, für den die Trainingsintensität bei Sechzig laut Köllner ein "Quantensprung" ist: "Die ersten Tage hat er am Ende den schnellen Weg ins Bett gefunden, und das unter Schmerzen." Für 45 oder 60 Minuten in Meppen sollte es bei dem Mittelfeldspieler aber reichen. Und zum anderen die Rochade in der Defensivzentrale: Quirin Moll spielt nun Innenverteidiger, Dennis Erdmann dafür auf der Sechs. Das tue dem Spiel momentan gut, fand Köllner, könne sich aber auch schnell wieder ändern: "Wenn ich vier Spiele verliere, schmeißt doch am Ende keiner den Sechser oder den Vierer raus, sondern dann schmeißt man doch den Trainer raus."

Neue Lücke

Die U23 des FC Bayern darf bekanntlich nicht aufsteigen, und so handelt es sich bei der Mannschaft um einen Meister, der am Ende der neuen Spielzeit sogar mit einem zweistelligen Tabellenplatz zufrieden wäre - Hauptsache Ligaverbleib. Nicht nur, weil es maximal gut gelaufen war in der Corona-Zeit, die Mannschaft hatte sich in der Rückrunde von Platz 15 auf Platz eins hochgespielt. Sondern vor allem, weil ein großer Teil der wichtigsten Spieler eben sehr wohl aufgestiegen ist: Sie spielen jetzt zum Beispiel in der ersten niederländischen Liga oder beim 1. FC Nürnberg. Trainer Sebastian Hoeneß arbeitet nun für Hoffenheim in der Bundesliga, und so musste Holger Seitz, im Nachwuchs-Leistungszentrum quasi schon verbeamtet, wieder an die Seitenlinie treten. Der kennt immerhin zahlreiche Spieler bereits, die er nun betreut, Seitz war zuvor auch schon U17- und U19-Coach.

Eine Personalentscheidung galt als besonders wichtig: Soll Kwasi Wriedt, Torschützenkönig der vergangenen Saison, durch einen Einkauf oder durch ein hausinternes Talent ersetzt werden? Die Frage ist noch nicht endgültig beantwortet. Aktuell ist geplant, dass Jungprofi Jann-Fiete Arp dauerhaft für die U23 spielt, außerdem wurde in Lenn Jastremski ein 19-jähriger Mittelstürmer geholt, der sich auch gerne auf der Position durchsetzen darf. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass die Bayern auf dem Transfermarkt noch einmal tätig werden - vor allem dann, wenn es zum Saisonstart nicht so gut laufen sollte. Bei allen Personalfragen wären die Bayern aber nicht die Bayern, wenn sie der ganzen Sache nicht mit Selbstvertrauen begegnen würde. Mit Blick aufs Auftakt-Derby gegen Türkgücü sagte Routinier Nicolas Feldhahn, man wolle dem Gegner zeigen, "wie man in der dritten Liga Fußball spielt".

Neue Liga

Eigentlich macht Türkgücü ja gerade mit anderen Sachen von sich reden: Schweinfurt soll aus dem DFB-Pokal geklagt werden, mehreren Spieler wurde im Sommer das Gehalt gekürzt, um dann trotzdem wenig später hinausgeworfen zu werden. Und mit dem ehemaligen Trainer Reiner Maurer befindet man sich im Rechtsstreit, weil man ihm die Aufstiegsprämie nicht zahlen möchte - die Münchner dürfen ja in der dritten Liga spielen, ohne die Regionalliga-Saison zu Ende gespielt zu haben.

Egal, für Präsident Hasan Kivran ist jetzt der Tag gekommen, auf den er jahrelang hingearbeitet hat: Türkgücü ist endlich im Profifußball angekommen. Sofern man überhaupt von "endlich" sprechen kann, immerhin ist die Mannschaft ganz flugs dreimal in Serie aufgestiegen.

Auch diesmal wurde ein mehr oder weniger komplett neuer Kader hinzugekauft, 20 neue Spieler galt es zu integrieren. Zahlreiche Spieler befanden sich, teils wegen Corona-Zwangspausen, auf höchst unterschiedlichem Leistungsniveau, wie Trainer Alexander Schmidt erzählt. Doch die Vorbereitung gelang, gemessen an den Testspiel-Ergebnissen, vorzüglich. Sercan Sarerer, der ehemalige türkische Nationalspieler, ist einer von ganz wenigen aus dem alten Kader, die zu den Leistungsträgern zählen dürfen. Dazu kamen etwa Verteidiger Yi-young Park, der vom FC St. Pauli ausgeliehen wurde, oder Torwart René Vollath. Auf dessen Position zeigt sich aber auch, wie viel Schmidt zu moderieren hat: Franco Flückiger und Maximilian Engl waren zu Türkgücü gekommen, um endlich in der dritten Liga Fuß zu fassen. Harter Konkurrenzkampf erwartet wohl auch die sieben Innenverteidiger.

© SZ vom 19.09.2020 / jki, stga, lein, cal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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