Süddeutsche Zeitung

Dressursport:Mit einem Streber gegen das Trauma

Jahrelang war Matthias Rath der Dressurreiter, unter dem der als Wunderhengst titulierte Totilas nicht zu gewohnter Stärke fand. Jetzt strebt der 38-Jährige zurück auf die große Bühne - unter anderem mit einem Kind von Totilas.

Von Gabriele Pochhammer, Stuttgart

Matthias Rath nennt ihn "mein kleiner Streber", und tatsächlich sieht man dem Fuchshengst Destacado irgendwie an, dass er immer alles richtig machen will. Zumindest gewann das Paar mit neuen persönlichen Bestleistungen jetzt in der Stuttgarter Schleyerhalle die German Masters, bestehend aus Grand Prix und Grand Prix Special. Nachdem die sechsmalige Olympia-Goldgewinnerin Isabell Werth ihren 16-jährigen Emilio zurückgezogen hatte, weil dieser sich in der Abreitehalle das rechte Vorderbein vertreten hatte, war der Weg frei für Rath.

Destacado ist erst neun Jahre alt, das ist jung für die große Dressurbühne, aber er galt schon früh als hochbegabt. Als zweieinhalbjähriger Junghengst bekam er auf der hannoverschen Hengstkörung eine Prämie, ein Jahr später wurde er Bundeschampion der Reitpferde, zwei Jahre später WM-Zweiter der jungen Dressurpferde. Jedes Jahr erreichte er das Klassenziel mühelos.

Um am Ende als ein "Weltpferd" zu gelten, das seinem Reiter bei Championaten und Olympischen Spielen aufs Podium hilft, braucht es nur das ganze Paket: tänzerische athletische Bewegungen, einen kooperativen Charakter, möglichst auch eine Portion Schönheit, die hilft auch bei Pferden immer. All das hat Destacado schon in den Genen, er ist ein Sohn des Mannschaftssilbermedaillenpferdes von London 2012, Desperados. Bundestrainerin Monica Theodorescu, die die Ausbildung des Hengstes seit Jahren begleitet, sagt: "Er hat ein enormes Potenzial, er kann sich konzentrieren. Das geht bei ihm alles in die richtige Richtung."

Der Richtungspfeil zielt auf Paris, den Schauplatz der nächsten Sommerspiele, auf den Schlosspark von Versailles, wo die Reiter ihre Wettkämpfe austragen werden. Zwei Jahre also noch. "Da können meine beiden Neunjährigen sich noch festigen und dazulernen", sagt Matthias Rath. Außer Destacado steht der gleichaltrige Tiago im Stall Rath in Kronberg, auch er ein Kind prominenter Eltern. Mutter Wahajama war unter Raths Stiefmutter Ann-Kathrin Lindenhoff erfolgreich, sein Vater ist Totilas, der Dressurgeschichte geschrieben hat. Die beiden Youngster können Rath auch helfen, das Totilas-Trauma zu überwinden.

Totilas' Karriere fand bei der EM 2015 ein unrühmliches Ende

Denn der einst für 9,5 Millionen Euro von Paul Schockemöhle gekaufte, als Wunderhengst titulierte Totilas, der unter Edward Gal die Welt entzückt hatte, machte unter Rath nicht annähernd da weiter, wo er unter Gal aufgehört hatte. Es blieb, trotz einiger guter Erfolge, eine Geschichte enttäuschter Hoffnungen, immer wieder unterbrochen durch Krankheitspausen. Die Karriere von Totilas fand bei der Europameisterschaft 2015 in Aachen ein unrühmliches Ende, als der Hengst, sichtbar lahm, nach der ersten Prüfung zurückgezogen werden musste.

Und jetzt: Kommen seine Kinder ins Gespräch, und Tiago ist eines von ihnen. Für seinen ersten Auftritt in der Schleyerhalle seit 2007 wählte Rath aber Destacado. Über die Durstrecke sagt er: Entweder habe es nicht in den Turnierplan gepasst, oder Totilas sei nicht ganz fit gewesen. Mehrere Jahre lang hatte Rath überhaupt kein Pferd für dieses Niveau. Jetzt sieht es aus, als ob er diese Zeit überwinden könnte, mit Hilfe des "kleinen Strebers".

Von einer Durststrecke kann bei Ingrid Klimke keine Rede sein, aber auch ihr Sieg in der Weltcup-Kür von Stuttgart war eine Überraschung für die mit etlichen Championatsmedaillen gekrönte Vielseitigkeitsreiterin. Bei der EM im Sommer in Herning, ihrem ersten Championat im Dressurteam, gab sie mit dem selbstbewussten Hengst Franziskus das Streichergebnis, jetzt verwies sie in der Weltcupkür Isabell Werth mit Quantaz auf Platz zwei. Klimke führte das auch auf die Vorbereitung zurück, so reist sie schon einen Tag früher an, damit sich Franziskus an die Umgebung gewöhnen kann.

Die wird sich in absehbarer Zeit für alle ändern. 2026 soll die Schleyerhalle abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden, dessen Innenraum so hoch ist, dass auch Helene Fischer in lichter Höhe herumturnen kann. Bis zum Abriss der Halle sei das Turnier gesichert, sagt Alfred Kroll, Chef der Stuttgarter Veranstaltungsgesellschaft. Dann soll es vorübergehend umziehen, etwa in die Messehallen am Flughafen, die Zustimmung des Stuttgarter Gemeinderates vorausgesetzt.

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