Süddeutsche Zeitung

Dressurreiten:Wenn Roboter auf Pferde treffen

  • Dressurreiten ringt mit dem Image, gestrig und unspektakulär zu sein, zuletzt fiel bei einem Kongress das Wort "Dressur-Omas" für die Dominanz älterer Reiterinnen.
  • Doch der Sport denkt über Veränderungen nach, zum Beispiel über die Einführung von Robotern zur Punktevergabe.
  • Reiterin Isabell Werth plädiert trotzdem für Traditionspflege - in der einzigen Sportart, die zusammen mit einem Lebewesen ausgeübt wird.

Von Gabriele Pochhammer

Wo sie reitet, ist vorne: Isabell Werth dominiert so unangefochten die Dressur, dass einige Konkurrenten gar nicht erst zum Weltcupfinale nach Paris gereist sind. Werth belegt zur Zeit in der Weltrangliste die ersten beiden Plätze, Nummer eins mit ihrem Paris-Pferd Weihegold, Rang Zwei mit Emilio.

Außer der US-Reiterin Laura Graves muss Werth auf dem Weg zum vierten Weltcupgewinn kaum jemanden fürchten. Dressurreiten ist ein Sport der langfristigen Erfolge, wer oben ist, hält sich dort oft Jahrzehnte. Werth, 48, ritt als 20-Jährige in ihrem ersten Championat für Deutschland. Während das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach Sportarten sucht, die fetzig und interessant für junge Leute sind, wie etwa das 2020 erstmalig ausgetragene Klettern an senkrechten Wänden, scheint die Dressur mit ihren strikten Lektionen manchmal aus der Zeit gefallen zu sein. Beim Sportforum der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) im März in Lausanne rutschte einem jungen Teilnehmer das Wort von den "Dressur-Grannies" heraus, Dressur-Omas, wofür er sich umgehend entschuldigte.

Ist die Zeit hinweggerollt über den feinen Sport im Frack? "Nein", sagt Isabell Werth, "ganz im Gegenteil. Unsere Attraktivität ist es auch, dass wir ein Stück Tradition hochhalten. Wir sind nach wie vor die einzige Sportart, die zusammen mit einem Lebewesen ausgeübt wird. Die Dressur ist halt nicht schnelllebig und spektakulär, das ist unsere Stärke, die müssen wir pflegen."

"Die Ausbildung ist nicht mitgewachsen"

Das mit den Dressur-Omas will sie ebenfalls nicht auf sich sitzen lassen: "Wir haben alle jung angefangen, waren auch mal die Youngster im Championatsteam." Auch in anderen Sportarten sind nicht nur Teenager am Start, aber dass 70-Jährige fröhlich bei Olympia mitmachen, gibt es wohl nur in der Dressur.

Es sei vor allem eine Frage der Konkurrenz, dass so viele Reiter solange die vorderen Plätze besetzen. "Der Dressursport hat sich zwar weltweit verbreitet, aber oft fehlt es an Kompetenz. Die Ausbildung ist nicht mitgewachsen, und nur wenige Reiter können Pferde bis zur Weltklasse ausbilden," sagt Werth. Auch die Ausbildung der Richter hinkt hinterher. Schwer nachzuvollziehende Ergebnisse sind das größte Problem. Wenn schon die Fachleute die Richternoten nicht verstehen, stehen die Nicht-Experten, und das sind ja die meisten, erst recht vor einem Buch mit sieben Siegeln.

Man kann der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) nicht vorwerfen, dass sie das Richter-Dilemma auf die leichte Schulter nimmt. Eine Arbeitsgruppe soll untersuchen, wie man die Bewertung nachvollziehbar und gleichmäßig über einen längeren Zeitraum sicherstellen kann, also über eine mehrstündige Prüfung oder auch von Turnier zu Turnier. Es ist nicht der erste Versuch. So wurde ein Handbuch herausgegeben, in dem genau steht, für welche Fehler es welche Abzüge gibt, welche Leistungen mit welchen Noten zu bewerten sind. Doch kein Richter hat das Handbuch mit seinen tausend Details im Kopf. Und selbst wenn er sich die Mühe machen würde, im Zweifelsfall nachzuschlagen, ist der Reiter schon sieben Lektionen weiter. Das mit dem Multi-Tasking ist ja bekanntlich nicht so einfach.

Die sieben Richter bei Championaten und anderen großen Turnieren werden zudem von drei Mitgliedern des "Supervising Panel" kontrolliert, die Galoppwechsel und Piaffe-Tritte mitzählen - falls einer im Richterhäuschen geschlafen hat, unter seinem Jetlag leidet, zu viel Kaffee getrunken hat oder gar ein kleines Bier. Es gibt viele Gründe, warum Richter nicht so urteilen, wie sie sollten. Der Brite Richard Davison, federführend in der FEI-Arbeitsgruppe, fragt: "Kann unser Gehirn die gleiche detaillierte Entscheidung wie in der ersten Stunde auch noch nach einer mehrstündigen Dressurprüfung treffen?" Oder exakt genauso zwei Wochen später? Natürlich nicht, das kann nur der Computer.

Schon in Tokio 2020 sollen im Turnen Roboter teilweise das Richten übernehmen. Sie sind nicht voreingenommen, kennen keine Müdigkeit, entsprechende Handbücher sind auf ihrer Festplatte jederzeit abrufbar. Sie beurteilen den 40. Athleten so aufmerksam wie den ersten und verursachen natürlich viel weniger Reisekosten. Die Lösung? Darüber kann Isabell Werth nur lachen. "Solange Reiter und Pferde von Menschen beurteilt werden, wird man über Urteile uneins sein", sagt sie: "Dagegen helfen keine Roboter, sondern nur immer wieder Schulung der Kompetenz!"

Am Samstag steht für Werth die entscheidende Kür an. Egal, welche Noten die Richter ziehen, die 13 Jahre alte Weihegold geht danach in die jährlich Zuchtpause. Ihr werden befruchtete Embryos entnommen und einer anderen Stute eingesetzt, die die Fohlen austrägt, wenn Weihegold wieder für Deutschland unterwegs ist. Ein Fohlen der letztjährigen Aktion ist vor wenigen Tagen geboren worden, ein kleiner Hengst. Da soll noch einer sagen, der Pferdesport sei von gestern.

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SZ vom 13.04.2018/ska
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