Dressurreiten: Totilas:Teurer Samen gegen den Schmerz

Paul Schockemöhle, in den achtziger Jahren einer der erfolgreichsten Springreiter der Welt, hat das berühmte Dressurpferd Totilas für mehrere Millionen Euro gekauft. Es soll vor allem Vaterpflichten erfüllen, um die groteske Kaufsumme zu refinanzieren.

G. Pochhammer

Die Reise war angenehm, die erste Nacht im unbekannten Domizil verlief ohne besondere Vorkommnisse, Abendessen und Frühstück haben geschmeckt, die entspannende Morgengymnastik tat gut. Die Rede ist nicht von einem hohen Staatsgast, sondern von einem Pferd, dem zehnjährigen Hengst Totilas, der seit Montag, 22 Uhr, im Stall von Paul Schockemöhle in Mühlen im Oldenburger Münsterland steht.

'Wunderpferd' Totilas

Das "Wunderpferd" Totilas soll nicht nur Titel gewinnen, sondern auch als Deckpferd dienen.

(Foto: dpa)

Die Gerüchte um den Kauf des dreifachen Weltmeisterpferdes sind damit wenigstens zum Teil beendet: Schockemöhle hat das berühmte Dressurpferd gekauft, mit dem Edward Gal vor einigen Wochen bei der WM in Kentucky mit Rekordnoten drei Titel für die Niederlande gewann.

Über den Preis wird weiter Stillschweigen bewahrt, die Spekulationen reichen von acht bis 15 Millionen Euro. "Den Preis habe ich vergessen", kokettiert Schockemöhle, der bei dem von ihm veranstalteten Turnier in Hannover den Deal nun offiziell bekanntgab, "auch wenn es schmerzt."

Um den Schmerz zu lindern, soll Totilas in den nächsten Monaten vor allem Vaterpflichten erfüllen. Nachfragen gäbe es aus aller Welt, sagt Schockemöhle, "auch von Leuten, denen es völlig egal ist, wie hoch die Decktaxe ist." Bisher lag die bei 5500 Euro. Das ist viel in der Reitpferdezucht, nur bei wenigen Springpferdehengsten kostet es mehr. Die Taxe solle "moderat" bleiben, versprach Schockemöhle.

400 Züchter hatten in der vergangenen Saison bei Totilas Vorbesitzer Cees Visser Interesse angemeldet, 250 bekamen den Zuschlag. In Zukunft dürften es deutlich mehr werden. Um die Nachfrage zu decken, muss Totilas jetzt täglich mehrmals auf ein sogenanntes "Phantom" springen. Das lederbezogene Gerät erinnert entfernt an das Turngerät Pferd, nur ohne Ringe, und soll dem Hengst suggerieren, es handele sich um eine Stute.

Tatsächlich fallen die meisten Hengste darauf herein. Der auf diese Weise gewonnene Samen wird je nach Qualität portioniert, eingefroren und an die Stutenbesitzer verschickt. So lässt sich ein Teil der Kaufsumme refinanzieren. Erfüllen Totilas' Kinder nicht die hohen Erwartungen, wird die Decktaxe in Zukunft günstiger.

Wer soll Totilas reiten?

Augenblicklich wird der schwarze Star im Stall seines neuen Besitzers von einer Reiterin bewegt (Schockemöhle: "Ganz locker, ohne die schwierigen Lektionen abzufragen"), aber der neue Besitzer lässt keinen Zweifel daran, dass der Hengst auch weiter im Sport eingesetzt wird. Zum ersten Mal soll Totilas bei den Hengstschauen der Station Schockemöhle Ende Januar in Vechta gezeigt werden. Im Sattel soll dann bereits der Reiter sitzen, der Totilas auch im Wettkampf vorstellt. Wer das sein wird, ließ Schockemöhle offen. "Ich stehe mit verschiedenen Reitern in Verhandlungen", sagt er.

Da der Sporteinsatz von Totilas ein Teil der Refinanzierung des Kaufpreises sein soll, kommen nur wenige Betuchte in Frage. Es fallen die Namen Matthias Rath, dem Stiefsohn der Multi-Millionärin Ann-Kathrin Linsenhoff, Emma Hindle, bei Frankfurt lebende Britin, und auch von Sanneke Rothenberger, der Tochter des früheren Championatsreiters Sven Rothenberger und seiner niederländischen Frau Gonnelijn, amtierende Europameisterin der Jungen Reiter. Von ihnen hat sich aber noch keiner geäußert. Er würde einen deutschen Reiter bevorzugen, sagt Schockemöhle, schließlich sei er im Springsattel 25 Jahre für Deutschland geritten.

Reiterpräsident Breido Graf zu Rantzau und Sportchef Reinhard Wendt haben sich schon bei Schockemöhle gemeldet. Mit Totilas und einem guten Reiter wären zwei Olympiasiege in London möglich, die deutsche Dressurwelt wäre auf einen Schlag wieder in Ordnung. Doch nur auf den ersten Blick.

Nicht nur, weil die Niederländer auch ohne Totilas starke Gegner sind. Es bleibt der Beigeschmack des gekauften Erfolges, der vielleicht auch dem Internationalen Olympischen Komitee nicht entgeht. Im Internet überschlagen sich empörte Stimmen, die fordern, das Traumpaar Gal und Totilas nicht zu trennen.

Schockemöhle gibt zu, dass Gal den Hengst hervorragend ausgebildet hat. Aber bereits vor der WM sei klar gewesen, dass er verkauft würde, das habe auch Gal gewusst. In Kentucky hatte der Verkaufsverhandlungen noch vehement geleugnet. Für ihn ist nun eine Welt zusammengebrochen, Gal war tagelang auch für Freunde nicht zu erreichen. Er ist nicht zu beneiden, aber Totilas' neuer Reiter ist es auch nicht. "Es wird anfangs sicher nicht optimal klappen", baut Schockemöhle vor, "ich hoffe, die neue Kombination wird nicht gleich in der Luft zerrissen."

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