Dressurreiten:Das 15-jährige Sorgenkind

Dressurreiten: Begehrter Hengst, auch postum: Totilas, 2014.

Begehrter Hengst, auch postum: Totilas, 2014.

(Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Totilas' Comeback in Hagen ist erfolgreich, doch dem Hengst ist sein Alter anzumerken. Und es bleibt fraglich, ob er fit genug für die Europameisterschaft in Aachen ist.

Von Gabriele Pochhammer, Hagen

Das Comeback ist gelungen. Der 15-jährige Rapphengst Totilas und Matthias Rath sind auf dem Weg zurück ins deutsche Dressurteam. Nach fast einjähriger Auszeit gewann das Paar beim internationalen Dressurturnier in Hagen am Teutoburger Wald mit 80,36 Prozentpunkten souverän den Grand Prix. Nur die zweifache Deutsche Meisterin Kristina Bröring-Sprehe hatte mehr Punkte bekommen, 81,16 im Mannschafts-Grand Prix einen Tag zuvor. Rath gehörte nicht zur offiziellen deutschen Mannschaft, weil Totilas für die nationale Meisterschaft in Balve im Mai noch nicht fit gewesen war.

Bei seinem ersten Wettkampf nach der einjährigen Zwangspause brachte er die Lektionen im Grand Prix mit der Routine eines in die Jahre gekommenen Cracks hinter sich: sauber und gehorsam, mit nur kleinen Versehen in den Fliegenden Galoppwechseln. Kein "Wunderhengst", sondern ein braves, schönes Pferd, für das in Hagen keine Extra-Tribünen hätten errichtet müssen. Die Zahl der Fans am Abreiteplatz war überschaubar, auf den Tribünen blieben am Freitagnachmittag viele Sitze leer.

Dringend Turnierpraxis sammeln

Mit einem gesunden Totilas ist Matthias Rath ein Platz im deutschen Team für die Europameisterschaft in Aachen im August sicher. Dem 30-Jährigen war die Erleichterung über den gelungenen Auftritt anzusehen. "Totilas ist gut drauf", sagte er, "aber es ist klar, dass sich ein 15-Jähriger nicht mehr anfühlt wie ein Zehnjähriger." Hinzu komme die fehlende Prüfungsroutine in den vergangenen Monaten, beim Pferd, aber auch beim Reiter. An diesem Sonntag soll Totilas noch im Grand Prix Special starten, eine weitere Gelegenheit, mangelnde Turnierpraxis nachzuholen. "Jede Prüfung zählt", sagte Rath. So hatte es auch Bundestrainerin Monica Theodorescu gefordert. "Das war Spitze", sagte sie nach Raths Ritt.

Fast fünf Jahre ist es her, dass der lackschwarze, in den Niederlanden gezogene Hengst vom Niederländer Edward Gal für angeblich zehn Millionen Euro zum Luxuspferdehändler Paul Schockemöhle in Mühlen wechselte, der die Sportrechte zügig an Raths Stiefmutter Ann-Kathrin Linsenhoff, die Mannschaftsolympiasiegerin von 1988, weiter verkaufte. Da war Totilas schon dreifacher Weltmeister, eine Legende, die die Dressurfans in Entzücken versetzte und sie in Scharen an die Dressurvierecke lockte.

Lange Leidenszeit

An dem Image des "Wunderpferdes" wurde auch im Stall Linsenhoff weiter gebastelt, Totilas bekam eine eigene Website, ein Wappen und eine Facebook-Seite, auf der er die Fans wissen lässt, wie er geschlafen hat. Bei Turnieren wachte vor seiner Box ein Leibwächter, am Fanshop konnten Totilas-Devotionalien in Form von Kaffeebechern und T-Shirts erstanden werden.

Doch trotz eines guten Anfangs - 2011 bei der Europameisterschaft in Rotterdam half er als bester deutscher Reiter, Mannschaftssilber zu gewinnen - konnte Rath nicht an die Erfolge von Edward Gal anknüpfen. Es gab reiterliche, aber auch gesundheitliche Probleme. Den Olympiastart 2012 verpasste Rath durch seine Erkrankung am Pfeifferschen Drüsenfieber. Die Saison 2013 fiel aus, weil sich der Zuchthengst Totilas beim Decken am Knie verletzt hatte. Im Weltmeisterschaftsjahr 2014 gewann er in Aachen zwei Prüfungen vor der Olympiasiegerin und späteren Weltmeisterin Charlotte Dujardin auf Valegro. Ein Überbein, das sich Totilas im Trainingslager zugezogen haben soll, beendete WM-Träume und zog eine fast einjährige Trainingspause nach sich.

Ein sicherer Punktesammler, trainiert von einem umstrittenen Niederländer

In Hagen zeigte sich: Totilas bleibt ein sicherer Punktesammler für das deutsche Team. Das vor allem zählt für die Bundestrainerin. Die Entscheidung, ob Totilas in Aachen dabei ist, trifft am Ende der Tierarzt. Kann er starten? Wenigstens für den Grand Prix, die Team-EM? "Er ist nun mal unser Sorgenkind, was die Gesundheit angeht", sagt Theodorescu. Die Frage, inwieweit die antrainierten exaltierten Bewegungen von Totilas, quasi in ständiger Imponierhaltung, den Bewegungsapparat stärker belasten als bei Pferden, die bescheidener daherkommen, steht im Raum.

Inzwischen wird der Hengst von dem umstrittenen holländischen Trainer Sjef Janssen trainiert, dem Ehemann der dreifachen Olympiasiegerin Anky van Grunsven. Das hatte böses Blut gegeben, weil Janssens Trainingsmethoden nicht der klassischen, vom deutschen Verband vertretenen Lehre entsprechen. Zumindest bei öffentlichen Auftritten, auch auf dem Abreiteplatz, vermeidet Matthias Rath inzwischen, sein Pferd nach der "Rollkur", bei der die Pferdenase extrem zur Brust gezogen wird, zu trainieren. Er setzt seine Ziele realistisch: "Ich plane von Turnier zu Turnier, die EM in Aachen wäre schon schön." An Olympia in Rio 2016 denke er noch nicht, sagt er. Er ahnt: Viele glorreiche Auftritte des vierbeinigen Weltstars wird es nicht mehr geben.

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