Süddeutsche Zeitung

Dressur:Die Herrscherin, die Turnerin und der Wallach

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Die deutschen Dressurreiter blicken entspannt den Olympischen Spielen entgegen. An Spitzenpferden fehlt es ihnen auch diesmal nicht.

Von Gabriele Pochhammer

"Es sind zwei Königinnen", sagt Dressurbundestrainerin Monica Theodorescu von ihren beiden besten Pferden, Bella Rose von Isabell Werth und Dalera von Jessica v. Bredow-Werndl: Bella Rose, die 17-jährige kapriziöse Fuchsstute der sechsmaligen Olympiasiegerin, und die 14-jährige dunkelbraune Dalera, die in ihrer eleganten Elastizität als Mensch wahrscheinlich eine Spitzenturnerin wäre. "Beide kommen ins Viereck und scheinen zu sagen: Schaut her, hier bin ich," sagt Theodorescu. Beim Grand Prix, der Vorentscheidung für die Prüfungen der Deutschen Meisterschaft am Freitag und Samstag, brillierte Queen Dalera, besiegte mit 85,04 Prozent, mit neuer persönlicher Bestleistung und sicherem Abstand zum ersten Mal Welt- und Europameisterin Bella Rose (81,32), die noch deutlich mit gebremstem Schaum vorgestellt wurde.

Für beide Stuten ist der Flug zu den Olympischen Spielen in Tokio quasi schon gebucht, aber an diesem Wochenende in Balve im Sauerland geht es im Rahmen der "Finals" zunächst um zwei nationale Titel. Wer morgen im Grand Prix Special und am Samstag in der Kür die Nase vorn hat, das entscheide die Tagesform, so die Bundestrainerin. "Und dann haben wir ja auch noch einen Wallach, der auch gerne zeigt, was er kann." Der 15-jährige Showtime gehörte schon 2016 in Rio zum deutschen Gold-Team. Seine Reiterin Dorothee Schneider kämpft noch mit den Folgen eines Schlüsselbeinbruchs, den sie sich bei einem Sturz vor einigen Wochen zugezogen hat. Beim Training trägt sie eine feste Weste, die allerdings nicht unter den Frack in der Prüfung passt. Das Zähne-Zusammenbeißen lohnte sich: Mit 80,520 Prozent wurde Schneider auf Show Time Dritte im Grand Prix.

Der Druck ist der übliche: Von der Dressur wird Olympia-Gold erwartet

Wenn nichts dazwischen kommt, werden diese drei Paare auch in Tokio versuchen, die Gold-Tradition der deutschen Dressurreiter fortzusetzen. Sie wurde seit 1976 nur zweimal unterbrochen, einmal durch den Olympiaboykott des Westens 1980 in Moskau, und einmal 2012 in London, als sich die Deutschen hinter den Briten einreihen mussten. Keines der gegnerischen Teams hat drei Reiter, von denen jeder siegen könnte. Da insgesamt nur drei Reiter antreten dürfen, es also kein Streichergebnis gibt, wird in Balve noch ein Reservist gesucht, der notfalls noch während des Olympiaturniers eingetauscht werden kann. Gestern empfahlen sich Benjamin Werndl mit Daily Mirror und Helen Langehanenberg mit Annabelle für diesen eher undankbaren Posten.

Der Druck ist groß, das Dressur-Team-Gold ist vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) fest eingeplant. "Das war doch immer so", sagt Monica Theodorescu, "ich kenne es ja gar nicht anders." Dreimal hat sie bei Olympischen Spielen selbst zum Mannschaftssieg beigetragen. In Rio stand sie zum ersten Mal als Trainerin am Viereck. Den Spielen in Tokio sieht sie mit gemischten Gefühlen entgegen. "Natürlich ist Olympia wichtig für den Sport und die Sportler, so manche Karriere wird ja darauf aufgebaut." sagt sie, denkt aber auch an das Risiko: "Mit dem Gedanken gehe ich schlafen und damit wache ich wieder auf. Aber die Entscheidung ist gefallen, wir fügen uns und ich mache meinen Job."

Viele Fragen sind offen: Was passiert, wenn bei den Pferdepflegern das Virus ausbricht?

Der wird schwieriger als je zuvor, weil die Bewegungsfreiheit der Akteure stark eingeschränkt ist und die Corona-Bestimmungen, wie etwa die täglichen Tests, zusätzlich belasten. Familie und Freunde dürfen nicht kommen. "Fähnchen schwenkende Fans auf den Tribünen wird es wohl nicht geben," fürchtet Theodorescu. Und viele Fragen sind noch offen, auf die im Moment auch der Weltverband FEI keine Antwort weiß. Was passiert, wenn in der Unterbringung der Pferdepfleger ein positiver Covid-19-Fall auftritt? Wer füttert die Pferde, wenn alle in Quarantäne müssen?

Vielleicht ist es für den Sportler besser, sich auf das zu fokussieren, wozu er nach Tokio geschickt wird: die bestmögliche Leistung abzuliefern. "Jetzt geht's los", sagt Werth. Mit einer Absage der Spiele rechnet sie nicht mehr, auch ihren sechsten Olympischen Spielen fiebert sie entgegen wie den ersten 1992. "Jetzt fängt es an zu kribbeln", sagt sie. Das Leben in der olympischen Blase schreckt die 51-Jährige nicht. "Wir Reiter haben ja oft unser eigenes Ding gemacht". Etwa in Hongkong 2008, wohin die Reitwettbewerbe von Peking verlegt worden waren. Werth kann schon deswegen entspannt sein, weil sie als einzige Dressurreiterin der Welt zwischen drei Pferden wählen kann, die für eine Medaille gut sind. Hinter Bella Rose steht die 15-jährige Weihegold im Stall, die verlässliche Gold- und Silberstute von Rio. Der elfjährige Quantaz wurde in Balve im Grand Prix mit 28,28 Prozentpunkten und Platz vier bedacht. Mit sechs Goldmedaillen ist Werth schon jetzt die bislang erfolgreichste Reiter-Olympionikin, Nummer sieben liegt quasi schon bereit.

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