Garmisch-Sieger Dreßen:"Scho a wuider Hund"

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Downhill

Gewinnt in Garmisch: Thomas Dreßen

(Foto: Daniel Kopatsch/Bongarts/Getty Images)
  • Die besten Fahrer wählen nie die Startnummer eins, Thomas Dreßen tut es.
  • Er rauscht so ruckelfrei über die ruppige Kandahar-Abfahrt wie kein anderer und holt den ersten Abfahrtssieg eines DSV-Fahrers in Garmisch seit 1992.

Von Johannes Knuth, Garmisch-Partenkirchen

Thomas Dreßen fuhr ins Ziel, er winkte ins Publikum, er hatte allen Grund zur Freude. Der 26-Jährige war gerade die schnellste Zeit bei der Abfahrt am Samstag in Garmisch-Partenkirchen gefahren. Er hatte dafür allerdings noch nicht allzu viele Konkurrenten überbieten müssen: Dreßen war als allererster Fahrer ins Rennen aufgebrochen. Er verbeugte sich trotzdem schon mal vor den Zuschauern wie ein Schauspieler nach einer dreistündigen Theateraufführung; er war dankbar dafür, wie sehr das Heimpublikum den Zielraum für ihn vibrieren ließ, eh klar.

Aber war in diesem Moment auch schon der Vorhang im Rennen gefallen?

Knapp zwei Stunden später war es tatsächlich aktenkundig: Thomas Dreßen vom SC Mittenwald hatte mit Startnummer eins die schnellste Fahrt in die Ergebnisliste gewuchtet. Es war sein vierter Sieg auf der Abfahrt, sein vierter Erfolg im Weltcup insgesamt und sein erster auf der ruppigen Kandahar-Abfahrt. "Es war immer ein Traum, dass ich da mal gewinne", sagte er, aber "dass das da heuer schon funktioniert, ist natürlich der Wahnsinn". Er meinte: In seiner Comeback-Saison nach schwerem Knieschaden und dem verpatzten Kitzbühel-Auftritt vor einer Woche. Der einzige Deutsche, der zuvor in Garmisch reüssiert hatte, war ein gewisser Markus Wasmeier gewesen. Das war vor 28 Jahren.

Später standen beide im Medienzelt gemeinsam auf der Bühne, der einst beste deutsche Skirennfahrer und der beste der Gegenwart. "Scho a wuider Hund", begann Wasmeier seine kurze Laudatio, der 56-Jährigen ist in diesen Tagen ja recht häufig gefragt. Dreßen hatte Wasmeier zu Saisonbeginn als erfolgreichsten deutschen Abfahrer im Weltcup abgelöst, mit seinem Erfolg in Lake Louise, später, in Wengen, raste er als Dritter und damit als erster Deutscher seit Wasmeier aufs Podest. Und jetzt? "Jetzt kimmt dann noch Olympia", scherzte Wasmeier, der Doppel-Olympiasieger von 1994. Derartige Meriten fehlen Dreßens Vita bislang. Noch.

Die Besten wagen sich selten als Erste ins Rennen

Den Sieg in Garmisch hatte er sich schon am Abend zuvor verdient, mit "hohem Risiko" wie der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier später anerkennend befand. Dreßen hatte bei der Startnummernvergabe zur Nummer eins gegriffen, obwohl noch höhere Ziffern verfügbar waren - je besser ein Fahrer in der Weltrangliste platziert ist, desto eher darf er wählen. Die Besten wagen sich jedenfalls selten als Erste ins Rennen, sie studieren lieber ein, zwei Fahrten der Konkurrenz; je nach Wetterlage fungiert der Erste schon mal als Räumkommando. Aber in Garmisch hatte es auch am Samstag teils zweistellige Plusgrade - da würde vielleicht sogar die schattige Kandahar nach den ersten Läufern aufweichen und keine schnellen Fahrten mehr gewähren. Oder doch nicht?

Dreßen tat zunächst das, was in seiner Macht lag: Bis auf ein paar Wackler im Mittelteil rauschte er so ruckelfrei über die Piste, wie man es von seinen besten Fahrten kennt. Beat Feuz war rund drei Zehntel langsamer; jener Schweizer, der es vor Garmisch in 17 von 19 (!) Abfahrten immer aufs Podest geschafft hatte. Diesmal: Platz sechs. So mühten sie sich alle an Dreßens Richtwert ab. Der Österreicher Vincent Kriechmayr, Zweiter zuletzt auf der Streif, fuhr erst wie auf Schienen, rutschte im Zielschuss dann von der Ideallinie - 26 Hundertstelsekunden Rückstand. Aleksander Aamodt Kilde aus Norwegen: wild im oberen Teil, unten rasend schnell - 16 Hundertstel Verspätung, Platz zwei am Ende. Der Franzose Johan Clarey: verspielte seinen knappen Vorsprung noch im Ziel, er wurde Dritter. Auch sonst vergaben alle Mitbewerber im Zielschuss ihre Chancen, von Kjetil Jansrud, dem aktuellen Abfahrts-Weltmeister, bis zu Dreßens Teamkollegen Josef Ferstl und Andreas Sander. Wobei das offenkundig nicht an der Piste lag, sondern an Dreßens Zauberlinie kurz vor dem Ziel.

Als der Jubel der Zuschauer aus dem Tal heraufrollte

Als der 26-Jährige seine Fahrt später erklärte, lernte man mal wieder einiges über seine Fähigkeiten. Er habe am Freitag die Trainingsfahrt von Travis Ganong studiert, der 2017 eine Abfahrt auf der Kandahar gewonnen hatte. Der Amerikaner habe die Zielpassage nun "extrem rund" angesteuert, sagte Dreßen. So fuhr er dann auch am Samstag. Er holte vor den letzten Toren etwas weiter aus, war mit dem Schwung dafür früher fertig und konnte die Ski plan über das Eis gleiten lassen, während sich andere an selber Stelle um die Kurven zwängten. Mit einer höheren Startnummer hätte der 26-Jährige diese Linie schwerer fahren können, aber als erster Starter hatte er noch mit keinen Spurrillen zu kämpfen. Das sei eben eine Fertigkeit, "über die nur ganz wenige Abfahrer in der Welt verfügen", sagte Sportdirektor Maier später: dass Dreßen bei der Pisteninspektion eine Rennlinie erspähe, die nicht viele erkennen - und die Theorie im Rennen auch oft in die Praxis überführe.

Und sonst? Er sei ja ein Typ, "der vor dem Rennen noch s a bissel a Gaudi macht und rumflachst", sagte Dreßen. Das sei ihm in Kitzbühel zuletzt nur gar nicht gelungen, da sei er alles "a bissel zu streng" angegangen. Er wurde 17. (Super-G) und 26. (Abfahrt), bemühte sich in Garmisch wieder darum, "dass ich in erster Linie a Spaß habe" - offenkundig mit Erfolg. Als er am Samstag an die Startlinie kroch und der Jubel der Zuschauer aus dem Tal heraufrollte, da habe er sich schon gefreut, sagte er, und diese Lockerheit übertrug sich offenbar auch ins Rennen. Dieses Gefühl, sagte Dreßen, wolle er für die kommenden Rennen konservieren: "Dass ich einen Spaß habe am Skifahren."

Die deutschen Abfahrer hatten am Samstag überhaupt viel Spaß. Neben Dreßen fanden sich vier Teamkollegen unter den besten 20 Fahrern ein, die sich auf der verkürzten Piste innerhalb einer läppischen Sekunde drängelten: Josef Ferstl wurde 12., Andreas Sander 14., Dominik Schwaiger 17., Romed Baumann 19. Manuel Schmid sammelte als 24. ebenfalls Weltcup-Punkte, Simon Jocher, 23, vom SC Garmisch wurde bei seinem Debüt im Weltcup 46.

Die erste Party am Samstag war dennoch den Italienern vorbehalten: Peter Fill, der zweimalige Sieger der Abfahrtswertung, beendete mit dem 355. Weltcup-Rennen seine Karriere. Er wurde mit einer Champagnerdusche der Kollegen empfangen, das Publikum applaudierte ähnlich donnernd wie zuvor bei Dreßen.

Aber die deutsche Party kam dann auch recht bald ins Rollen.

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