Dreifach-Torschütze im DFB-Team:Langes dünnes Müller

Germany v Portugal: Group G - 2014 FIFA World Cup Brazil

Kleines, dickes Müller, das war der Gerd. Jetzt kommt der Thomas, lang und dünn.

(Foto: Getty Images)

Sieben WM-Spiele, acht Tore: Thomas Müller besticht mit einer Quote, die bisher für Namensvetter Gerd reserviert war. Und so trocken, wie er seine Treffer erzielt, führt er die Debatte um falsche oder echte Stürmer auf ihren Kern zurück.

Von Christof Kneer, Salvador

Am Samstag spielt die deutsche Mannschaft in Fortaleza, droben im Norden Brasiliens. Dort oben ist es heiß und feucht, aber die gemeinste Tücke hat der offizielle Wetterbericht der Delegation aus Deutschland bisher vorenthalten. Zur Ehrenrettung der Brasilianer muss man anmerken, dass das nicht unbedingt eine Kriegslist sein muss, besagtes Wetterphänomen ist mit den Instrumenten der klassischen Meteorologie schwer zu entdecken. Über Fortaleza liegt kein Hoch oder Tief, dem man irgendeinen Namen geben könnte. Im Anmarsch ist der "Fluch Ronaldo".

Vor ein paar Wochen, bei der Eröffnung eines WM-Festes im nördlichsten WM-Spielort, war der große Ronaldo als Stargast eingeladen, nicht der große Ronaldo von heute, sondern der dicke Ronaldo von früher (der damals, zu seiner aktiven Zeit, übrigens nicht dick war, sondern gedrungen, bullig, muskulös).

Aus seinen gedrungenen, bulligen, muskulösen Zeiten hält der dicke Ronaldo noch einen Rekord, er hat als einziger bisher 15 WM-Tore erzielt; eines mehr als dieser klapprige Deutsche namens Miroslav Klose, der sich mit einem Konto von 14 WM-Treffern und im Alter von 36 noch mal zur WM geschleppt hat. Aber wer Klose kennt, der weiß, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn er mit seinem angeblich schadhaften Körper kokettiert. Er schießt meistens ein paar Tore danach.

"Verhext Klose ein bisschen, das wäre sehr gut", sagte der dicke Ronaldo also damals in Fortaleza. Das war ganz lustig. Dann sagte er, die Fans in Fortaleza sollten "alle Energie nutzen, um gegen Klose und die Deutschen anzufeuern". Das war nicht mehr so lustig. Und als Ronaldo später im Fernsehen das Testspiel der Deutschen gegen Armenien kommentierte, fragte er, als sich Marco Reus verletzt am Boden wälzte: "Könnte das jetzt nicht Klose sein?" Das war überhaupt nicht mehr lustig.

Der Mann macht sich Sorgen um seinen Rekord, aber seit Montagnachmittag Ortszeit kann sich Ronaldo ein bisschen entspannen. Beim 4:0 der DFB-Elf gegen Portugal ist ihm der Rivale Klose nicht nähergekommen, es ist Klose trotz aller Routine nicht gelungen, von der Ersatzbank aus ein Tor zu schießen. Aber dennoch ahnt Ronaldo, dass ihm wohl nur noch ein baldiger Weltuntergang seinen Rekord retten kann.

Vielleicht hält der Rekord noch für dieses Turnier, obwohl der klapprige Klose sicher bald ein paar Schüsse und Kopfbälle anbringen wird. Aber spätestens beim nächsten Turnier wird der dicke Ronaldo zusehen müssen, wie ihm der nicht gedrungene, nicht bullige, nicht muskulöse Thomas Müller den Rekord wegschnappt.

Langes, dünnes Müller hat nach seinen drei Treffern gegen Portugal endgültig eine Bilanz beieinander, die an kleines, dickes Vorgänger erinnert. Sieben WM-Spiele, acht Tore: Solche Zahlen - mit mehr Toren als Spielen - waren bisher für Gerd Müller reserviert, den legendären Münchner mit der Nummer 13. Jetzt sind es auch die Zahlen dieses anderen Münchners mit der Nummer 13, der auf seinem Weg zur Legende schon ein gutes Stück vorangekommen ist, obwohl er erst 24 Jahre alt ist.

Gerd Müller, Thomas Müller, Thomas Müller, Gerd Müller: Die Vergleiche gab es erstmals, als der Müller Thomas aus Bayerns Amateur-Elf in Bayerns Profi-Elf aufrückte, es gab sie nach jedem weiteren Tor und erst recht gab es sie nach dem Auftaktspiel der WM 2010 in Südafrika, als der junge Müller beim 4:0 gegen Australien Gerd Müllers WM-Siegtor von 1974 detailgetreu nachstellte. Beim Auftaktspiel 2014 hat er nun ein weiteres hochwertiges Duplikat angefertigt: Das 4:0 - abstauben, hinfallen, auf den Popo plumpsen - hätte der große Gerd auch nicht schöner hinbekommen.

Echte, falsche, grüne Neuner: Müller beendet die Debatte

Beide hatten/haben diese unnachahmliche Art, Tore zu schießen: Es sah/sieht immer ein wenig bucklig aus, manchmal ein wenig ungelenk, beim Thomas mehr als beim Gerd - und doch waren/sind Müller-Tore immer Meisterwerke der Körperbeherrschung. Der eine hat sie ansatzlos aus den strammen Oberschenkeln geschüttelt, der andere holt sie aus Steckerlhaxen hervor, die nicht viel anders aussehen als die Beine älterer oberbayerischer Männer, die in der Radlerhose im Biergarten sitzen und dort in Würde ihr Werk verrichten.

Später, in der Pressekonferenz, haben die ausländischen Reporter all jene Fragen gestellt, die deutsche Reporter auch gestellt haben, als sie dieses bayerische Urviech erstmals von Nahem gesehen haben. Dieser Müller sei doch gar nicht schnell und gar nicht kräftig, sagte jemand; ob der Bundestrainer mal beschreiben könne, was dieser Müller für einer sei?

Man wisse "als Trainer selbst nie so genau, welchen Weg Thomas gerade macht", hat Joachim Löw geantwortet, Müller sei "ein unorthodoxer Spieler, der immer nur einen Gedanken im Kopf hat: Wie kann ich am schnellsten ein Tor erzielen?" Müller ist übrigens ziemlich schnell, aber Löw hat dem Reporter nicht widersprochen. Er lebt gut davon, dass die Welt immer noch nicht genau weiß, wie sie diesen Burschen fassen soll.

Thomas Müller ist mit allen Gebirgswassern gewaschen, die sich in Oberbayern finden lassen, er besitzt jene Art von sympathischer Verschlagenheit, die Löws Eliteschülern manchmal fehlt. Müller ist hingebungsvoll zu Boden gestürzt, als ihn Portugals Verteidiger Pepe beim Laufduell im Gesicht erwischte. Pepe ist ein begabter Provokateur, aber an Müller ist er gescheitert. Pepe hat sich selbst provozieren lassen und ist nach angedeutetem Kopfstoß vom Platz geflogen; er habe da "nix schinden wollen", hat Müller später nur gesagt.

Müller ist der Mann, dem das Land jetzt dankbar sein muss. Wenn einer es schafft, die Debatte um echte, falsche oder grüne Neuner zu beenden, dann er. "Es gibt nur eine falsche Neun auf der Welt, und das ist Messi. Alles andere sind Bewegungsstürmer, oder was auch immer" - so trocken, wie er zu schießen pflegt, hat Müller die Debatte mal eben auf ihren Kern zurückgeführt: Es geht nicht darum, ob ein Stürmer 1,50 Meter oder 2,50 Meter groß ist, ob er hohe Flanken oder flache Pässe mag; es geht nur darum, ob er den Instinkt hat, den Punch und das Abschlussvermögen.

Weil Thomas Müller von allem im Übermaß besitzt, könnte es gut sein, dass er, der bislang meist vom Flügel zu seinen Läufen aufbrach, künftig häufiger im Zentrum zu finden ist. Er ist kein falscher Neuner, er ist ein echter Müller, und er ist auf dem besten Wege, das zu werden, was der große Gerd war: der Bomber der Nation.

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