Drama um Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf:Ich? Disqualifiziert? Nein. Silber!

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Nach dem abschließenden 800-Meter-Lauf kommt es zum Drama um Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf. Zuerst wird sie disqualifiziert, dann stellt sich heraus, dass sie die Kampfrichter verwechselt haben. Eine Stunde später steht sie neben Jessica Ennis mit Silber auf dem Siegerpodest.

Jürgen Schmieder, London

Als das Rennen vorüber war, ging Lilli Scharzkopf erst einmal in die Knie, dann ließ sie sich einfach auf die Tartanbahn fallen. Dort blieb sie liegen, sekundenlang. Kollegen mussten ihr auf die Beine helfen, sie wurde umarmt und geküsst. Sie wusste, dass sie mit einer Zeit von 2:10,50 Minuten nahe an der persönlichen Bestleistung war - aber sie wusste nicht, ob sie eine Medaille gewonnen hatte. Also fiel sie einfach wieder um.

"Ich war total schockiert": Lilli Schwarzkopf in dem Moment, als sie auf der Anzeigetafel als disqualifiziert gewertet wird. (Foto: dapd)

Es dauerte mehrere, lange Minuten, in denen nur eins feststand: Jessica Ennis war Olympiasiegerin. Das war auch das Einzige, was die 80.000 Menschen im Stadion interessierte. Doch die anderen mussten warten und warten, es wollte einfach kein Endergebnis des Siebenkampfs auf der Anzeigetafel erscheinen. Erst als die Sportlerinnen schon auf ihrer traditionellen gemeinsamen Ehrenrunde, erschien auf der Tafel: Lilli Schwarzkopf disqualifiziert.

Schwarzkopf blickte ungläubig, sie lächelte ein bisschen, dann schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. Ihr Blick sagte: Ich? Disqualifiziert? Warum?

Eine Läuferin hatte die Bahn verlassen - und die Kampfrichter hatten diese Läuferin für Lilli Schwarzkopf gehalten. "Platz 28: Schwarzkopf", stand im Endklassement. Die deutschen Verantwortlichen sahen sich das Rennen an, sie wollten sogleich Protest einlegen, doch das war gar nicht nötig. Die Kampfrichter nahmen die Disqualifikation zurück, es war die Russin Kristina Sawizkaja, die von der Bahn abgekommen war. Deshalb war auch ein Gegenprotest nicht möglich.

Als Schwarzkopf ihr erstes Interview in der ARD gab, wussten die Fernseh-Journalisten das noch gar nicht. Die Athletin klärte noch immer völlig außer Atem die Öffentlichkeit auf: "Die Briten haben eine schöne Art Humor. Ich bin drin, meine Zeit wird gezählt, die haben einen Fehler gemacht, das bin nicht ich, die dachten, das war ich auf der anderen Bahn. Sie dachten, ich wäre das."

Sie sei "total schockiert" gewesen, als sie von ihrer Disqualifikation gehört habe. "Eine Frau sagte, ich bin raus. Ich meinte, ich habs gar nicht gemerkt, ich war das nicht." Schwarzkopf war noch völlig durcheinander. "Die Art zu joken, das ist unglaublich. Sie haben so eine trockene Art und Weise." Doch auf welchen Platz sie am Ende des Siebenkampfs stehen würde, das wusste sie noch immer nicht. Nur, dass sie gleich zur Siegerehrung erscheinen solle. Silber? Bronze? Keine Ahnung! Es wurde Silber für Lilli Schwarzkopf.

Siebenkampf der Frauen
:Ein Gesicht und ein Drama

Während Jessica Ennis von den 80.000 Zuschauern und ihren Teamkolleginnen gefeiert wird, durchlebt Lilli Schwarzkopf nach dem 800-Meter-Lauf schwierige Minuten. Doch schließlich gibt es im Siebenkampf der Frauen auch für Sie ein Happy End.

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Neun Punkte. Das war der Rückstand, den Schwarzkopf im 800-Meter-Lauf des aufholen musste. Neun Punkte Vorsprung hatte Ljudmyla Josypenko vor ihr, die vor der abschließenden Disziplin auf Rang drei lag. Schwarzkopf rangierte an fünfter Stelle, zwischen ihr und der Ukrainerin war noch Antoinette Nana Djimou Ida. Schwarzkopfs Saisonbestleistung über die Strecke war fast zwei Sekunden schneller als die Ukrainerin und mehr als vier Sekunden besser als die Französin. Damit würde sie die beiden überholen, auf Rang sechs allerdings lag mit 35 Zählern Rückstand auf Schwarzkopf die herausragende 800-Meter-Läuferin Tatjana Tschernowa. Und an Platz zwei lag ja noch die Litauerin Austra Skujyte, eine schwache Läuferin, aber doch sieben Sekunden vor Schwarzkopf.

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"Das ist die Chance meines Lebens. Es wird ein spannendes Rennen, da muss ich die Nerven behalten und mir dann die Seele aus dem Leib rennen", sagte Schwarzkopf nach dem Speerwerfen. Sie hatte zwei Tage lang einen herausragenden Wettkampf geliefert, im Hürdenlauf und beim Hochsprung waren ihr persönliche Bestleistungen gelungen, beim Kugelstoßen, über 200 Meter und im Weitsprung hatte sie Saisonbestmarken erzielt. Im Speerwurf, ihrer Lieblingsdisziplin, war sie ein wenig hinter den Erwartungen geblieben, den Rückstand auf Bronze aber verkürzt.

In Führung lag vor den 800 Metern die Britin Jessica Ennis, recht deutlich mit 188 Zählern Vorsprung. Die Briten hatten für die Olympischen Spiele Gesichter ausgemacht, quasi für jede Wettkampfstätte eines. Das im Aquatic Centre war Rebecca Adlington, auf der Radstrecke war es Bradley Wiggins, in den Fußballstadien sollte es Ryan Giggs sein. Im Olympiastadion, da war es Jessica Ennis.

Die Britin lief, sie sprang, sie warf - und nach jeder beendeten Disziplin hatte sie noch ein wenig mehr gelächelt als auf den Plakaten in der Stadt. "Es war bislang ein brillanter Tag", sagte sie nach dem Speerwerfen, "es wäre schön, wenn ich 7000 Punkte erreichen würde. Jetzt ruhe ich erst mal aus, dann laufe ich die 800 Meter und genieße die Atmosphäre im Stadion."

Diese Atmosphäre beeindruckte übrigens auch jene, die schon im Stadion gewesen waren, als Carl Lewis und Jürgen Hingsen noch angetreten waren. Schwarzkopf kam in die Arena, sie wirkte ruhig und gelöst, sie entledigte sich als Letzte der wärmenden Klamotten und rannte gar noch einem Ordner hinterher, weil sie etwas vergessen hatte. Sie stellte sich an ihren Platz und blies Backen auf. Herzschläge über die Lautsprecher im Stadion.

Dann begann das Rennen - und Schwarzkopf rannte sich tatsächlich die Seele aus dem Leib. Eine Runde lang blieb sie an Ennis dran, dann plötzlich überholte sie und lief vorneweg. Die Russin konterte und kam vor Schwarzkopf ins Ziel. Die Zeit reichte vermutlich für Silber - doch dann wurde sie disqualifiziert. Und dann wieder nicht und dann protestierten noch die Ukrainer, weil Ljudmyla Josypenko nun Vierte war. Dann musste die deutsche Mannschaft Gegenprotest einlegen. Es ging weiter.

Irgendwann war dann doch klar: Lilli Schwarzkopf war verwechselt worden. Gut, dass in der Leichtathletik eine Entscheidung der Schiedsrichter im Gegensatz zum Weltsport Fußball noch verbessert werden kann. Dennoch war ein peinlicher Faux Pas der Kampfrichter. Oder wie Lilli Schwarzkopf sagte: Die Briten haben Humor.

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