Drama im Fecht-Halbfinale:Das lange Verlieren der Shin A Lam

Im Fecht-Halbfinale des Degen-Wettkampfs darf Britta Heidemann in der allerletzten Sekunde dreimal angreifen, bis sie den entscheidenen Stoß setzt. Verliererin Shin A Lam aus Südkorea ist entsetzt über die Entscheidung des Kampfgerichts, muss wegen des laufenden Protests auf der Planche sitzen bleiben und ist nun ein Gesicht der Spiele.

Jürgen Schmieder, London

Bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul stellte der Boxer Byun Jong-il einen Rekord auf: 67 Minuten blieb er nach seiner Zweitrunden-Niederlage gegen den Bulgaren Alexandr Hristov aus Protest im Ring sitzen. Er kauerte einfach da, während um ihn herum Tumulte ausbrachen: Zuschauer warfen mit Flaschen, Funktionäre bestürmten die Kampfrichter. Das Foto von Byun Jong-il gilt in Asien als Bild dieser Spiele, während es in westlichen Ländern eher Ben Johnson ist, wie er mit erhobenem Arm die Ziellinie überquert. Johnson wurde später des Dopings überführt.

South Korea's Shin reacts after being defeated by Germany's Heidemann during their women's epee individual semifinal fencing competition at the ExCel venue at the London 2012 Olympic Games

Shin A Lam, nachdem sie von Britta Heidemann in der letzten Sekunde noch getroffen worden ist und wegen des Protests ihres Trainers auf der Planche sitzen bleiben muss.

(Foto: REUTERS)

Von großen Sportveranstaltungen bleibt einem oftmals nur ein Bild in Erinnerung, eine Szene. Ein Augenblick, der so groß ist, dass er genügt, um eine Geschichte zu erzählen. Die tätowieren sich selbst in die Netzhaut der Menschen ein und erscheinen immer wieder. Und es braucht keine Worte mehr, jeder weiß sofort, worum es geht.

Das Bild von Uwe Seeler, wie er während des WM-Finales 1966 vom Platz schleicht, ist so ein Bild - auch wenn es in der Halbzeit aufgenommen wurde. Das Foto des Terroristen, der während der Spiele 1972 vom Balkon im olympischen Dorf guckt, ist auch so ein Bild. Und natürlich Usain Bolt, wie er sich nach seinem Erfolg über 100 Meter bei den Spielen in Peking in Pose wirft.

Die Spiele in London haben am Montagabend so ein Bild erhalten - und wieder war es ein enttäuschter Mensch aus Südkorea. Die Fechterin Shin A Lam hatte im Halbfinale des Degen-Wettbewerbs gegen Britta Heidemann verloren, in der letzten Sekunde, die eigentlich die letzte Hundertstelsekunde war. Die Entscheidung war äußerst umstritten.

Heidemann lag in der Wertung zurück, sie musste einen Treffer landen, um zu gewinnen. Drei Mal innerhalb einer Sekunde überwand sie die knapp zwei Meter zwischen ihr und Shin. Dazwischen wurde die Uhr jeweils angehalten. Weil Shin gleichzeitig traf, blieb es zunächst beim Gleichstand, erst mit dem letzten Sprungstoß traf Heidemann alleine, ein knapperer Sieg ist kaum denkbar. Es wurde diskutiert, es wurde geschrien, es wurde gar gerangelt. Es gab Proteste, dann einen offiziellen Einspruch gegen das Ergebnis.

Shin weinte erst, dann zitterte sie vor Erregung, dann weinte sie wieder. Schließlich setzte sie sich hin, auf diese große Planche, und sie bewegte sich keinen Zentimeter mehr. Irgendwann legte ihr jemand ein Handtuch über die Schultern, doch das nahm sie gar nicht mehr wahr. Erst als ihr nach fast einer Stunde mitgeteilt wurde, dass ihr Protest abgewiesen worden war, warf sie das Handtuch weg und verließ schluchzend die Halle.

Sie wurde bejubelt, die Südkoreanerin, die Menschen im ExCeL Centre feuerten sie bei ihrem Duell im Bronze an, doch es half nichts. Sie verlor. Sie brach noch nicht einmal den Rekord für den längsten Protest der olympischen Geschichte. Den hält weiter Byun Jong-il.

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