Eishockey-Profi Leon Draisaitl:Konstant unter den Besten

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"Ich bin in meiner Rolle sehr glücklich": Leon Draisaitl, bester Passgeber der NHL und womöglich zurzeit der beste Eishockeyspieler der Welt. (Foto: Brett Holmes/Icon SMI/Imago)

Die Edmonton Oilers sind das formstärkste Team in der NHL, der deutsche Angreifer Leon Draisaitl sogar noch besser als sein Mannschaftskollege Connor McDavid. Was noch fehlt zur Vollendung: der Stanley Cup. Eine Begegnung in Los Angeles.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Das Outfit von Leon Draisaitl beim Training seiner Edmonton Oilers am Morgen der Partie bei den Los Angeles Kings ist ein klein wenig verblüffend. Barfuß in Slippers, Capri-Hose, Wollpulli - so schlurft er durch die Arena, während die Kollegen in voller Montur in Richtung Eis marschieren. "Freiwillige Einheit", sagt Draisaitl und grinst. Hinter ihm läuft Connor McDavid im Anzug vorbei und lächelt ebenfalls. Sie schadete jedenfalls nicht, die kleine Pause vor den beiden Partien in LA; erst gegen die Kings (3:1, Draisaitl schoss Saisontor Nummer 51 und schaffte seine Vorlagen 71 und 72) und einen Tag später gegen die Anaheim Ducks (3:1).

Die Oilers haben elf ihrer vergangenen zwölf Partien gewonnen und die andere nur nach Verlängerung verloren. Mit 103 Punkten haben sie die Chance, in den Playoffs von 17. April an auf Platz eins der Western Conference gesetzt zu sein. Über zwei Dinge gibt es keine Debatten derzeit: Edmonton ist das formstärkste Team der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL, und Draisaitl ist der beste Eishockeyspieler der Welt. In diesen zwölf Partien hat er acht Tore erzielt und 16 weitere vorbereitet. Das sind astronomische Werte einer ohnehin schon wieder außergewöhnlichen Saison.

Und die Wortkombination schon wieder ist für Draisaitl wichtiger als Bestmarken: "Natürlich bin ich stolz darauf. Das Lob der Kollegen (Draisaitl wurde von den NHL-Profis zum zweiten Mal nacheinander zum besten Passgeber der Liga gewählt, Anm. d. Red.) ehrt mich. Das Spezielle für mich ist aber die Konstanz: Das immer wieder zu zeigen. Das entspricht auch eher meinem Naturell: nicht so viel über das Vergangene nachdenken, sondern immer nach vorne schauen."

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Also dann: Warum sind die Oilers so gut derzeit, und warum können sie in diesem Jahr den Stanley Cup gewinnen? Draisaitl, 27, nennt drei Gründe: "Jeder hat jetzt seine Rolle im Team gefunden, die Chemie stimmt, wir wissen jetzt genau, wie die anderen ticken. Wir spielen konstanter gegen unangenehme Teams wie zum Beispiel die Kings. Und unser Powerplay ist eine Waffe, die nur sehr schwer zu verteidigen ist." Es hat sich was getan nach durchwachsenem Saisonbeginn, Trainer Jay Woodcroft beschreibt das so: "Wir fühlen uns wohl dabei, uns unwohl zu fühlen."

Einer von beiden bereitet dem Gegner immer Ärger: Leon Draisaitl (l.) und Connor McDavid, die zwei besten Scorer der NHL. (Foto: James Guillory/USA TODAY Network/Imago)

Die Kritik an den Oilers war stets: Ja, sie haben in McDavid und Draisaitl zwei der besten Angreifer der Geschichte - und nein, das ist keine Übertreibung. Aber hinten klingelt es zu oft. Jetzt, und genau das meint Woodcroft mit seiner Wohlfühlen-beim-Unwohlfühlen-Aussage, denken die Oilers so: Wenn wir jederzeit ein Tor schießen können - könnten wir dann nicht den Fokus aufs Toreverhindern legen, weil wir wissen, dass wir schon irgendwie treffen werden? McDavid und Draisaitl haben in dieser Saison ja schon jeweils mehr als 50 Tore erzielt, als erstes Duo seit Mario Lemieux und Jaromir Jagr (Pittsburgh Penguins, 1995/96). Es ist natürlich geradezu blasphemisch, McDavid nicht zum besten Akteur der Welt zu erklären, seine Saisonwerte (62 Tore/85Vorlagen) sind noch besser als die von Draisaitl - aber der ist gerade eben noch besser drauf. Und er hat die einzigartige Gabe, aus dem Nichts etwas zu kreieren. Das macht die Oilers gerade so erfolgreich.

Bestes Beispiel war die fahrige Partie gegen die Kings: Lange stand es 0:0, es gab kaum Schüsse. Dann holte sich Draisaitl den Puck im gegnerischen Drittel, Rückhand-Pass auf Ryan Nugent-Hopkins, Tor. Später drückte er aus dem Gewusel vor dem Tor einen Abpraller ins Netz zur 2:1-Führung, und am Ende behielt er in Unterzahl die Übersicht für einen Pass, der zur Entscheidung führte.

Das war nicht unbedingt schön, aber es war zielführend, und Draisaitl spielt dabei eine zentrale Rolle. Er besitzt zum einen eine Gabe, dass sich Bewegungen der anderen Spieler auf dem Eis für ihn zu verlangsamen scheinen. Er wirkt deshalb nie fahrig oder gar hektisch. Und er hat die technischen Fähigkeiten, den Puck wie an der Schnur zu Mitspielern zu bugsieren. Es gibt genügend Videos im Internet mit grandiosen Draisaitl-Pässen: mit der Rückhand, aus der Drehung, durch die Beine, mit dem Schlittschuh wie ein Fußballer.

Kein Team hat mehr als einen Spieler mit mehr als 100 Scorerpunkten. Die Oilers haben drei

Es kann also immer was passieren, wenn Draisaitl oder McDavid auf dem Eis sind. McDavid ist einer, der mit seinem explosiven Antritt mehrere Gegenspieler umkurven kann und so Chancen kreiert, auf komplett andere Weise als Passgenie Draisaitl. Und weil die beiden mittlerweile fast nur noch in Überzahl gemeinsam in Aktion treten, haben die Oilers zwei Angriffsreihen, die jederzeit treffen können. So schaffte auch Nugent-Hopkins gegen die Ducks bereits seinen 100. Scorerpunkt der Saison. Es gibt nur acht Spieler, die diesen Meilenstein in dieser Spielzeit erreicht haben. Kein anderes Team hat zwei. Die Oilers haben drei.

In den vergangenen vier Partien kassierten die Kanadier insgesamt nur zwei Gegentreffer - zu Beginn der Saison wäre das ein normales Drittel für die Oilers gewesen. "Jeder hat verstanden, wie wir erfolgreich sind. Du brauchst ein Team, das so was durchzieht, und das haben wir in dieser Saison", sagt Draisaitl.

Kein Wunder also, dass er bestens gelaunt ist derzeit - und deshalb herrliche Draisaitl-Sätze sagt wie jenen, dass er trotz seiner Leistungen in Edmonton immer im Schatten von McDavid steht: "Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wo ich hingehöre. Ich kann meinen Platz gut einschätzen, ob mit ihm, im Verein, in der Stadt. Ich bin in meiner Rolle sehr glücklich. Es ist nun mal so. Sollte es irgendwann mal anders sein, dann wird das auch nun mal so sein." Fehlt also nur noch eine Sache, und natürlich beschreibt er auch die mit einem Draisaitl-Satz: "Gibt wichtigere Dinge als die Einzel-Statistiken. Stanley Cup zum Beispiel."

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