NHL:Draisaitl gehört nun zum höchsten Eishockey-Adel

NHL: Anaheim Ducks at Edmonton Oilers

Wertvolle Unterschrift, nicht nur auf Autogrammkarten: Die Edmonton Oilers bezahlen Leon Draisaitl 68 Millionen Dollar für acht Jahre.

(Foto: USA TODAY Sports)

Das gab's noch nie: Nationalstürmer Leon Draisaitl schießt in der NHL so viele Tore wie kein Deutscher vor ihm - trotzdem ärgert sich sein Klub vor den Playoffs.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer wissen möchte, was für ein Typ dieser Leon Draisaitl ist, der sollte die Geschichte seines Vaters Peter bei den Olympischen Spielen 1992 in Albertville kennen: Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft zwingt die favorisierten Kanadier im Viertelfinale ins Penaltyschießen. Draisaitl läuft an, er muss treffen, er schiebt den Puck durch die Beine des Torwarts. Das Spielgerät vollführt ein Tänzchen auf dem Eis, das genau auf der Torlinie endet. Die Deutschen scheiden aus, es kann kein schlimmeres Scheitern geben, doch Draisaitl sagt über diesen Moment lächelnd: "Trotz der ganzen Tragik: schöne Geschichte, Klassiker."

Bei Erfolg nicht durchdrehen, in Krisen nicht verzweifeln - oder wie es auf dieser Inschrift am Center Court von Wimbledon vermerkt ist, frei übersetzt: "Wenn du Triumph und Desaster erlebst, und beide Blender gleich behandelst." Es könnte das Motto der Familie Draisaitl sein. Sohn Leon muss derzeit als Profi des NHL-Teams Edmonton Oilers beide Extreme verarbeiten: Am Samstag erzielte er gegen Calgary sein 50. Saisontor, noch nie hat ein Deutscher in der besten Eishockey-Liga der Welt so oft in einem Spieljahr getroffen. Und doch war es die letzte Partie für die Oilers. Mit den zweitwenigsten Punkten (79) der Westen Conference verpassen sie zum dritten Mal in vier Jahren die Playoffs.

Draisaitl, 23, hat nicht nur so viele Treffer und Scorerpunkte (104) geschafft wie noch nie ein deutscher NHL-Profi vor ihm, er hat seine eigenen Bestmarken (29 Treffer und 77 Punkte) regelrecht pulverisiert. 50 Tore in einer Saison, das haben in der Oilers-Geschichte bislang nur Wayne Gretzky, Jari Kurri, Glenn Anderson und Mark Messier geschafft - Draisaitl gehört nun zum höchsten Eishockey-Adel. "Die Jungs haben versucht, mir dieses Tor aufzulegen, und ich habe dann ja auch eins reingewürgt", sagte er danach im typisch gleichmütigen Draisaitl-Duktus: "Das ist schon was Besonderes, aber leider ist die Saison nun vorbei."

Die Oilers haben Draisaitl bei der Wahl der Nachwuchsspieler (Draft) 2014 an dritter Stelle verpflichtet. So früh war noch nie ein Deutscher aufgerufen worden, und doch passierte ihm zunächst genau das, was so vielen ausländischen Sportlern beim Wechsel in die knallharten US-Ligen passiert, selbst Dirk Nowitzki in der Basketballliga NBA: Sie werden für zu leicht gehalten, zu weich, zu schüchtern, und dann werden sie erst einmal auf die Bank gesetzt oder in die Provinz geschickt. Draisaitl musste zu den Prince Albert Raiders. In diesen schwierigen Momenten zu Beginn einer Karriere entscheidet sich, ob es einer schafft.

Draisaitl half dieser trockene Gleichmut, und ihm half diese Einstellung zu seinem Beruf, die er ebenfalls vom Vater mitbekommen hat: nicht motzen, lieber an sich selbst arbeiten. In den Sommerpausen verzichtete er auf ausgedehnten Urlaub, er übte in seiner Heimatstadt Köln an Details wie seiner Schusstechnik bei Direktabnahmen. Draisaitl wurde schwerer, härter, aggressiver, vor zwei Jahren gelang ihm der Durchbruch bei den Oilers, die Experten waren sich einig: Noch ein, zwei harte Sommer, dann würde Leon Draisaitl zu den besten Angreifern dieser Sportart gehören. Und noch ein, zwei harte Sommer, dann würden diese jungen Oilers um den Titel kämpfen.

Nur der Russe Owetschkin hat mehr Treffer

Die eine Prophezeiung hat sich erfüllt. Draisaitl ist aufgrund seiner Technik, Übersicht und seines präzisen Abschlusses einer der besten Stürmer dieser Liga. Nur der Russe Alexander Owetschkin vom Vorjahresmeister Washington hat mehr Treffer erzielt (51), in der Liste der besten Scorer liegt Draisaitl nach der Hauptrunde auf Platz vier. Es gibt bei den Oilers auch noch Connor McDavid, den nicht wenige als Reinkarnation von Wayne Gretzky sehen. Der Rekord-Rekordhalter der NHL hat mit den Oilers in den Achtzigerjahren vier Meisterschaften gewonnen, McDavid ist nun der zweitbeste Scorer (116) und der sechstbeste Schütze (41) der Liga.

Nur: Warum sind die Oilers dann so unfassbar schlecht?

Nun, sie haben zwar im Jahr 2017 zwei der besten Angreifer der Liga mit jeweils Acht-Jahres-Verträgen langfristig an den Verein gebunden, McDavid erhält dafür 100, Draisaitl immerhin 68 Millionen Dollar. Sie haben allerdings beim Draft nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen. Vor allem aber haben sie in den vergangenen Jahren keine zuverlässigen Helfer verpflichtet - im Eishockey stehen nun mal nicht permanent die Stars auf dem Eis, sondern im ständigen Wechsel vier Angriffsreihen und drei Defensivpaare. "Wir sind einfach nicht gut genug", schimpfte McDavid kürzlich.

Erst entließen die Oilers während der Saison Chefcoach Todd McLellan und ersetzten ihn durch Ken Hitchcock, dann Manager Peter Chiarelli - seine Position ist noch immer nicht besetzt. Für Draisaitl war die Spielzeit ein persönlicher Triumph, wegen der Erfolglosigkeit seines Vereins aber auch ein Desaster, und es ist erstaunlich, dass dieser junge Mann beide Blender tatsächlich gleich behandelt.

Er wirkte weder euphorisiert noch betrübt am Samstagabend, er motzte kein einziges Mal über Kollegen oder Vereinsführung. Er will nun lieber in Deutschland an seinen Fähigkeiten feilen, um möglichst noch besser zu werden. Ob er im Mai mit zur WM in die Slowakei fährt, ließ er offen. "Meine Entscheidung werde ich diese Woche noch mitteilen", sagte Draisaitl der Welt. Es sei aber "schwer, einen Grund zu finden, nicht hinzufahren".

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