Es war fast schon ein kleines Déjà-vu-Erlebnis, als Dragan Tarlac, 51, seinen neuen Job beschreiben sollte. Erst mal fühle er sich in München sehr wohl, die Stadt sei genauso schön, wie man sie ihm beschrieben habe. Viel Grün, tolle Parks zum Radfahren oder Spazieren, er werde bald seine Frau nachholen. Und der Verein erst: Ein riesiger Name, eine Weltmarke, und klar, es sei eine Ehre, hier arbeiten zu dürfen. Zwei Tage zuvor hatte sich Gordon Herbert als neuer Trainer an gleicher Stelle offiziell vorgestellt und eine ähnliche Eloge auf seinen neuen Arbeitsplatz gesungen, nun also der neue Sportdirektor der Basketballer des FC Bayern München.
Es ist auch nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich die beiden bestens verstehen, was Tarlac ebenfalls betonte. Wie Herbert, 65, pflegt er die leisen Töne, spricht bedächtig und überlegt, bevor er etwas zum Besten gibt. Und auch der Serbe vermittelt den Eindruck, dass es schon einiges bedarf, um ihn aus der Reserve zu locken. Zuletzt hatten sich die Wege der beiden in Paris gekreuzt. Das olympische Turnier war Herberts letztes als Bundestrainer, Tarlac war dort das letzte Mal als Sportdirektor der serbischen Nationalmannschaft in Amt und Würden. „Er ist ein Gentleman“, sagte Tarlac nun, das habe er in zwei völlig unterschiedlichen Gemütszuständen bewiesen. Bei der Weltmeisterschaft im philippinischen Manila zeigte Herbert trotz der Wucht des Moments großen Respekt für den Verlierer – Serbien. Und eben jene Serben entrissen den Deutschen in Paris die Bronzemedaille, wieder habe Herbert Größe gezeigt.
Nun also sollen beide ihre Kräfte für die Münchner Bayern bündeln, um diese an die europäische Spitze heranzuführen. Tarlac allerdings gab sich beim Formulieren seiner Ziele etwas zurückhaltender als sein Trainer, der forsch das Final Four in der Euroleague angegeben hatte, den Meistertitel ohnehin. „Ich will immer besser sein als in der Vorsaison“, blieb Tarlac vage, was angesichts von Platz 15 in der Vorsaison des höchsten europäischen Wettbewerbs nicht utopisch sein dürfte. Druck verspüre er nicht, sagte Tarlac, er sei sich aber wohl bewusst, wie hoch die Anforderungen bei einem Klub wie dem FC Bayern seien.
Das Wichtigste für Erfolg ist die Teamchemie: „Die kann ein Spieler kaputt machen“, sagt der neue FCB-Sportdirektor Tarlac
Für den Erfolg sei eine funktionierende Einheit auf dem Feld das Wichtigste: „Du kannst die besten Spieler haben, die höchsten Ziele, aber ohne Teamchemie wirst du nichts erreichen.“ Als Beispiel diente ihm sein jüngster Arbeitgeber: Bei der EM in Deutschland habe man mit den NBA-Spielern Vasilije Micic, Nikola Jokic und FCB-Kapitän Vladimir Lucic, der auch im Nationalteam dieses Amt innehat, erst in der Vorrunde alle Gegner weggehauen. Um im Achtelfinale als Topfavorit völlig überraschend an den Italienern zu scheitern. Bei der WM warfen die Serben Mitfavorit Kanada aus dem Halbfinale und gewann bekanntlich Silber – ohne diese Topakteure. Da fügt es sich, dass sein neuer Trainer als ausgemachter Teambuilder gilt. Herbert hatte schlichtweg das beste Kollektiv geformt. Jeder Spieler verwies stets auf die außerordentlich gute Stimmung im Team, weil jeder seine fest zugewiesene Rolle erfüllte.
„Ein Spieler kann dir die Chemie in der Mannschaft kaputt machen, aber ein einzelner Spieler kann dir keine Spiele gewinnen“, erklärte Tarlac. Also habe er lange Gespräche mit dem Trainerteam geführt, ehe das letzte Mosaiksteinchen in den Kader integriert wurde: Shabazz Napier wurde vom Euroleague-Kontrahenten Olimpia Milano verpflichtet, der Kader ist damit voll. Der 33-jährige US-Amerikaner, der auch den puerto-ricanischen Pass besitzt, hat für verschiedene Klubs in sechs Spielzeiten 354 NBA-Partien bestritten, aber auch bei seinen Gastspielen in St. Petersburg, bei Roter Stern Belgrad und eben in Mailand reichlich Euroleague-Erfahrung gesammelt. Ebenso wichtig wie die sportlichen Qualitäten des schnellen und korbgefährlichen Spielmachers waren dem Sportdirektor dessen charakterliche Fähigkeiten – siehe Teamchemie.
Tarlac weiß, wovon er spricht, er war jugoslawischer Nationalspieler und spielte bei europäischen Topklubs wie Olympiakos Piräus, ZSKA Moskau oder Real Madrid sowie bei den Chicago Bulls in der NBA. Für die letzte offene Stelle habe man Geduld aufbringen müssen, in Napier sei diese nun optimal besetzt. Der Point Guard unterschrieb für eine Saison, mit Option auf eine weitere. Am Wochenende spielen die Bayern ein hochkarätig besetztes Turnier im slowenischen Ljubljana, bis auf den im Aufbautraining befindlichen Zugang Johannes Voigtmann, der eine Bänderverletzung im Sprunggelenk von Olympia mitbrachte, befänden sich alle Akteure „in einer guten Form“. Erste Erkenntnisse würden folgen.
Einen großen Vorteil sieht der neue Sportdirektor, der auch seinen Vorgänger lobte, weil ihn Daniele Baiesi bei seiner Einarbeitung enorm unterstützt habe, in den deutschen Spielern im Kader. Sechs müssen in der Meisterschaft pro Team und Spiel antreten: „Wir haben die besten in der Liga.“ Seiner Erfahrung nach seien es die Teams mit den meisten einheimischen Akteuren, die am Ende weit oben stehen: „Ich glaube an unseren Kader.“
In all diesen Punkten ist übrigens Trainer Gordon Herbert derselben Meinung.