Süddeutsche Zeitung

Sexualisierte Gewalt im Sport:Ein verschlepptes Versprechen

Der DOSB enttäuscht Betroffene sexualisierter Gewalt mit einer voreiligen Ankündigung, die bisher nicht umgesetzt wurde. Derweil nehmen die Pläne für ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport konkretere Formen an.

Von Saskia Aleythe

Wenn dir jemand eine Eisenstange übers Knie zieht, kann man das sehen, hat Nadine mal gesagt. Aber Missbrauch ist unsichtbar. Die 42-Jährige hat schon viel Energie dafür aufgebracht, ihre Geschichte zu erzählen, wie sie als Kind im Fußballverein über zwei Jahre lang immer wieder Übergriffe erleiden musste, es ist ein Teil ihrer eigenen Verarbeitung. Und vor einem Jahr, da hatte sie das Gefühl, dass sich nun etwas in Gang setzt im Sport.

Da saß Nadine in Berlin und hat öffentlich gesprochen bei einer Veranstaltung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) war zugegen und richtete in Person von Vize-Präsidentin Petra Tzschoppe ein Zeichen an Betroffene. "Schöne Worte" seien das damals gewesen, sagt Nadine. Doch heute spürt sie Enttäuschung.

Das Zeichen damals, das war eine Entschuldigung an diejenigen, die in ihren Sportvereinen sexualisierte Gewalt erfahren mussten, das Zeichen war auch: Die Ankündigung, der DOSB werde wieder in das Ergänzende Hilfesystem (EHS) beim Bundesfamilienministerium einzahlen, um Betroffene auch finanziell zu unterstützen. Das ist bis heute nicht passiert und auch nicht beschlossen.

Zum Zeitpunkt ihrer Ankündigung, sagt Tzschoppe der SZ, habe es gerade eine Diskussion gegeben, ob der Fonds insgesamt eine Neuaufstellung kriegen solle, "da haben wir gesagt, in diesen Prozess steigen wir gerne mit ein". Einen Präsidiumsbeschluss des DOSB gab es nicht. "Wir sind mit der grundsätzlichen Aussage rausgegangen, wir werden uns dort wieder beteiligen, ohne dass es konkret im Vorfeld geregelt war", sagt sie. Ein erstaunlicher Vorgang.

Warum auch danach wenig geschah? Es soll keine Rechtfertigung sein, sagt Tzschoppe, und führt an, was "in den letzten Monaten rund um den DOSB passiert ist". Ein Verweis auf die Führungskrise also, langfristig bindende Entscheidungen zu treffen, bevor das neue Präsidium gewählt ist, sei problematisch. "Das sind alles Sachen, die mich alles andere als zufrieden stimmen", so Tzschoppe, "aber in der Gesamtsituation haben wir das, was jetzt möglich war, zumindest getan". Bis 2016 hatte der DOSB in den Fonds eingezahlt, der Gelder für Sachleistungen wie Therapien bereit stellt, danach nicht mehr.

Dennoch sind weiter ein paar Dutzend Anträge eingegangen, die von Seiten des DOSB nun bewilligt und ans Bundesfamilienministerium weitergeleitet wurden. "Wir erkennen das Unrecht und Leid an, das Betroffenen sexualisierter Gewalt widerfahren ist", sagt Tzschoppe, dazu gehöre auch die Zusage, sich wieder am EHS zu beteiligen. Bis zu den Neuwahlen im Dezember werde man Gespräche mit den Mitgliedsorganisationen fortsetzen, "dass diese ebenfalls Mittel für Hilfeleistungen für Betroffene zur Verfügung stellen".

"Von einer zukunftsgerichteten Lösung ist nichts zu sehen", sagt Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland

Auf die Opfer hat die Verschleppung des Themas allerdings eine verheerende Wirkung. "Ich habe das Gefühl, dass das Thema ausgesessen wird", sagt Nadine, "sie gucken, was auf sie zukommt, aber sonst wird nichts proaktiv unternommen." Ein großes Problem sei die Intransparenz, "ich denke, das ist auch die Strategie: Bevor sich noch mehr Leute melden und Ansprüche stellen, macht man es lieber sehr leise oder gar nicht."

Hinzu kommt, dass die Bewilligung gesammelter Aufträge aus der Vergangenheit eine ganz andere Botschaft aussendet als Tzschoppes einstige Ankündigung. "Von einer zukunftsgerichteten Lösung ist nichts zu sehen", sagt Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland, der sich zuletzt für die Aufarbeitung stark gemacht hatte. "Wenn das alles ist, was da in einem Jahr bei der größten Organisation im deutschen Sport passiert ist", so Klein, "dann ist das echt enttäuschend".

Missbrauchsfälle im Sport sind zuletzt als globales Thema in Erscheinung getreten, fast wöchentlich tauchen neue Wortmeldungen auf, mit denen Athleten oder Athletinnen öffentlich machen, was ihnen von Vertrauenspersonen in ihren Vereinen angetan wurde. Mehr als ein Drittel der deutschen Kaderathleten hatte in einem Forschungsprojekt von 2016 angegeben, schon einmal sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Mittlerweile läuft eine Studie im Breitensport.

Matthias Katsch, der Mitglied der Aufarbeitungskommission ist, berichtet von rund 30 Personen, die sich seit der Veranstaltung im vergangenen Oktober gemeldet hätten "die Impulse, die durch das Hearing entstanden sind, sind spürbar." Ein Zentrum für Safe Sport, wie es Klein im Mai im Sportausschuss des Bundestag vorgestellt hat, hält er für einen "ganz wichtigen Ansatz"; es geht dabei um eine unabhängige Stelle, die Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Fällen physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt zur Aufgabe hat. "Wenn man Vertrauen schaffen will für potenzielle Opfer, sich an eine Anlaufstelle zu wenden, dann muss es mehr als deutlich erkennbar sein, dass diese Stelle nichts zu tun hat mit dem organisierten Verbandswesen des Sports", sagt Katsch.

Unterstützung gibt es aus der Politik, der Wissenschaft, von Verbänden - und vom DOSB?

Das Konzept des Zentrums hat das Bundesinnenministerium mittlerweile in einer Machbarkeitsstudie untersucht, die Ergebnisse sollen im Dezember publiziert werden. Die Dringlichkeit der Problematik hat sowohl das BMI als auch die Athletenvereinigung dazu gebracht, Planungen für eine gesonderte Anlaufstelle für Betroffene voranzutreiben, um akut Hilfe vermitteln zu können. "Am Ende geht es um die Abstimmung, wer was macht und wie der Zeitplan aussieht", sagt Klein. Unterstützung gibt es aus der Politik, der Wissenschaft, von Verbänden - und vom DOSB?

Der DOSB "unterstützt die Einrichtung einer bundesweiten unabhängigen Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt", sagt Petra Tzschoppe, die Idee eines Zentrums für Safe Sport halte sie aber - ob der 90 000 Vereine in Deutschland - "für schwer umsetzbar". Der organisierte Sport sei schon lange im Bereich Prävention aktiv und baue seine Expertise weiter aus, "diese Verantwortung soll nicht an ein Zentrum abgegeben werden". Von Abgeben ist allerdings gar nicht die Rede, "ein Zentrum für Safe Sport soll auch gar nicht alle Aufgabenbereiche zentralisieren", sagt Klein, der sich eine aktivere Kommunikation in den vergangenen Monaten gewünscht hätte. Oder Alternativvorschläge.

"Es löst kein großes Vertrauen in die Sportinstitutionen generell aus, wenn die Führung schon so träge und planlos agiert", sagt Fußballerin Nadine heute. Es ist ein alarmierender Satz. Nicht nur für den DOSB.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5441036
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/vk/schm
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.