Michael Mronz schnappte sich erst mal seinen Rucksack und verschwand hinter der Stellwand auf der Bühne. Fast wirkte es so, als wolle sich der Sportmanager dem Appell der Sitzungsleitung für ein gemeinsames Foto von Vorstand und Präsidium entziehen. Dabei hätte er eigentlich triumphierend in die Mitte laufen können. Denn bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) war rund um den wichtigsten Tagesordnungspunkt alles ganz im Sinne des IOC gelaufen, dem Mronz seit Oktober 2023 angehört und dessen Interessenvertreter er seitdem in Deutschland ist.
Am Samstag hat der DOSB in Saarbrücken formal den nächsten Schritt auf dem Weg zu einer Olympia-Bewerbung beschlossen. Nach einem einstimmigen Votum der Delegierten will der deutsche Sportdachverband beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den Antrag stellen, in den „Continuous dialogue“ einzutreten; „Continuous dialogue“, das ist IOC-Sprech für die erste Stufe im ziemlich intransparenten Vergabeprozess für Olympische Spiele, den die Ringeorganisation vor ein paar Jahren aufgesetzt hat. Übersetzt heißt das nur, dass der deutsche Sport nun einen unverbindlichen Austausch mit dem IOC führen will.
Dabei handelt es sich beim Beschluss vom Samstag faktisch um eine Verzögerung für den deutschen Bewerbungsprozess. Denn eigentlich war vorgesehen, dass in Saarbrücken bereits ein konkretes Konzept verabschiedet wird. Das wird jetzt verschoben und soll erst in einem Jahr nachgeholt werden. Und zugleich radierte der DOSB dabei die Arbeit von vielen Monaten aus.
Denn er hat sich auch von der fast zwei Jahre lang proklamierten Idee, eine aus mindestens zwei Städten bestehende Kandidatur zu erarbeiten, wieder verabschiedet. Stattdessen geht der DOSB nun ein „One Village“-Konzept an, bei dem die wichtigste Maßgabe ist, dass möglichst viele Athleten in einem Olympischen Dorf wohnen können. Man habe, so DOSB-Präsident Thomas Weikert auf der Bühne, aus „informellen Gesprächen“ erfahren, dass dies beim IOC einfach besser ankomme; unter anderem habe er selbst das direkt vom scheidenden IOC-Chef Thomas Bach gehört, präzisierte er später.
Die Chancen sind weiter schlecht, im Saal fällt öfter schon die Jahreszahl 2044
Aber nicht nur dem deutschen Sport war in Saarbrücken anzumerken, wie wichtig es ihm ist, sich auf die Linie des IOC zu begeben, sondern auch der Politik. Kurz vor der Versammlung hatte IOC-Präsident Thomas Bach in einem Interview mit der FAZ – bemerkenswerterweise nicht im Sportteil, sondern als Teil der juristischen Beilage „FAZ Einspruch“ – die deutsche Bundesregierung massiv kritisiert. Ihr fehle „derzeit der Respekt vor der politischen Neutralität der Olympischen Spiele“, trug er davor; und die Regierung habe diese Neutralität verletzt, indem sie russischen Athleten die Einreise zu Sportevents in Deutschland verweigert habe.
Nun ist es zwar gar nicht leicht, allzu viele Sportevents zu finden, in denen konkret die Einreise verweigert wurde. Aber die für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beeilte sich in Saarbrücken ein paar Dinge klarzustellen. Selbstverständlich erkenne die deutsche Politik „die Autonomie des Sports“ an. Und im Übrigen gebe es keine Einreisesperren und habe es nie welche gegeben – das hatte vor einiger Zeit aus ihrem Haus noch anders geklungen. DOSB-Chef Weikert sah das als gutes Zeichen und gab unumwunden zu, dass Bachs Einlassung vorher hilfreich gewesen sei. Und das IOC teilte zufrieden mit: „Das IOC nimmt die in der Rede der Innenministerin vor der DOSB-Mitgliederversammlung verkündete Kehrtwende der Bundesregierung zur Kenntnis und begrüßt diesen Schritt.“
Nun sind die deutschen Chancen auf einen baldigen Olympia-Zuschlag unverändert sehr schlecht. Vor 2040 geht mit Blick auf die internationalen sportpolitischen Realitäten sicher nichts, und es war auffällig, dass in mehreren Beiträgen in Saarbrücken schon das Stichwort „2044“ fiel. Und ob die Bevölkerung anders als bei den beiden vergangenen Versuchen diesmal mit Ja votiert, zeigt sich frühestens im ersten Halbjahr 2026. Aber auch unabhängig davon sind nach dem Beschluss vom Samstag für den weiteren internen Ablauf wieder einmal gewaltig viele Fragen unklar.
Vier Konzepte werden jetzt präzisiert
Zunächst muss der DOSB in den „Continuous dialogue“ überhaupt eintreten. Das ist nichts, was er einseitig beschließen kann, er kann es nur beantragen – und das IOC dann darauf eingehen. Aber fürs Erste ist nicht mal klar, wann genau dieser Antrag kommt. Im Beschluss heißt es, es solle im Laufe des Jahres 2025 geschehen, und „soweit es die politischen Rahmenbedingungen ermöglichen“. Denn es soll erst einmal ein neuer IOC-Präsident gewählt sein (passiert im März) und eine neue deutsche Bundesregierung stehen (passiert wohl frühestens im April, je nach Ausgang der Bundestagswahl womöglich auch später).
Aber unabhängig davon sollen die interessierten Städte jetzt ihre Bewerbungsideen verfeinern. Die DOSB-Administration verfolgt deswegen verschiedene Ansätze weiter. Explizit ausgesprochen wurde das bei der Versammlung nicht, aber nach Lage der Dinge sind vier Konzepte im Rennen: Berlin und München jeweils als Solo-Bewerbung mit wenigen angeschlossenen Satellitenorten; die Rhein/Ruhr-Bewerbung um Düsseldorf; und eine Bewerbung, bei der Hamburg im Zentrum steht, aber angesichts der Sportstättensituation schon klar ist, dass es ohne Berlin gar nicht ginge und somit die Frage wäre, wie das „One Village-Konzept“ überhaupt sinnvoll gefüllt werden könnte. Leipzig wiederum käme nur als Juniorpartner von Berlin infrage.
Die Städte sollen nun bis Ende April eine Vielzahl an „Bewerbungskriterien“ ausfüllen; wie die genau aussehen, ist bisher nicht öffentlich kommuniziert, ebenso wenig, welches Kriterium am Ende wie viel zählt. Aber so ergibt sich in der Kombination dieser beiden Themen eine von vielen neuen Hakeleien: Denn in der Konsequenz läuft das darauf hinaus, dass sich die Städte schon präzise Angaben überlegen müssen, bevor sie wissen, was im „Continuous dialogue“ eigentlich genau gefordert wird.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder setzt den Grundsound für die Auseinandersetzung
Das dürfte die Animositäten zwischen den interessierten Städten noch verschärfen. Seitdem sie sich davon verabschieden mussten, dass viele von ihnen irgendwie gemeinsam in einer „Deutschland-Bewerbung“ zum Zuge kommen, sind sie noch mehr zu Rivalen geworden. Und umso mehr spielt auch eine Rolle, dass das IOC- und DOSB-Präsidiumsmitglied Mronz ja vor ein paar Jahren selbst das Rhein/Ruhr-Projekt angeschoben hat. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat dazu schon vor der Veranstaltung den Grundsound gesetzt: Es könne allen schaden, wenn man in einen solchen „battle“ gehen würde, sagte er der ARD. Ein Verfahren, bei dem nur „der leiseste Hauch von einer Art Deal ist oder so ’ne Kungelei“, das wäre „ein ganz schlechter Start“. Der nordrhein-westfälische Landessportbundchef Stefan Klett konterte gleich, Söders Verhalten sei „unmöglich“.
Es sind jedoch nicht nur die Städte, denen da grundsätzlich etwas missfällt. Auch bei den olympischen Spitzenverbänden regt sich viel Unmut. Der Basketball-Chef Ingo Weiss monierte in Saarbrücken hinter verschlossenen Türen, dass die Spitzenverbände viel zu wenig eingebunden werden würden; Turn-Präsident Alfons Hölzl trug das Thema sogar in den Plenarsaal und verwies bei der Gelegenheit gleich nachdrücklich auf Paragraf 16 der Satzung. Darin heißt es: Bei „Angelegenheiten in Verbindung mit den Olympischen Spielen“ dürfen nur die olympischen Spitzenverbände abstimmen – aber nicht die Landessportbünde, die als erste Lobbyisten der jeweiligen Städte und Regionen gelten.
Trotz alledem soll in den nächsten Monaten nun eine Bewerbung vorangetrieben werden. Zur Abstimmung stellen will die DOSB-Spitze bei der Mitgliederversammlung im Dezember 2025 dann „mindestens“ ein Konzept.