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Dortmund vor dem Champions-League-Start:Rückkehr als rigoros andere Borussia

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Nach acht Jahren Pause und einer knapp abgewendeten Insolvenz tritt Borussia Dortmund wieder in der Champions League auf. Einst holte der Klub hochbezahlte Profis, beim Heimspiel gegen den FC Arsenal feiern bis auf eine Ausnahme alle Spieler ihr Debüt in Europas Königsklasse.

Freddie Röckenhaus

Die zitternden Fernsehbilder von zwei Männern auf der Ehrentribüne, mit dem Teleobjektiv quer durch das Dortmunder Stadion gedreht, fanden damals keine große Beachtung. Das Drama, es schien sich auf dem Rasen abzuspielen, an diesem diesigen 27. August 2003. Borussia Dortmunds millionenschweres Star-Ensemble, in der Bundesliga nur als Dritter ins Ziel getaumelt, verlor Schuss um Schuss das Elfmeterduell gegen den kleinen FC Brügge.

Und auf der Haupttribüne schienen sich die Körper der beiden damaligen Dortmunder Macher, Präsident Gerd Niebaum und Manager Michael Meier, mit jedem Fehlschuss krampfhaft zu winden. Selbst auf die Entfernung wirkten die beiden Männer, als kämpften sie mit Übelkeit.

Acht Jahre nach Dortmunds letztem Auftritt in der Champions League ist der BVB an diesem Dienstag erstmals wieder auf der großen Bühne dabei. Kevin Großkreutz, heute Jung-Nationalspieler, damals, 2003, als Fan auf der Südtribüne dabei, spricht davon, dass sich "nach der Meisterschaft schon wieder ein Lebenstraum" für ihn erfülle: Zu einem Champions-League-Spiel ins eigene Stadion einlaufen, gegen einen Gegner wie den FC Arsenal.

Einfach umwerfend ist das für Großkreutz und Kollegen, denn keiner von denen, die wohl in der Startelf stehen, hat bisher ein Spiel in der Champions League absolviert, so unerfahren ist die Elf des deutschen Meisters. Noch vor zwölf Monaten hätte auch kaum jemand in Dortmund gedacht, dass der BVB, der 1997 die Champions League im Finale in München als erste deutsche Mannschaft gewann, so bald wieder in der Königsklasse mitspielen würde.

Das Elfmeter-Drama von 2003 war damals der Anfang vom Ende eines gekauften Traums. Eines überbezahlten Traums. Mit der Nicht-Qualifikation stürzte das finanzielle Kartenhaus, das Niebaum und Meier in Dortmund aufgebaut hatten, auch durch zwei verschossene Elfmeter in sich zusammen. Die entgangenen 25 oder 30 Millionen aus der europäischen Geldbeschaffungs-Liga bedeuteten das Aus fürs Schulden-Gebilde, unter dem der Klub ohnehin schon ächzte.

Den beiden Finanzjongleuren, die den BVB mit einer aggressiven Politik zu drei Meistertiteln binnen sieben Jahren, zum Champions-League- und Weltcupsieg gepusht hatten, war der Untergang schon an diesem Abend klar. Aber es dauerte noch Monate, bis Niebaum und Meier den größten Finanzcrash in der Geschichte des deutschen Fußballs nicht mehr leugnen konnten.

Vielleicht war es kein Wunder, dass Borussia Dortmund den finanziellen Zusammenbruch am Ende irgendwie überlebte. Wenn Banken aus systemischen Gründen am Leben gehalten werden müssen, müssen wohl auch Fußballvereine ab einer gewissen emotionalen Bedeutung gerettet werden. Der aktuelle Präsident Reinhard Rauball beschreibt den Zustand des Champions-League-Siegers Dortmund zum Zeitpunkt der Übernahme gerne als "klinisch tot".

Aber dann griffen die Mechanismen der Anhänglichkeit: Gläubiger verzichteten, Hedgefonds kauften aus unerfindlichen Gründen neue Aktien bei Kapital-Erhöhungen des börsennotierten BVB, eine Investmentbank regelte die Umschuldung, ein Versicherungskonzern blätterte fünf Millionen Euro für die Namensrechte am Stadion hin, zudem gingen die bestbezahlten Profis: Amoroso, Frings, Kohler, Ewerthon. Zwei von ihnen, Jens Lehmann und Tomas Rosicky, landeten schnell beim FC Arsenal.

Wäre die Weltfinanzkrise schon zu der Zeit gekommen, wir hätten keine Chance gehabt, den Klub zu retten", sagt Vorstandschef Hans-Joachim Watzke. Aber dass Dortmund nur vier, fünf Jahre nach der Beinahe-Insolvenz als der Meister von 2011 sein Ticket für die Luxusklasse lösen konnte, kann Watzke kaum glauben. Das jahrelange Denken im Starsystem, mit dem Dortmund sich einst Titel sicherte und einen Himalaya-hohen Schuldenberg auftürmte, ist inzwischen einer rigoros anderen, beinahe exakt gegenläufigen Politik gewichen.

Dass kein einziger Spieler - abgesehen von Edel-Reservist Sebastian Kehl - je ein Champions-League-Spiel bestritt, illustriert den Umbruch im Dortmunder Denken. Als sich vor der Saison der Arsenal-müde Rosicky für eine Rückkehr zum BVB interessant machen wollte, blitzte dessen Berater früh ab. Dortmunds Trainer Jürgen Klopp macht Experimente lieber mit jungen Spielern, wie Rosicky einer war, als er Ende 2000 nach Dortmund kam. Allerdings zählt Rosicky nicht zur Arsenal-Delegation. "Er ist verletzt", teilte sein Klub mit. Schade für ihn, denn mehr Emotion als einst in Dortmund hat der Tscheche später in keinem Stadion mehr erfahren.

Angst scheinen die Dortmunder vor dem Comeback in der Königsklasse nicht zu haben. Für den in der Bundesliga am Samstag beim 1:2 gegen Hertha BSC noch gesperrten Mario Götze bot Arsenals Dauer-Manager Arsène Wenger jüngst bis zu 40 Millionen Euro, blitzte aber schon Vorzimmer ab. "Wir sind kein Ausbildungsverein", kommentierte Vorstandschef Watzke genüsslich, "wir wollen selber die Früchte ernten."

Das soll nichts anderes heißen, als dass Dortmund mit neuer Unternehmenskultur genau dort hin will, wo Dortmund mit dem eher unsympathischen Einsatz der Geldkanone schon einmal war: in die erweiterte europäischen Spitze. Auf Dauer, so ahnen Watzke, Manager Michael Zorc und Trainer Klopp, sind all die umworbenen BVB-Talente nur zu halten, wenn Dortmund halbwegs auf Augenhöhe mit den Arsenals und anderen guten Adressen etabliert wäre. "Wir werden wahrscheinlich nie wieder so viel Geld ausgeben können, wie unsere Vorgänger es gemacht haben", sagt Watzke, "aber bis zu einer gewissen Differenz lassen sich unsere geringeren finanziellen Möglichkeiten vielleicht ausgleichen."

Arsenal hat gerade für knapp 70 Millionen Euro Fàbregas und Nasri nach Barcelona und zu Manchester City transferiert. Das entspricht fast dem Doppelten aller Dortmunder Jahresgehälter. Nur, dass Wenger nicht weiß, für wen er seine Transfermillionen ausgeben soll. In die Saison ist Arsenal so mittelprächtig gestartet wie der BVB. An Mario Götze, 19, jedenfalls, der seit zehn Jahren für den BVB spielt, kommt er nicht heran. Wenn es nach Watzke und Klopp ginge, würden die Champions-League-Millionen vor allem dazu verwendet, "die eigenen Jungs zu halten".

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Quelle:
SZ vom 13.09.2011
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