Dortmund-Sieg gegen Marseille:Großkreutz sorgt für die Pointe

Olympique Marseille vs Borussia Dortmund

Da geht's lang zum Achtelfinale: Kevin Großkreutz

(Foto: dpa)

Borussia Dortmund vergibt gegen Olympique Marseille aberwitzig klare Torchancen - und muss bis zur 87. Minute warten, ehe Kevin Großkreutz doch noch für den Einzug ins Achtelfinale der Champions League sorgt. Damit ist der BVB sogar Gruppensieger.

"Nur, wenn es eine Bedeutung für uns hat, hören wir rein", so hat Jürgen Klopp zu Beginn des Mittwochabends die Frage beantwortet, ob er sich über den Spielstand zwischen dem SSC Neapel und dem FC Arsenal informieren werde. Es wäre ihm lieb gewesen, wenn er nicht reinhören hätte müssen, denn das hätte geheißen, dass seine Dortmunder souverän auftreten im letzten Gruppenspiel der Champions League; dass sie Olympique Marseille ohne Zweifel besiegen und sich damit selbständig für das Achtelfinale qualifizieren. Aber es half nichts: Klopp musste wissen, was in Neapel passiert.

Olympique Marseille gegen Borussia Dortmund, der punktlose Tabellenletzte der Gruppe F gegen den mit Neapel punktgleichen Zweiten, das war ein nervenaufreibendes Spiel, mehr, als es aus Dortmunder Sicht hätte sein müssen. Dortmund gewann zwar 2:1 (1:1) und steht nun im Achtelfinale, aber souverän geht anders.

Es begann interessant: mit einem Gesicht, das man auf großer Bühne noch nicht gesehen hatte. Die Dortmunder haben ja immer noch viele Spieler im Krankenstand, erneut fehlten mehrere Stammkräfte (der neuerdings am Knöchel verletzte Sahin lief dank eines strammen Tapeverbandes allerdings auf), und da der kürzlich geholte Manuel Friedrich in der Champions League nicht spielberechtigt ist, entschied sich Klopp, einem Regionalligatalent eine Chance zu geben.

In der Innenverteidigung lief der zuletzt gegen Elversberg gut spielende Marian Sarr auf, der 18 Jahre alt ist, im Januar 19 wird und aussieht wie 17. "Eine gute Entscheidung" sei das gewesen, befand Klopp später. Sarr spielte solide, viel mehr ist nicht zu sagen: Es war kein Abend, an dem man als Dortmunder Innenverteidiger auffallen konnte.

Nach drei Minuten hob Erik Durm den Ball elegant über Marseilles Viererkette hinweg in den Laufweg von Robert Lewandowski, der den Ball lässig mit der linken Fußspitze am herausstürmenden Torhüter vorbei einschoss. Nach vier Minuten war Neapel weit, weit weg.

Aber Marseille wollte sich nicht als punktloser Letzter aus dem europäischen Wettbewerb verabschieden. Am Wochenende haben sich die Franzosen von ihrem Trainer getrennt, Sportdirektor José Anigo dirigierte nun von der Bank aus - "es ist immer besser, du spielst gegen eine Mannschaft direkt bevor der Trainer wechselt als danach", hatte Klopp noch gewarnt.

Stimmt wohl: Marseille ließ sich vom Gegentor nicht einschüchtern, sondern glich zehn Minuten später aus. Nach einem Freistoß drehte sich der Ball scharf auf das Tor von Roman Weidenfeller zu, der den Ball fangen wollte, aber zu spät kam - Khalifa köpfte den Ball an die Latte, Diawara staubte aus eindeutiger Abseitsposition ab.

"Wir spielen keinen Hurra-die-Waldfee-Fußball", hatte Klopp auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gesagt, die dadurch entstehende Herausforderung für den Dolmetscher missachtend, er meinte: Kopflos nach vorne rasen ist zu riskant, wenn ein Unentschieden das Ausscheiden bedeuten kann.

Aus Fußball wird Handball

Dortmund versuchte das, was im Lehrbuch unter "kontrollierte Offensive" steht. Weil Marseille ab der 34. Minute nach einer harten gelb-roten Karte für Payet nach einer Schwalbe im Strafraum nur noch zu Zehnt war, sah dieses Fußballspiel bisweilen aus wie ein Handballspiel: Je länger es dauerte, desto seltener berührte Marseille den Ball, und desto klarer wurden Dortmunds Torchancen.

Im Handball fallen immer viele Tore, und auch jetzt sah es so aus, als seien Tore nur eine Frage der Zeit. Blaszczykowski kam frei zum Kopfball, doch Torwart Mandanda klärte auf der Linie (56.); Reus kam frei zum Schuss (58.), traf aber den Pfosten; Lewandowski stand vor dem leeren Tor (67.), schoss aber daneben; Reus kam sechs Meter vor dem Tor an den Ball (69.), schoss aber drüber.

In der 73. Minute fiel ein Tor: in Neapel. 1:0 für die SSC, Dortmund wurde nervös.

"Wir wussten, dass wir noch ein Tor erzielen mussten, das haben wir auch schnell den Spielern kommuniziert", sagte Sportdirektor Michael Zorc nach der Partie.

Die Spieler reagierten: Sie warfen alles nach vorne. Dramatische Schlussminuten in der Champions League sind die Dortmunder zwar aus der vergangenen Saison gewöhnt, da zitterten und stürmten sie sich bis ins Finale, aber jetzt? In der 85. Minute foulte Schlussmann Mandanda Lewandowski im Strafraum. Der Schiedsrichter entschied auf: Freistoß für Marseille.

Zwei Minuten später kam der Ball zum an der Strafraumgrenze völlig frei stehenden Kevin Großkreutz, Großkreutz schoss, er rutschte dabei aus, der Ball flog, Mandanda flog, der Torwart berührte den Ball mit den Fingerspitzen, aber es reichte nicht. Der Ball flog neben dem Pfosten ins Netz, 2:1 für Dortmund, also doch. "Ein geniales Gefühl", erklärte der Ur-Dortmunder Großkreutz bald danach, offensichtlich vom Glück des Moments berauscht. Nach vier Minuten Nachspielzeit beendte der Schiedsrichter schließlich das Dortmunder Zittern. Jürgen Klopp jubelte, "das ist wirklich verrückt", sagte er. Er meinte damit die Pointe dieses Abends: Dortmund ist jetzt Gruppensieger.

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