Süddeutsche Zeitung

Dortmund-Ingolstadt:"Das enttäuscht die Menschen"

Lesezeit: 3 min

Kein Foul von Hummels, ein Foul an Hummels und ein Abseitstor: Beim 0:2 in Dortmund fühlen sich die Ingolstädter dramatisch benachteiligt.

Von Ulrich hartmann, Dortmund

Im Kabinengang bekommt der Fußball plötzlich eine Sprache. Was auf dem Platz gesprochen wird, ist im tosenden Stadion für die Öffentlichkeit nicht zu verstehen, aber wenn die Fußballer nach dem Abpfiff in die Katakomben hasten, dann sind es ihre Stimmen, die die Emotionen des Spiels verstärken. Selten war das so aufregend wie jetzt in Dortmund.

Als der Torwart Ramazan Özcan nach der 0:2-Niederlage seines FC Ingolstadt bei Borussia Dortmund im Kabinengang stand, sagte er betont ruhig: "Wir müssen unsere Worte jetzt richtig wählen." Das klang wie eine Warnung, wie die Angst davor, nun Dinge zu formulieren, die man hinterher vielleicht bereut. Seine Kollegen waren sich dieser Gefahr ebenfalls bewusst, aber sie konnten ihre Worte nur schlecht kontrollieren. Und eigentlich wollten sie das auch gar nicht. Wer sich im Unrecht wähnt, pfeift auf Contenance. Also schossen ihnen die unkontrollierten Wörter nur so aus den Mündern: "Riesensauerei!", tönte es aus dem Mund des Trainers Ralph Hasenhüttl. "Betrug!", rief der Kapitän Marvin Matip. Der Assistenztrainer Michael Henke rief nicht, aber das machte seine ruhig vorgetragene These nur umso schärfer: "Das große Gut des Fußballs ist der faire Wettbewerb, aber wenn der aufgrund von krassen Entscheidungen nicht mehr gegeben ist, enttäuscht das die Menschen."

Die Enttäuschung der Menschen über den Fußball hatte am Wochenende sein Epizentrum in Ingolstadt. Das hoch emotionale Gastspiel der Ingolstädter in Dortmund provozierte erneut eine branchenweite Debatte über die Notwendigkeit des Videobeweises, über die Kontrollierbarkeit des Fußballs und über die Unabhängigkeit von Schiedsrichtern bei ihren spontanen Entscheidungen. Dass der Schiedsrichter Guido Winkmann in drei äußerst brenzligen Situationen dreimal zum Wohle von Borussia Dortmund und damit auch das Spiel zu ihren Gunsten entschied, brachte die Ingolstädter zur Weißglut und zur Ansicht, dass etablierte Teams mit großer Lobby und vielen Nationalspielern, zumal vor eigenem Publikum, bevorteilt werden - wenn auch wohl unabsichtlich.

Es geht in dieser Dauerdebatte auch um eine Art unwillkürliches Beurteilungsvermögen, ähnlich dem vegetativen Nervensystem, über das sich der Mensch willentlich nicht hinwegsetzen kann. So gibt es ja schon lang die Diskussion, ob etwa die Profis des FC Bayern von den Schiedsrichtern während eines Spiels unbewusst bevorteilt werden. Genau diesen Promi-Bonus unterstellten die Ingolstädter dem Schiedsrichter. "Der Guido Winkmann ist ein ganz erfahrener Schiedsrichter, der hat das garantiert nicht extra gemacht", sagte Henke. Aber Hasenhüttl fand: "Wenn der Spielleiter nur halb so mutig gewesen wäre, wie wir gespielt haben, dann wären wir hier nicht als Verlierer vom Platz gegangen."

Es gab drei Schlüsselszenen in diesem Fußballspiel, in dem sich recht einfallslose Dortmunder ohne ihre erkrankten Mittelfeldstars Ilkay Gündogan und Marco Reus schwer taten gegen versiert verteidigende Gäste. Zunächst lief Ingolstadts Stürmer Dario Lezcano allein auf das leere Tor zu (29.), als ihn der von hinten (leicht) attackierende Dortmunder Verteidiger Mats Hummels zu Fall brachte. Hummels berührte den Ball nicht, wohl aber Lezcano in allerdings schwer zu beurteilender Intensität. Lezcano fiel rücklings zu Boden und verlor den Ball. Winkmann fand, die Aktion habe einen Elfmeter nicht gerechtfertigt - und damit auch nicht die zwingend folgende Konsequenz (Platzverweis für Hummels).

Als in der 66. Minute allerdings Lezcano nun wiederum Hummels während eines Rückpasses (leicht) von hinten attackierte und auch berührte, und als dessen Rückpass (deshalb?) hoch über den eigenen Torwart Roman Bürki hinweg ins BVB-Tor flog, beurteilte Winkmann die Szene auf Hinweis seines Assistenten sehr wohl als Foul - und gab das Eigentor nicht.

"Es kann offenbar nicht sein, dass ein Mats Hummels den Ball ins eigene Tor schießt, ohne dass vorher etwas passiert ist", sagte Hasenhüttl zynisch. "Es ist Mats Hummels", meinte auch Matip lakonisch, "vielleicht darf der kein Eigentor machen." Die dritte Entscheidung in der 77. Minute, die Dortmunder 1:0-Führung durch Pierre-Emerick Aubameyangs Kopfball aus knapper Abseitsposition, war allerdings für alle Beteiligten unstrittig falsch und bekräftigte bei den Ingolstädter nur das Gefühl, an diesem Tag in jeder Hinsicht benachteiligt worden zu sein. Während der BVB-Trainer Thomas Tuchel zugestand, in den beiden schwierigen Situation mit Lezcano und Hummels "Glück gehabt" zu haben, wenn es auch keine expliziten Fehlentscheidungen gewesen seien, so räumte auch Schiedsrichter Winkmann später Verständnis für die Ingolstädter Wut ein. Er formulierte eine ebenso emotionale wie schlüssige Indizienkette dafür, dass an diesem Tag tatsächlich nicht alles gerecht zugegangen sein könnte.

Winkmann sagte: "Fakt ist: Das erste Tor war abseits. Fakt ist: Es war spielentscheidend. Fakt ist auch: Wir diskutieren über zwei weitere Szenen - und dreimal traf es Ingolstadt." Viel präziser hätte das auch kein wütender Ingolstädter formulieren können, und so hatten sie am Ende den Schiedsrichter als Anwalt der Gerechtigkeit auf ihrer Seite.

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SZ vom 01.02.2016
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