Dortmund-Fans zu Gewalt im Stadion:Abgrenzen von den Krawallmachern

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Stille Sprechblasen: Die Dortmunder Fans protestiseren gegen das Sicherheitskonzept der DFL (Foto: Bongarts/Getty Images)

Das Wir-Gefühl leidet: Bei Borussia Dortmund wehren sich viele Fans aktiv gegen das Zerrbild vom Fußballstadion als Ort der Gewalt. Die Debatte verunsichert immer mehr Anhänger - es wird zur Herausforderung der Rückrunde, eine Spaltung im Publikum zu verhindern.

Von Freddie Röckenhaus

Man soll Geschichten nicht mit Taxifahrern und deren Zitaten beginnen - aber Schwiegermütter müssen erlaubt sein. Die alte Dame ist 84 Jahre, rüstig und ein, wie es sich in Dortmund wohl schwer vermeiden lässt, für ihr Alter geradezu erbitterter Anhänger der Borussia. Ins Dortmunder Stadion, den Sehnsuchtsort aller BVB-Fans, würde die Schwiegermutter sich allerdings nie und nimmer mehr trauen. "Ich bin doch nicht lebensmüde", zetert sie. Und dann merkt man, während sie so über das Unbekannte spricht, dass die Fernsehbilder von bengalischen Feuern und die Zeitungsfotos von martialisch gerüsteten Polizisten bei der alten Dame schwere Wirkungstreffer hinterlassen haben. Nicht nur Schwiegermütter meinen, in Deutschlands größtem Stadion herrschten an jedem Spieltag bürgerkriegsähnliche Zustände - irgendetwas zwischen Beirut und Bagdad.

Dortmunds neuer Polizeipräsident Norbert Wesseler, den sein Innenminister Ralf Jäger zur Amtseinführung instinktsicher als "Schalke-Anhänger" vorstellte, gehört zu denen, die die neue Angst vor den Stadien anheizen. Seine Beamten müssten "mehr und mehr durchgreifen", bereits 44 Verletzte habe es bei den zwölf BVB-Heimspielen der Hinrunde gegeben, darunter zwölf Polizisten, klagt Wesseler. Es stünden schon jetzt fast so viele Übergriffe zu Buche wie in der gesamten Saison zuvor. Der angekündigte Weltuntergang scheint zwar gerade überstanden zu sein, aber wenigstens der Untergang des Abendlandes dämmert, in Dortmund wie in anderen Fußball-Stadien. Selbst innerhalb des Fanblocks scheinen die Lager inzwischen tief gespalten zu sein bei der Frage, wie man sich weiter verhalten will.

Wer die von Wesseler beschriebene Gewaltwelle genauer anschaut, erkennt unschwer: Der allergrößte Teil der vom Polizeipräsidenten beklagten Krawalle und Verletzungen geht in Dortmund auf ein einziges Spiel zurück, nämlich auf das seit langem als problematisch bekannte Ruhrpott-Derby des BVB gegen Schalke. Fotos von den Ausschreitungen, bei denen 167 Schalker und 17 Dortmunder Fans vorübergehend festgenommen wurden, porträtieren allerdings nicht nur vermummte, wilde Gestalten, sondern auch den Einsatz von Pfefferspray über größere Distanzen, wie er bei Polizei-Einsätzen immer häufiger angewendet wird. Schon bei den Polizei-Aktionen gegen die Stuttgart-21-Demonstranten war zu beobachten, zu welch verheerenden Augenreizungen und -verletzungen der Einsatz von Pfefferspray führen kann, auch bei Unbeteiligten. Vor allem aber scheint es problematisch zu sein, wenn die Verletzungen, die eine Folge des polizeilichen Vorgehens sind, in Verletzten-Statistiken eingehen und dabei belegen sollen, wie es in den Stadien neuerdings zugeht.

In Dortmund, mit der größten Stehplatztribüne der Welt, auf der 25 000 BVB-Fans Platz haben, hat das Online-Fanzine Schwatzgelb.de inzwischen schon über 50 000 Unterschriften gesammelt für die Aktion "Ich fühl' mich sicher". Die tatsächliche Wahrnehmung von Stadionbesuchern, so beschreibt es einer der Initiatoren, der 28-jährige Stefan Schwaneck, "sieht komplett anders aus. Da werden häufig Einzelgeschehnisse, die wir gar nicht kleinreden wollen, verallgemeinert".

Bei der Aktion haben, nach Angaben von Schwaneck, mindestens 11 000 Zuschauer unterschrieben, die mit Kindern ins Stadion gehen und von "Gewaltexzessen immer erst am nächsten Tag in der Zeitung lesen". Angesichts der Stadion-Kapazität von über 80 000 pro BVB-Heimspiel waren in den fünf Monaten der Hinrunde über 900 000 Zuschauer im Dortmunder Stadion, von denen sich 44 verletzt haben. Statistisch umgerechnet liegt Dortmund damit bei weitem nicht gleichauf mit den Verletzten, die es alljährlich durch Schlägereien und sonstige Promille-Unfälle beispielsweise beim Oktoberfest auf der Theresienwiese gibt. Ein gern zitierter, aber zugegebenermaßen schräger Vergleich.

Wer lange ins Stadion geht, wie der Polizeibeamte Martin T., der lieber anonym zitiert werden will, erinnert sich gut, dass sich in den späten siebziger und achtziger Jahren Hooligans regelrechte Massenschlägereien lieferten. "Da gab es zum Beispiel im weitläufigen Gelsenkirchener Parkstadion Jagdszenen wie im Film. Verglichen mit damaligen Verhältnissen kann man heute völlig problemlos in die modernen Stadien gehen." Die Gewaltausbrüche, wie jüngst beim Ruhrderby, hält der Polizist zwar für ein kaum erforschtes Aufflackern früherer Hooligan-Zeiten, aber eher für eine Ausnahme, mit der man polizei-taktisch umgehen müsse. "Spinner gibt es in jeder Generation von Jugendlichen."

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Die Stimmen im Überblick

Die Problematik, mit der sich Dortmunds Vorstandschef Hans-Joachim Watzke seit neuestem herumschlägt, hat weniger mit der viel beschworenen Gewaltbereitschaft zu tun. Watzke hat schon vor dem am 12. Dezember mit viel Brimborium verabschiedeten Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball Liga (DFL) das Stadion mit einer aufwendigen Video-Überwachungstechnik aufrüsten lassen. Die hilft zwar nicht unbedingt gegen die neue Vermummungstaktik von Fans in den Gästeblocks, sorgt aber doch für bessere Kontrolle.

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"Die Randale findet ja ohnehin zum allergrößten Teil nicht in den Stadien statt", sagt Watzke, "sondern außerhalb." In Dortmund geht man von "maximal 900 problematischen Fans" aus, also gut einem Prozent der Besucher, von denen der größere Teil eher Mitläufer seien. Die Anhänger der zum Symbol des Fan-Widerstands aufgewerteten Bengalo-Feuer werden von Watzke wie vom Dortmunder Fanprojekt-Leiter Rolf Marewski als "zahlenmäßig noch kleinere Minderheit" identifiziert.

Den Großteil der Fans, auch der 25 000 Hardcore-Fans auf Dortmunds Südtribüne, bringt offenbar die Solidarität mit ihren eigenen Minderheiten in eine unerwartete Bredouille. Vor dem Pokalspiel gegen Hannover 96 am 19. Dezember hatten Watzke, Manager Michael Zorc, Trainer Jürgen Klopp und Teamkapitän Sebastian Kehl in einem ungewöhnlichen offenen Brief an die BVB-Fans appelliert, das Protestschweigen gegen das DFL-Sicherheitspaket zu beenden und zum "gewachsenen Wir-Gefühl" zurückzukehren. Es hagelte gegen den Brief zwar zunächst Proteste aus der Szene, die auf den Mittelblöcken 12 und 13 der Südtribüne zu Hause ist, aber am Spieltag zeigte sich, dass sich die Mehrheit der BVB-Anhänger zum ersten Mal von den Demonstrationen distanzierte. Auch von manchen BVB-Ultras war zu hören: Wir haben es übertrieben und unsere Bedeutung überschätzt.

Die Intellektuellen in der Fanszene von Dortmund, die sich auf Schwatzgelb.de Debatten zum Thema liefern, befürchten inzwischen, dass aus der andauernden Diskussion um die Gewalt einer kleinen Minderheit eine große Spaltung entstehen wird. Hier das Familien-und Normalo-Publikum, dort die gewöhnlichen Abenteuer-Fans, bei denen sich aber eine Solidarisierung mit der kleinsten Gruppe der Outlaws einstellt. Der großen Übermacht von friedlichen und bekanntermaßen kreativen BVB-Fans, ob Ultras oder nicht, fällt es schwer, sich von den Krawallmachern in denselben Vereinsfarben abzusetzen. Ein wichtiger Bestandteil der Anziehungskraft des Stadions ist schließlich das Gemeinschaftsgefühl, das auch Trainer Jürgen Klopp immer wieder für seine Spieler reklamiert. Zu dieser Jugendkultur des "Alle-für-einen", die in Dortmund auch auf dem Rasen zu gelten scheint, passt es naturgemäß kaum, Problemkinder auszugrenzen.

Vergleichsweise leicht scheinen sich der Klub und die Mehrzahl der Fans dagegen mit der Ausgrenzung von Rechtsextremen zu tun. Nachdem der Fall eines angeblich rechtsextremen Ordners beim BVB für Aufregung gesorgt hatte, konterte der Klub kurz vor Heiligabend mit einer mehrseitigen Dokumentation. Kernaussagen: Bei dem verdächtigten Ordner stehe derzeit Aussage gegen Aussage. Bei den letzten Kommunalwahlen in Dortmund erzielte die NPD 1,9 Prozent. Unter den 80 000 im Stadion, so die Einschätzung des Klubs, liege der Anteil Rechtsextremer bei einem Bruchteil dieses Wahlergebnisses. Das Fanprojekt schätzt die aktiv Rechtsradikalen auf "vielleicht vierzig Leute" ein. Dass sich aber rechtsradikale Grüppchen auf der großen Bühne des Stadions zu Propaganda-Zwecken tummeln, sei nicht komplett zu verhindern. Man könne nur gegen Aktivitäten und Plakate vorgehen.

Der Dortmunder NPD-Ratsherr Matthias Wächter, der in den Rat einziehen konnte, weil es auf Kommunalebene in NRW keine Fünf-Prozent-Klausel gibt, gehörte bei den Randalen am Rande des Ruhrderbys gegen Schalke sogar selbst zu den Festgenommenen. Der Klub betreibt derzeit die Durchsetzung eines Stadionverbots für Wächter. Ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit anderen eine Gruppe vorbeiziehender Schalker Ultras mit Gegenständen beworfen und attackiert zu haben. Bewiesen ist auch das noch nicht.

Die Schwiegermutter hat das alles nicht mitbekommen. Sie weiß nicht, was Ultras sind oder Hooligans. Sie liebt Mario Götze und Marco Reus und freut sich über die sonnengelben Fanblocks im Fernsehen und darüber, dass Dortmunds Fans im Bernabéu-Stadion von Real Madrid eine gute Figur gemacht haben. Aber was sich in ihrem Kopf wohl festgesetzt hat, sind die Bilder von den vielen Polizisten und den paar rot-brennenden Fanblöcken.

Die Gute kann nicht wissen, dass es im Dortmunder Stadion so gut wie nie brennt und die allermeisten Leute ihr die Treppenstufen hinaufhelfen würden.

© SZ vom 31.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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