3:2 gegen Bayern:Dortmund gewinnt ein Rock-and-Roll-Spiel

Bundesliga - Borussia Dortmund v Bayern Munich

"Das war geiles Spiel", sagte der zweifache Torschütze Marco Reus.

(Foto: REUTERS)
  • Im bisher besten Bundesligaspiel der Saison gewinnt der BVB mit 3:2 gegen den FC Bayern.
  • Robert Lewandowski und Marco Reus treffen doppelt.
  • Das entscheidende Tor erzielt der eingewechselte Paco Alcacer nach einem Konter.

Von Maik Rosner, Dortmund

Sechs Minuten vor dem Ende gab es eine Szene, die viel erzählte über dieses Topspiel, das seinen Namen vollauf verdiente. Mit Müh' und Not hatten sich Jérôme Boateng und Joshua Kimmich gerade der anlaufenden Dortmunder erwehrt, als Boateng der erneute Passversuch auf Kimmich im Pressing des BVB ins Seitenaus rutschte. Boateng schaute dem Ball hinterher, dann zuckte er mit den Schultern und hob die Hände leicht nach oben. Es war eine Geste der Hilflosigkeit und Verzweiflung. Denn so gut sich die beiden Verteidiger des FC Bayern in dieser Szene gegen die anstürmenden Dortmunder eigentlich aus der Affäre gezogen hatten, so erfolglos waren sie doch gegen die Wucht und wilde Entschlossenheit der jungen Gastgeber.

Am Ende galt das nach diesem in jeder Hinsicht bemerkenswerten Kräftemessen auch übergeordnet. 3:2 (0:1) gewann der Tabellenführer Borussia Dortmund gegen den FC Bayern, der zwar zwei Mal durch Robert Lewandowski (26./52.) in Führung gegangen war, sich aber dem jugendlichen Elan des BVB beugen musste. Zunächst hatte Marco Reus zwei Mal ausgeglichen (49./FE und 67.), ehe der eingewechselte Paco Alcacer den Siegtreffer erzielte (73.).

"Das war geiles Spiel. Es hat riesig Spaß gemacht, auf dem Feld zu stehen", sagte Doppel-Torschütze Marco Reus: "Wir haben enorm viel Selbstvertrauen. Es ist immer gut, in der Tabelle ein Polster zu haben. Die Bayern sind auf lange Sicht sehr stark. Es ist viel zu früh, über die Meisterschaft zu sprechen."

Große Enttäuschung herrschte bei den Bayern. "Wir lassen uns zweimal im Auswärtsstadion auskontern, das darf nicht passieren. Wir haben einiges zu tun", sagte Bayern-Coach Niko Kovac, sprach aber von der besten Leistung seit dem Schalke-Spiel. "Darauf werden wir aufbauen müssen. Wir haben am zwölften Spieltag sieben Punkte Rückstand. Das sieht sehr viel aus, fühlt sich auch so an. Aber im Fußball ist alles möglich."

BVB-Trainer Lucien Favre kündigte an: "Heute werde ich ein Glas Rotwein trinken." Letztens zum Geburtstag wollte er nur Wasser haben. "Das 3:2 ist nicht unlogisch gekommen, das ist kein unverdienter Sieg", meinte der Schweizer. Manuel Akanji gab ein paar Kabineninterna preis: "Der Trainer hat in der Halbzeit gesagt, Bayern kann das Tempo nicht halten. Wir aber schon."

In der fünften Minute der Nachspielzeit erzielte Robert Lewandowski nach einer Kimmich-Flanke mit der Hacke scheinbar das 3:3. Doch dabei stand er minimal im Abseits. Der Schiedsrichterassistent hob die Fahne, Schiedsrichter Manuel Gräfe erkannte das Tor nicht an. In der Tabelle baute die Borussia ihren Vorsprung auf den FC Bayern auf sieben Punkte aus, auf den Zweiten Borussia Mönchengladbach sind es weiterhin vier Zähler Vorsprung.

Das Spiel war auch der direkte Vergleich zweier Gegenentwürfe gewesen. Auf der einen Seite die junge und mit vielversprechenden Talenten zusammengestellten Dortmunder unter der Anleitung des erfahrenen und findigen Schweizers Lucien Favre, 61. Auf der anderen Seite der Abo-Meister FC Bayern, dessen langjährige Kernelf nur punktuell ergänzt worden war und vom vergleichsweise unerfahrenen Kroaten Niko Kovac, 47, gecoacht wird.

Das Dortmunder Modell wirkt nicht nur zukunftsorientierter, es funktioniert in der Gegenwart auch besser. Im Spiel aber zeigte sich zunächst, dass die neue Rolleneinteilung von Bayerns Präsident Uli Hoeneß in Favorit Dortmund und Außenseiter München wohl eine kleine List war. Denn trotz der seit anderthalb Monaten spielerisch dürftigen Leistungen des Meisters trat dieser durchaus mit der ihm eigenen Selbstgewissheit auf und machte zunächst das Spiel. Die Dortmunder dagegen warteten ab, um nach Ballgewinnen im Expresstempo zu kontern.

Oder anders: Der seit Wochen mit sich selbst kämpfende Tabellendritte aus München spielte im Favoritenmodus, der beeindruckend gestartete Tabellenführer hüllte sich ins Gewand des Außenseiters, teils bewusst, teils gezwungenermaßen.

Nach einer Viertelstunde ließ sich bilanzieren: Die Bayern hatten bis dahin ihre auffälligste Szene, als Lewandowski nach einer leichten Berührung von Julian Weigl vehement einen Foulelfmeter forderte (11.). Die Dortmunder dagegen ließen allein in der ersten Viertelstunde drei exzellente Konterchancen aus. Zunächst spielten sie ihren rasanten Gegenzug nach Mario Götzes Ballgewinn und der anschließenden Fünf-gegen-Zwei-Situation nicht gut aus (6.). Dann schloss Reus freistehend vor Manuel Neuer zu früh ab, weshalb der Nationaltorwart den etwas überhasteten Versuch aus 16 Metern sogar festhalten konnte (10.). Und schließlich schnappte sich der Münchner Kapitän auch Jacob Bruun Larsens Querpass im Strafraum, ehe dieser den erneut freistehenden Reus erreichen konnte (15.).

Alcacer entscheidet das Spiel

Für ersten Diskussionsstoff war schon vor dem Anpfiff gesorgt worden, und zwar in beiden Lagern. Nicht nur Favre hatte mit seiner Dortmunder Startelf etwas überrascht, in der Götze statt Alcacer und Weigl statt Thomas Delaney begannen. Zudem kam Ersatztorwart Marwin Hitz für den verletzten Roman Bürki zu seinem ersten Ligaspiel für den BVB. Ähnlich verblüffend geriet die Anfangsformation des Münchners Kovac, der erstmals gar nicht rotierte und erneut Boateng und Mats Hummels in der Innenverteidigung aufstellte. Niklas Süle beließ er dafür ebenso zunächst auf der Bank wie James Rodríguez, für den Leon Goretzka wie schon am Mittwoch beim 2:0 gegen AEK Athen im Mittelfeld begann.

Bayern hatte bis Mitte der ersten Hälfte keine Großchance, doch als sich die erste einstellte, schlug der vermeintliche Außenseiter mit der Eiseskälte eines Favoriten zu. Lewandowski köpfelte Serge Gnabrys Flanke erstaunlich unbehelligt ein. Der starke Ribéry hatte den Angriff eingeleitet.

Favre reagierte in der Pause und brachte für den mehrfach havarierenden und zudem verwarnten Weigl Mahmoud Dahoud. Eine Maßnahme, die zumindest indirekt rasch Ertrag einbrachte, als Jadon Sancho in die Schnittstelle auf Reus passte, der im Strafraum von Neuer zu Fall gebracht wurde und den folgenden Foulelfmeter sicher verwandelte. Manuel Neuer konnte das bedingt verstehen: "Ich ziehe komplett die Hände weg. Natürlich sucht er den Kontakt. Er tritt mir in den Bauch."

Und als die Dortmunder danach weiter forsch aber unpräzise angriffen, schlugen die Bayern zum zweiten Mal routiniert und clever zurück. Gnabry legte per Hacke auf Joshua Kimmich ab, dessen Chip Lewandowski zu seinem zweiten Kopfballtor des Tages verwertete. Gegen Athen hatten die Bayern noch zwei Standardtore für ihren Sieg benötigt, nun entwickelten sie eine lange vermisste Spielfreude.

Anders als in der ersten Halbzeit ließen sich die Dortmunder aber nicht entmutigen, übernahmen zunehmend die Spielkontrolle und erspielten sich Großchancen in schneller Folge. Zunächst rettete Kimmich auf der Linie gegen Reus (59.). Dann lief Sancho Hummels davon, ehe der eingewechselte Alcacer vergab (62.). Und schließlich zielte Reus nach Goretzkas Ballverlust gegen Achraf Hakimi vorbei (65.). Der vierte Versuch aber brachte das 2:2 durch Reus, der eine Flanke von Lukasz Piszczek volley ins Tor schoss. Es war mit Abstand der schwerste Schuss - aber der saß.

Die Münchner wankten, näherten sich dem Tor zwar auch mehrfach an, aber der BVB hatte nun den größeren Punch. Wie sechs Minuten nach dem Ausgleich, als Reus nach Franck Ribérys Ballverlust noch in der eigenen Hälfte mit der Hacke auf Axel Witsel weiterleitete. Dessen Zuspiel hob Alcacer zum 3:2 über Neuer ins Tor. Die Bayern ließen die Köpfe sinken.

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