BVB vor dem Supercup:Machtlos gegen die Schildkröten

BVB-Stürmer Erling Haaland beim Bundesliga-Spiel gegen den FC Augsburg

Gegen Augsburg nur 19 Mal am Ball: BVB-Stürmer Erling Haaland.

(Foto: AFP)

Der BVB zeigt sich vor dem Supercup gewohnt unbeständig. Immerhin gibt es jetzt ein General-Alibi: die junge Offensive.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Das Fazit des Wochenendes ließ sich in Dortmund in drei Worten zusammenfassen: Alles beim Alten. Im Supercup geht's gegen die Bayern, Sieger der Oberbürgermeister-Stichwahl war - wenig überraschend in der angeblichen Herzkammer der Sozialdemokratie - der Kandidat der SPD, und der BVB strauchelte wieder bei einem vermeintlichen Underdog. Manche Dinge ändern sich eben nie.

Dem Dortmunder Rathaus mag man bisweilen Ratlosigkeit unterstellen, warum es in der größten Stadt des Ruhrgebiets nicht etwas schneller aufwärts geht. Beim wichtigsten Markenzeichen der Stadt, dem BVB, dagegen klagen sie zwar auf hohem Niveau, aber die Ratlosigkeit nach der ersten Saisonpleite schon am zweiten Spieltag ist so groß wie eh und je. Kann sein, dass das Spiel gegen die Bayern da gerade zur rechten Zeit kommt, nach der Ernüchterung am vergangenen Wochenende in Augsburg. Kann aber auch sein, dass man in München ein derbe Abreibung bekommt, wie eigentlich meistens in den vergangenen Jahren, und vor allem unter der Regie von BVB-Coach Lucien Favre.

Und was dann?

Die Situation um Corona und seine Restriktionen entrückt den Fußball-Betrieb der Öffentlichkeit und den Fans. Fußball scheint gerade überall ein bisschen an Bedeutung zu verlieren, und so nimmt man auch in Dortmund die Ratlosigkeit nicht ganz so wahr, wie es wohl in anderen Zeiten wäre. Am Wochenende in Augsburg klagte Sportdirektor Michael Zorc mal wieder, man habe sich "einlullen" lassen, sei "zu verspielt" gewesen, habe körperlich nicht genug dagegen gehalten, angesichts der robusten Spielweise der Augsburger, die mit nur 20 Prozent Ballbesitz am Ende 2:0 gewannen. Man hat das so oder ähnlich in Dortmund schon häufiger konstatiert.

Kein Argument und keine Fußball-Weisheit, die in diesem Zusammenhang nicht schon bemüht wurde: letzte Saison, vorletzte Saison, mit Zuschauern, ohne Zuschauer. Das Beständigste am scheinbar besten Verfolger der enteilten Münchner Bayern bleibt die Unbeständigkeit.

Immerhin gibt es in Dortmund jetzt ein General-Alibi, das die ganze Saison durch gültig sein wird: "Mit zwei 17-Jährigen und zwei 20-Jährigen als Offensivbesetzung", argumentiert BVB-Chef Hans-Joachim Watzke, "wirst du immer wieder auch schwächere Spiele haben. Das ist unvermeidbar." Auch Lucien Favre hatte zur Erläuterung die üblichen Worte parat: "Wenn du so ein Spiel gewinnen willst, musst du mehr Geduld haben." Als ob Geduld sich mit Jugend vertragen würde.

Und so dreht sich die Anamnese der seltsamen Aussetzer des Hochbegabten-Camps von Borussia Dortmund weiter im Kreise. Vor dem Supercup-Finale, das sich mal wieder in über 200 Ländern live im Fernsehen verfolgen lässt und das sich als zusätzliche Geldquelle und Imagepflege im Ausland in diesen seltsamen Zeiten als besonders wohltuend erweist, scheint der Status Quo schon zu Saisonbeginn so festgemauert zu sein wie selten. Dabei hatte es am ersten Spieltag gegen Borussia Mönchengladbach (3:0) doch schon fast so ausgesehen, als sei die wirklich sehr junge Dortmunder Mannschaft gerade wegen ihrer ungestümen Art kaum zu stoppen.

Der Norweger Erling Haaland, 20, etwa, Dortmunds im doppelten Sinne größtes Wunderkind, hatte zu Jahresbeginn gegen dieselben Augsburger im selben Stadion als Einwechselspieler drei Tore zu einem furiosen 5:3-Sieg des BVB beigetragen. Diesmal spielte er von Anfang an, kam dabei nur 19-mal überhaupt an den Ball, so selten wie kein anderer Borusse.

Die Augsburger behalfen sich mit der Einkesselungstaktik aus den Asterix-Geschichten

Um ihn herum versanken seine ebenso blutjungen Kollegen Jadon Sancho, 20, Giovanni Reyna, 17, und Jude Bellingham, 17, mit zunehmender Dauer der Spielzeit ebenso im spielerischen Nichts. Von Augsburger Büffeln auf die Hörner genommen, zugegeben, aber auch von der Taktik von Favres Pendant Heiko Herrlich zermürbt.

Der frühere Dortmunder Stürmer Herrlich hatte die Schildkröten-Aufstellung aus den Asterix-Geschichten adaptiert: alles so dicht wie möglich beinander, Schilde nach außen, und vielleicht hilft der liebe Gott gegen Obelix und den Zaubertrank. Herrlich hatte den Dortmundern sogar noch die Außenbahnen kampflos überlassen. So viel Einkesselung war nie, jedenfalls nicht seit Asterix. Eine taktische Lösung fanden Dortmunds Gallier dagegen nie, sie verzagten bald.

Beim BVB müssen sie das jetzt mal wieder verdauen. Die extreme kollektive Begabung vieler einzelner Spieler ergibt zusammen offenbar weiterhin keine Mannschaft. Und keiner weiß so recht, wo genau man eigentlich anfangen soll, dieses Dilemma aufzulösen. Michael Zorc hatte die mangelnde Ballgeschwindigkeit als Quelle des Übels ausgemacht. Andere raunten die abgedroschenen Phrasen von mangelnden Führungskräften: Dabei besetzten in Mats Hummels, Axel Witsel und Emre Can drei wirkliche Routiniers die zentralen Positionen hinter der eigenen U 20-Offensive.

Lucien Favre ist in München zu wechseln gezwungen

Für ein Supercup-Finale ist es vermutlich nicht gerade ideal, wenn die beiden vermeintlichen Top-Teams drei, vier Tage vor diesem Gipfeltreffen überraschende Niederlagen einstecken mussten. Aber während man bei den Bayern die mangelnde Erholungszeit nach dem 120-minütigen europäischen Finale gegen den FC Sevilla leicht als Erklärung nehmen konnte, straucheln die Dortmunder regelmäßig gegen vermeintliche Underdogs.

Lucien Favre ist in München zu Wechseln gezwungen: Sancho fällt - ebenso wie der Schweizer Stammtorhüter Roman Bürki - wegen Atemwegsinfektes aus. Die am Montag vorgenommenen Coronatests bei beiden Spielern seien negativ gewesen, ließ der Klub wissen. Beide Spieler flogen allerdings nicht mit nach München.

Der Trainer wird nun überlegen, ob er in Julian Brandt, 24, oder Marco Reus, 31, oder auch in dem wieder gesunden Abwehrspieler Lukasz Piszczek, 35, mal wieder mehr erwachsene Spieler bringen will, oder als frischen Impuls zumindest Felix Passlack, 22, der beim 3:0 gegen Mönchengladbach so überraschend stark als eingewechselter Außenverteidiger auftrumpfte. Aber an der Unberechenbarkeit als Stilmittel des BVB dürfte das erst einmal nichts ändern.

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