Es könnte an dieser Stelle um die Bewertung eines unterhaltsamen Fußballspiels gehen. Man könnte analysieren, dass es sich bei dem spektakulären 3:2-Sieg des FC Bayern bei Borussia Dortmund um eine Art von Begegnung handelte, die Fußballer gerne "wild" nennen: viel Mut zur Offensive und nicht die allerbeste Absicherung in der Defensive, große individuelle Klasse und individuelle Fehler, alles jeweils auf beiden Seiten. Man müsste deshalb nicht in Jubelstürme ausbrechen, der deutsche Fußball habe nun auf allen relevanten Märkten der Welt für seine nachhaltige Eignung zum Spektakel geworben. Man könnte aber das Fazit ziehen, dass der deutsche Rekordmeister gerade überraschend schlagbar erscheint, wonach es vor ein paar Wochen noch nicht zwingend aussah.
Das war's noch nicht, so würde dann die passende Prognose dazu lauten: Vielleicht gibt es in dieser Saison ja doch mal wieder etwas, das kein Kind in Deutschland kennt, nämlich einen im Frühjahr noch zumindest halbwegs spannenden Kampf um die Meisterschaft, trotz nun vier Punkten Vorsprung für den Meister der vergangenen neun Spielzeiten. Doch wenn's das nun doch gewesen sein sollte, und der FC Bayern im nächsten Sommer auch zum zehnten Mal in Serie die Meisterschaft gewinnt, wird man sich vielleicht mehr als an das Spektakel an zwei Regelauslegungen erinnern, die zum Ergebnis am Samstagabend beitrugen.
Bayern-Sieg in Dortmund:Ein wildes Spiel voller Gift
Kreative Angriffsreihen, konfuse Defensiven und ein umstrittener Schiedsrichter: Das 3:2 des FC Bayern bietet reichlich Debattenstoff - besonders Mats Hummels wird den Abend nicht so schnell vergessen.
Schiedsrichter Felix Zwayer hat hinterher durchaus plausibel und wahrscheinlich regelgerecht erklärt, warum er keinen Elfmeter gab und sich die Szene, in der Dortmunds Marco Reus nach einem Stoß von Bayerns Lucas Hernández nach vorne fiel, nicht noch mal am Bildschirm am Seitenrand anschaute. Und er hat auch erklärt, warum er sich das Handspiel von Mats Hummels, das zum entscheidenden Tor durch Robert Lewandowski führte, noch mal ansah und dann auf Strafstoß entschied.
Fall eins: Zwayer nahm die Szene laut eigener Aussage klar wahr und wollte sie im Zuge seiner großzügigen Spielleitung nicht ahnden. Der Video-Assistent habe ihn auf nichts hingewiesen, das er nicht selbst gesehen hatte. Fall zwei: Er nahm nur das Handspiel, nicht aber dessen Strafbarkeit wahr, wollte also deshalb noch mal nachsehen - und erkannte in der Wiederholung eine unnatürliche Handbewegung.
Später gibt es polemische und kluge Einordnungen zu Zwayers Entscheidung
Über die Entscheidungen sprach danach jeder, der vor einem Mikrofon etwas zum Spiel sagen sollte. Es gab eher polemische Kommentare wie jenen des Dortmunders Jude Bellingham, der anmerkte, Zwayer habe ja schon mal ein Spiel verschoben - ein Verweis auf die Verwicklungen des Schiedsrichters in den Manipulationsskandal um Robert Hoyzer 2004. Es gab auch sachliche Einordnungen, von denen beispielhaft zwei zu nennen wären: Alex Feuerherdt, Sky-Experte für Schiedsrichter-Entscheidungen, sagte, dass es besser zu Zwayers Linie gepasst hätte, keinen Elfmeter zu pfeifen. Und Thomas Müller argumentierte, es gebe bei einem Handspiel ( durch diverse Präzisierungen einer immer noch schwer durchschaubaren Regel, Anm. d. Red) klarere Kriterien als bei einem milden Schubsen. Auch das stimmte.
Wenn es eine Handlungsempfehlung gibt, die aus dem Abend folgen könnte, wäre es wohl die, dass der Einsatz des Video-Assistenten auch Jahre nach seiner Einführung immer noch optimiert werden muss. Eine Möglichkeit: konsequent weniger eingreifen, um kleinlicher Entscheidungsfindung vorzubeugen. Eine andere, naheliegendere Möglichkeit: Dass sich der Schiedsrichter auf dem Feld eine strittige Strafraumszene, die potenziell einen Elfmeter bedeutet, immer noch mal anschaut. Frei nach dem kleinen Stürmer und großen Rhetoriker Ailton: "Musse guck!"
Aber, siehe oben: Vielleicht bleibt der FC Bayern ja noch ein paar Wochen schlagbar, vielleicht bleibt der für Dortmunds Konkurrenzfähigkeit unersetzliche Stürmer Erling Haaland gesund. Und womöglich ist die nachhaltigere Bedeutung des Spiels am Samstag dann ja doch eine sportliche.