Drei Stunden vor Spielbeginn war die Stimmung ausgelassen. Die Fans von Borussia Dortmund sangen sich in der U-Bahn warm: "Immer wenn Borussia spielt, steht die Kurve hinter dir, damit du nie alleine bist, Borussia BVB." Mehr als 5000 Anhänger in Schwarz-Gelb hatten ihren Verein nach Barcelona begleitet, für den BVB war es das erste Spiel im berühmten Camp Nou in einem europäischen Wettbewerb. Einzig beim Supercup 1998 war die Borussia beim 26-fachen spanischen Meister angetreten.
Es wurde also mal wieder Zeit für ein Rendezvous mit Barça. Und selbst nach der völlig verdienten 1:3-Niederlage werden viele Dortmunder zufrieden gewesen sein. Sie können ihren Kindern und Enkeln darüber berichten, Lionel Messi beim Fußballspielen zugesehen zu haben. Der Argentinier absolvierte sein 700. Spiel für den FC Barcelona, es ist immer noch beeindruckend, dem begabtesten Spieler des Planeten dabei zuzusehen, wenn er den Ball streichelt.
Messi bereitete zwei Tore vor und erzielte eines selbst. Wenn er mit dem Ball am Fuß das Tempo anzog, ging ein Raunen durch das mit 90 000 Besuchern gefüllte Stadion. Mats Hummels, Abwehrchef beim BVB und als Weltmeister von 2014 auch kein Leichtgewicht seiner Zunft, sah gegen Messi einige Male ziemlich alt aus. Seine Ehrfurcht bündelte er nach dem Abpfiff in einem einzigen Satz: "Das ist der beste Spieler, den ich je gesehen habe." Sein Trainer Lucien Favre formulierte es so: "Er war unglaublich, er bewegt sich sehr gut zwischen den Linien. Und wenn er den Ball hat und beschleunigt, ist es unmöglich, ihn zu stoppen. Das geht nur mit einem Foul."
"Als Barça ein paar Gänge runtergeschaltet hat, haben wir unsere Chancen kreiert"
Allerdings sagt die immer wieder hinreißende Messi-Show nur über einen Teil des Barcelona-Spiels etwas aus. Der andere Teil, das ist eine Mannschaft, die hinten durchaus verwundbar erscheint. Aber um Barças Schwächen in der Rückwärtsbewegung offenzulegen, hätte die Borussia ihre Offensivbemühungen mit viel mehr Leidenschaft und Überzeugung vortragen müssen, als sie dies über weite Strecken tat. Der BVB wirkt in diesen Tagen merkwürdig verzagt, die Rückschläge der vergangenen Wochen haben offensichtlich Spuren hinterlassen.
Erst als sie mit 0:3 in Rückstand geraten war und Barcelona den Fuß vom Gas nahm, begann die BVB-Elf, ansehnlich zu spielen. Torhüter Roman Bürki brachte es auf den Punkt: "Als Barça ein paar Gänge runtergeschaltet hat, haben wir unsere Chancen kreiert."
Es kriselt also weiter bei der Borussia, die schauen muss, wie sie sich im weiteren Saisonverlauf aufstellt. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hatte bei der Mitgliederversammlung am Sonntag erstmals offiziell eingeräumt, dass sein Verein bei der Zusammenstellung des aktuellen Kaders versäumt hatte, einen zweiten Mittelstürmer neben dem verletzungsanfälligen Paco Alcácer zu verpflichten. "Wir hätten einen zweiten Neuner verpflichten müssen", sagte Watzke und kündigte an, im Januar nachzubessern.
Bis dahin muss es das Personal richten, das zur Verfügung steht. Und das tut sich erkennbar schwer damit, das zweifellos vorhandene fußballerische Potenzial auf den Rasen zu bringen. Dabei wirkt der Trainer nicht immer souverän. Noch in der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Paderborn hatte Lucien Favre betont, er stelle sich immer vor seine Mannschaft. Doch nun zählte er öffentlich seinen Youngster Jadon Sancho an, dem zuletzt in der Öffentlichkeit vermeintliche Lustlosigkeit nachgesagt wurde. Auf die Frage, warum der Engländer nicht von Anfang an spielte, sagte Favre, er könne nur Spieler gebrauchen, "die auf dem Platz fokussiert und bereit sind". Kein Zweifel, der Ton bei Borussia Dortmund ist rauer geworden.
Als Sancho dann in der zweiten Halbzeit für den zum wiederholten Male schwachen Nationalspieler Nico Schulz ins Spiel kam, wurde er zum besten Spieler seiner Mannschaft. Sancho erzielte den Ehrentreffer und fiel mit einem schönen Schuss an die Latte auf.
Alles in allem war das viel zu wenig, um aus Barcelona etwas mitzunehmen. "Jetzt haben wir es nicht mehr in der eigenen Hand", sagte Mats Hummels. Tatsächlich reicht ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Slavia Prag nicht aus, um ins Achtelfinale einzuziehen. Der BVB muss auch hoffen, dass Inter Mailand nicht gegen den bereits als Gruppensieger feststehenden FC Barcelona gewinnt.
Ob Favre dann noch die Verantwortung für die Mannschaft hat, muss sich erst noch zeigen. Die samstägliche Begegnung bei Hertha BSC Berlin wird für den Schweizer zum Schicksalsspiel. Nicht anders ist das Ultimatum zu verstehen, das Watzke den Vereinsmitgliedern jüngst mitteilte. Favre ist also in der Hauptstadt zum Siegen verdammt, um seinen Job zu retten. Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspieler-Abteilung, formulierte den Ist-Zustand so: "Wir wissen, wie wichtig die Bundesliga für uns ist. Wir müssen in Berlin dringend zurück in die Erfolgsspur."