Doppelbestrafung beim Fußball:Falsch gepfiffen, richtig entschieden

Nach gängigem Gesetz hätte Schiedsrichter Robert Hartmann den Wolfsburger Torhüter Diego Benaglio nach dessen Foul vom Feld schicken müssen. Viele Schiedsrichter sind sich jedoch einig, dass diese Doppelbestrafung dem Sinn des Spiels widerspricht. Nun muss die Fifa eine Entscheidung treffen.

Boris Herrmann

Es wird wieder viel über Schiedsrichter geredet derzeit. Zum Los dieses Berufsstandes gehört wohl, dass es dabei meistens um kleinere oder größere Unzulänglichkeiten geht. Deshalb ist es auch einmal angebracht, zu sagen: Der Referee Robert Hartmann aus Wangen hat beim 3:2 von Hertha BSC in Wolfsburg ein vorzügliches Spiel abgeliefert. Das gilt vor allem dann, wenn man seiner Beurteilung eine Regel zugrunde legt, die es noch gar nicht gibt.

VfL Wolfsburg v Hertha BSC Berlin  - Bundesliga

Diego Benaglio wirft sich in den heraneilenden Pierre-Michel Lasogga: Schiedsrichter Robert Hartmann zeigt nur die gelbe Karte.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Als der Wolfsburger Torhüter Diego Benaglio den Berliner Pierre-Michel Lasogga im Eins-zu-eins-Duell von den Beinen holte, entschied Hartmann erstens auf Strafstoß (den Levan Kobiashvili sicher verwandelte), ließ es aber zweitens mit einer gelben Karte für den Schweizer Keeper bewenden.

Nach gängigem Gesetz hätte er Benaglio nach 35 Minuten natürlich in die Kabine schicken müssen, was Hartmann nach Studium der Fernsehbilder freimütig einräumte. Gegen diese Art der sogenannten Doppelbestrafung regt sich in der Fußballwelt aber schon seit geraumer Zeit Widerstand, der DFB hat beim Weltverband Fifa gerade zum wiederholten Male einen Änderungsantrag in dieser Sache eingereicht.

In Schiedsrichterkreisen ist man sich ohnehin einig, dass die Doppelbestrafung dem Sinn des Spiels widerspricht. Hartmanns Entscheidung gab mithin Anlass, über die fast schon philosophische Frage nachzudenken, ob der Verstoß gegen eine Vorschrift richtig sein kann, wenn die Vorschrift nach allgemeinem Dafürhalten falsch ist.

Vielleicht kann man sich darauf einigen: Hartmann hat die gegenwärtige Rechtslage so progressiv wie nur eben möglich ausgelegt. Er hat damit einem guten Fußballspiel die Möglichkeit gegeben, bis zur letzten Sekunde ein gutes Fußballspiel zu bleiben. Für die 30.000 Zuschauer in Wolfsburg war es ein Segen.

Gewiss will hier niemand dem fußballerischen Verfassungsbruch das Wort reden. Aber den heimlichen Wunsch, dass Hartmann Nachahmer findet, darf man ja wohl noch äußern. Wie unter anderem die Geschichte der deutschen Rechtschreibung zeigt, können menschliche Gewohnheiten schließlich auch einen Reformdruck erzeugen, der die Gesetzgeber zu Anpassung zwingt.

Die britische Altherrenrunde, die im Namen der Fifa über die Fußballregeln wacht, berät kommenden März über den deutschen Antrag. Noch vor der WM 2014 in Brasilien wird ein Beschluss erwartet. Ein Jammer, dass am Samstag keiner dieser betagten Gentlemen in der Wolfsburger Arena saß, sonst wäre die Entscheidung vielleicht schon gefallen.

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