Doppel:Komikerduo auf dem Broadway

Andreas Mies und Kevin Krawietz stehen im Halbfinale der US Open und erzählen, wie schön es sein kann, sich beständig in die größeren Stadien hochzuarbeiten.

Von Jürgen Schmieder, New York

Nach ungefähr zehn Minuten kann man während der Begegnung mit Andreas Mies und Kevin Krawietz nur noch an das legendäre Zauberduo Penn & Teller denken. Dessen Markenzeichen ist es, dass der eine (Penn) quasselt und der andere (Teller) ausschließlich nonverbal kommuniziert. Mies ist Penn, er sagt zum Beispiel über den French-Open-Sieg im Doppel: "Wenn mir das jemand prophezeit hätte, dann hätte ich erst einmal gefragt, wie viele Biere er getrunken hat." Krawietz gibt den Teller, er hebt die Augenbrauen und nickt. Mies sagt, während Krawietz die Augen weit aufreißt: "Das Arthur Ashe Stadium, das ist schon 'ne Riesenschüssel." Und dann, verblüffter Blick von Krawietz, als Mies prognostiziert: "Wenn wir hier gewinnen, dann nehmen wir die Freiheitsstatue nach Deutschland mit."

Die beiden haben durch das 7:6 (4), 6:4 gegen Leandro Mayer (Argentinien) und João Sousa (Portugal) das Halbfinale bei den US Open erreicht, es ist erfrischend, den Deutschen gegenüber zu sitzen, weil es bei diesem Turnier nur am Rande um einen sportlichen Wettkampf geht. Die Teilnehmer haben hier permanent irgendwas zu vermarkten: sich selbst, Klamotten, Getränke, Schmuck, die Antworten sind dementsprechend langweilig und inhaltsleer. Krawietz und Mies dagegen wollen nur plaudern, über ihre Wohnungen in Queens ("Meine Mutter macht dann morgens Frühstück für alle"), über die Positionierung von Fans und Familie im Louis Armstrong Stadium ("Ich balle die Faust, gucke raus und wundere mich: Wo sind die denn hin?") und natürlich auch über Tennis.

Vor eineinhalb Jahren haben sie es einfach mal miteinander probiert, im Februar dieses Jahres haben sie dann das Hallenturnier in New York gewonnen. "Wir haben nur am Flughafen angestoßen, weil wir direkt zum nächsten Turnier fliegen mussten", sagt Mies, während Krawietz verschmitzt lächelt: "Im Flugzeug saßen wir in der letzten Reihe, da ist es dann schon ein bisschen lauter geworden." Krawietz, ja wirklich, sagt nun auch etwas: "Der Nachbar hat schon schief geguckt, der wollte schlafen." Dann ist wieder Mies dran: "Wir haben dann eine Ansage bekommen, dass wir ein bisschen leiser sein sollen. In Florida haben wir dann gleich gegen die Bryan-Brüder verloren."

2019 US Open - Day 9

Wachsam am Netz: Andreas Mies (links) und Kevin Krawietz bei ihrem Viertelfinalsieg in New York.

(Foto: AFP)

Die Bryan-Brüder, das sind die amerikanischen Zwillinge Bob und Mike Bryan, mit 16 gemeinsamen Grand-Slam-Titeln, einem Olympiasieg und insgesamt 438 Wochen auf Platz eins der Weltrangliste das erfolgreichste Tennisduo der Geschichte. Sie haben Mies und Krawietz geholfen, als es nach dem Erfolg in Paris nicht so richtig gelaufen ist. Nach einer knappen Niederlage kürzlich in Cincinnati haben sie die Brüder in der Kabine getroffen: "Wir haben gefragt, wie sie das machen. Bob hat gelacht und gesagt, dass sie auch schon schwierige Zeiten hatten. Seine Empfehlung war ganz einfach: "Keep flipping the coin." Auf gut Deutsch: weitermachen, irgendwann wird die Münze schon wieder auf der richtigen Seite landen. "Keine Frage: Wir hätten gerne mehr Matches gewonnen, wir haben manchmal vielleicht auch die falschen Entscheidungen getroffen", sagt Mies: "Schlimmer wäre jedoch gewesen, wenn wir schlecht gespielt hätten. So war es oftmals unglücklich, und wir haben gesagt: einfach weiter, das wird schon."

Mies und Krawitz haben trotz der Niederlagen im Sommer einfach weitergemacht, und bei den US Open, da landete die Münze wieder auf der richtigen Seite, sie haben die knappen Matches jeweils für sich entschieden.

Wer wissen will, wie die beiden ihre Partien bei den US Open gestalten, dem sei der Tie-Break im ersten Satz des Viertelfinals ans Herz gelegt: Der Mann am Netz bewegt sich jeweils so flink wie ein Männchen beim Tischfußball und übt großen Druck auf die Gegner aus, der andere sichert gewissenhaft und manchmal auch intuitiv ab. Sie haben ein erstaunliches Gespür für die im Doppel so bedeutsamen Winkel, sie reagieren bei Netzduellen überaus schnell, vor allem aber scheinen sie sich mittlerweile blind zu verstehen - so wie später auch beim Treffen mit Reportern.

Irgendwann nämlich, da wird Krawietz zu Penn, er beginnt zu erzählen, während Mies das Gesagte mit Gesichtsausdrücken kommentiert. "Die wirklich coole Sache ist doch: Wenn man nicht Federer oder Nadal heißt, dann beginnt man draußen auf den Nebenplätzen. Unsere erste Partie fand zum Beispiel auf Court 14 statt, dann durften wir zwei Mal rüber in die Court-17- Schüssel, das Viertelfinale fand dann im Louis Armstrong Stadium statt", sagt er: "Man belohnt sich selbst durch Siege, weil man dann in immer schöneren und größeren Stadien spielen darf."

„Meine Mama macht dann morgens für alle das Frühstück.“

Andreas Mies, Doppelspezialist, zu den Vorzügen eines Appartements während der US Open

Mit ihren Erfolgen dürften sie sich für das Jahresfinale in London qualifizieren, mit Antrittsgeld von 100 000 Dollar und eine möglichen Siegprämie von 517 000 Dollar. In New York geht es derzeit um ein Preisgeld von 740 000 Dollar für das siegreiche Doppel, und dann gibt es da noch ein anderes Ziel: Durch ihre Leistungen stehen sie auf dem Zettel von Michael Kohlmann für den Davis Cup im November in Spanien, die beiden sagen, dass sie ihr Handy auf jeden Fall für den möglichen Anruf des Bundestrainers eingeschaltet haben.

Das Halbfinale gegen Marcel Granollers (Spanien) und Horacio Zeballos (Argentinien) am Donnerstag dürfte wieder im Louis Armstrong Stadium ausgetragen werden. Mies sagt: "Ich habe mich heute ein paar Mal dabei ertappt, wie ich mich umgesehen und gedacht habe: Wo sind wir eigentlich hier?" Er wolle es nun auch in die größte Tennisarena der Welt schaffen: "Ich bin schon mal reingegangen, das ist schon gigantisch, wie das steil nach oben geht. Das wäre natürlich ein Traum, wenn wir da auch mal spielen dürften." Das Doppel-Finale findet am Freitagnachmittag im Artur Ashe Stadium statt, vor den Halbfinals im Männer-Einzel. "Wir arbeiten dran, dass wir da hinkommen", sagt Andreas Mies. Kevin Krawietz nickt begeistert.

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