Süddeutsche Zeitung

Doppel:Das Glück in der Nische

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Sein größter Erfolg: Kevin Krawietz erreicht mit Andreas Mies das Halbfinale.

Von Gerald Kleffmann

Es war schon leer im Spielercafé unterhalb des mächtigen Court Philippe Chatrier, dem Hauptstadion der French Open, als Kevin Krawietz im Gang stand und telefonierte. Der Himmel zeigte allerlei Schattierungen an diesem späten Dienstagnachmittag, es sind ohnehin wettermäßig wechselhafte Tage gerade in Paris (am Mittwoch hat es nur geschüttet). Für einen wie den 27-jährigen Coburger bedeutet dies, dass er sich ständig auf neue Bedingungen einstellen muss. Es war schon heiß, windig, feucht, kühl, aber dass Krawietz diese Erfahrungen machen darf, ist ein gutes Zeichen. Er ist ja immer noch im Wettbewerb. Krawietz tritt mit dem Kölner Andreas Mies, 28, im Doppel an, und nach Siegen gegen die Franzosen Manuel Guinard/Arthur Rinderknech (7:5, 6:4), Jürgen Melzer (Österreich)/Nicolas Mahut (Frankreich/6:4, 6:4), Oliver Marach (Österreich)/Mate Pavic (Koratien/5:7, 6:3, 7:5) und die Serben Dusan Lajovic/Janko Tipsarevic (6:1, 6:7, 7:6) stehen die beiden im Halbfinale.

Als Krawietz das Gespräch beendet hat, sagt er: "Klar habe ich kurz Zeit." Er strahlt.

Wie ihre Leistung bereits vor dem Match am Donnerstag um den Finaleinzug gegen die Argentinier Guido Pella und Diego Schwartzman einzuordnen ist, weiß er sofort: "Das ist absolut der größte Erfolg meiner Karriere. Das fühlt sich im Moment noch nicht so real an, muss ich sagen." Mies und er hätten "mehr von Match zu Match gedacht, wie man halt so denkt, wenn man ins Turnier geht". Er schaut ungläubig, während er nachdenkt, um zu beschreiben, wie er sich fühlt. "Megageil, Glücksgefühle, wir sind happy", sagt er. Bei der Formulierung Halbfinalist, "da kriege ich Gänsehaut. Es ist immer erst mal der absolute Traum gewesen, Grand Slams zu spielen. Und dann so weit wie möglich zu kommen. Dass es jetzt ein Halbfinale ist, kann uns keiner mehr nehmen".

Die Geschichte von Krawietz, der für den TC Großhesselohe in der Bundesliga spielt, ist insofern ungewöhnlich, weil er einer war, dem eine gute Karriere im Einzel zugetraut worden war. Krawietz war stets einer der besten jungen Spieler in seinem Jahrgang. Aber wie das so ist, wenn für Talente der Übertritt zum harten Männertennis ansteht, gestalten sich manche Prozesse schwieriger. Auf der Challenger-Ebene, auf der Krawietz einstieg, tummeln sich hungrige Konkurrenten aus aller Welt, die auf den Durchbruch nach oben, auf die ATP Tour, hoffen. Und so stockte seine Entwicklung.

2018 startete das Duo erstmals in Wimbledon. Es spielte sich aus der Qualifikation ins Achtelfinale

Früh hatte sich aber auch angedeutet, dass Krawietz im Doppel ein feines Händchen besitzt. 2009, mit 17 Jahren, holte er bei den Junioren mit Pierre-Hugues Herbert den Wimbledon-Titel. Der Franzose hat inzwischen mit Mahut, den Krawietz mit Mies in Paris ja auch besiegt hatte, alle vier Grand-Slam-Turniere gewonnen. Das Kuriose: Herbert schwenkt nun verstärkt aufs Einzel um, dort steht er bereits unter den besten 50. Bei Krawietz ist es im Grunde andersrum. Er kehrt zum Doppel zurück. So verschieden verlaufen manchmal Wege, die ähnlich gut begonnen hatten.

"Ich habe im letzten Jahr noch mal im Einzel alles probiert und alles gegeben", erzählt er. "Ich war dann auf Rang 210 gestanden Anfang des Jahres." Das ist respektabel, aber zum Überleben auf der Tour auf Dauer zu niedrig. Krawietz schwenkte seinen Fokus um. "Doppel ist mir von Anfang an leichter gefallen. Es hat mir einfach wohl einen Tick mehr gelegen. Im Doppel ist vieles auch taktisch." Wobei er betont, dass ein Faktor ihnen immer wieder hilft: "Spaß ist da so ein bisschen ein Geheimrezept bei uns, der Spaß darf nicht fehlen." Sie wollen ihren Sport "einfach genießen".

Doppelkombinationen bilden sich oft nach den Try-and-Error-Prinzip, man versucht's halt miteinander, so war das auch bei den beiden. "Wir haben vor eineinhalb Jahren angefangen und gesagt, probieren wir es mal. Es hat gleich ganz gut geklappt auf Challenger-Level." Sie gewannen ein Turnier auf Anhieb, erreichten ein Halbfinale, gewannen wieder eines. Und weil die "Connection irgendwie gut" war, wie es Krawietz beschreibt, auch "on court, off court", sei man zusammengeblieben. Spielerisch, so sehen sie das, ergänzen sie einander. Boris Becker, Head of Men's Tennis beim Deutschen Tennis Bund, sieht das offenbar genauso: Er kündigte bei den French Open ohne konkrete Angaben an, das aufstrebende Doppel zum Davis Cup einzuladen, wenn sie gut weiterspielten.

Mies, der für Rot-Weiss Köln in der Bundesliga antritt und in den USA College-Tennis gespielt hat, hat gute Reflexe am Netz. Krawietz - 1,91 Meter groß - schlägt gut auf. Und "beide Returns sind sehr gut", findet Krawietz. So fanden sie, wenn auch spät, ihr Glück in der Nische. 2018 hatten sie erstmals in Wimbledon für die Qualifikation gemeldet. Sie erreichten die Hauptrunde und kamen ins Achtelfinale.

Gegen Schwartzman und Pella, Nummer 20 und 23 im Einzel, wird die Aufgabe wenig überraschend schwer. "Halbfinale bei einem Grand Slam ist ein super Erfolg, aber wir wollen natürlich auch mehr", sagt Krawietz. "Wir werden da wieder fokussiert rangehen ans Match, die Taktik durchstudieren und unser Ding machen." Ein Wunsch hat sich im Übrigen schon vorab erfüllt. Krawietz und Mies dürfen in einem der beiden großen Stadien spielen - ihr Match ist als drittes angesetzt auf Court Suzanne Lenglen.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2019
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