Süddeutsche Zeitung

Dopingvorwürfe gegen Lance Armstrong:20 Minuten, um den Schwindel zu vertuschen

Der entlarvendste Dopingfall des Radsports nimmt kein Ende: Nach der lebenslangen Sperre für Lance Armstrong werden immer pikantere Details des Betrugs bekannt. Warnten der Weltverband UCI und die Politik den siebenmaligen Toursieger gar vor Razzien und Kontrollen?

Andreas Burkert

Lance Armstrong ist seit Januar 2011 nicht mehr Radprofi, schon nach seinem ersten Rücktritt im Juli 2005 fuhr er bis zum Comeback 2009 keine Rennen. Doch der Texaner bestimmte trotzdem die Schlagzeilen, die Dopingvorwürfe gegen den damaligen Rekordsieger der Tour de France überlagerten das Geschehen. So ist es auch am Freitag gewesen, als der Weißenburger Sprinter John Degenkolb, 23, seinen dritten Vuelta-Tagessieg feierte.

Im Fokus stand nur Armstrong, weil ihn die US-Anti-Doping-Agentur (Usada) lebenslang gesperrt hat, da der in die Enge getriebene 40-Jährige den Kampf verloren gab und auf ein Schiedsgerichtsverfahren verzichtete. Doch auch nach diesem Urteil bleibt Armstrong das große Thema - denn die Enthüllungen dürften kein Ende nehmen.

Noch bevor die Usada ihre Beweise gegen Armstrong offenlegen wird - das wird wohl nicht vor ihren Verfahren gegen Armstrongs Teamchef Johan Bruyneel, Teamarzt Pedro Celaya und Trainer Pepe Marti erfolgen -, dringen weitere Details zum groß angelegten Schwindel um das System Armstrong an die Öffentlichkeit.

Dass der Amerikaner im Wettbewerb nicht positiv getestet wurde (mit Ausnahme eines Vorfalls 1999: keine Sanktion wegen Rezept-Nachreichung), erklärte nun Dopingfahnder Michel Rieu mit Warnhinweisen, die Armstrong vor Kontrollen erhalten haben müsse: "Er wurde stets vorher informiert, also hatte er 20 Minuten, um seine Spuren zu beseitigen. Wir waren machtlos", sagte der wissenschaftliche Berater der französischen Anti-Doping-Agentur Le Monde.

Mehrfach habe man Armstrong bei unangemeldeten Tour-Tests nicht umgehend kontrollieren können, 2009 sei er erst mal 20 Minuten duschen gegangen. "Die Unterstützung für ihn reichte bis in den Weltverband UCI und in das IOC hinein" vermutet Rieu. Den längst bestehenden Eindruck, der Weltverband oder gar die Politik hätten Armstrong während seiner Karriere protegiert, verstärkte auch der französische Anwalt Thibault de Montbrial, der bereits in Rechtsstreits mit Armstrong involviert war.

Er berichtete im Journal du Dimanche von einer geplanten Polizeirazzia im Teamhotel von Armstrong bei der Tour 2005 - wo die Ermittler jedoch im letzten Moment "rotes Licht" erhalten hätten: "Offensichtlich wurde Lance Armstrong in Frankreich beschützt."

Unterdessen setzt sich die Debatte fort über die Kandidaten, denen demnächst Armstrongs Tourtitel zugesprochen werden könnten. Die Usada hat seine Ergebnisse ab August 1998 gestrichen, darunter die Tour-Erfolge von 1999 bis 2005. Der Agentur liegen zahlreiche Aussagen von Kronzeugen sowie verdächtige Dopingproben von 2009 vor, deshalb sanktionierte sie Armstrong wegen Dopings ab 1996 sowie des Besitzes und Handels unerlaubter Substanzen.

Offiziell aberkennen kann nur die UCI die Erfolge, sie ist laut Wada-Code dazu verpflichtet. Der umstrittene Weltverband hatte jedoch zuletzt das Usada-Verfahren als unfair bezeichnet. Sollte die UCI nicht die Usada-Sanktionen umsetzen, würden allerdings die US-Agentur sowie die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) beim Sportgerichtshof Cas klagen. Ein erneutes Aufrollen der Sache in Lausanne gilt als unwahrscheinlich: Die Erfolgsaussichten gegen den Usada-Spruch sind gering, zudem drohten nicht nur der Armstrong-nahen UCI weitere Enthüllungen.

Würden die sieben Tour-Titel auch von der UCI gestrichen, fielen sie theoretisch verurteilten bzw. staatsanwaltlich verfolgten Fahrern wie Jan Ullrich (Zweiter 2000, 2001, 2003), Andreas Klöden (2004) oder Ivan Basso (2005) zu. Zumindest Ullrich hat nun aber abgewunken, der 38-Jährige sagte: "So viele Jahre später nach einer Entscheidung am Grünen Tisch noch den Titel zugesprochen zu bekommen - da bin ich nicht der Typ für."

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SZ vom 27.08.2012/jbe/rus
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