Dopingverdacht bei Olympia:Geht doch eh nur um einen Curler, oder?

Pyeongchang 2018 - Curling

Der mögliche Dopingfall des russischen Curlers Kruschelnizki bei den Winterspielen in Pyeongchang sorgt für Aufsehen.

(Foto: dpa)

Selbst nach dem mutmaßlichen Dopingfall eines russischen Athleten könnte bei der Olympia-Schlussfeier Russlands Fahne wehen. Das wäre endgültig grotesk.

Kommentar von Thomas Kistner

Das ist jetzt schon ärgerlich für die Funktionäre im Internationalen Olympischen Komitee. Sehr ärgerlich. Dabei hat bisher alles so gut gepasst.

Der Ringe-Konzern hat seine Winterspiele politisch so geschickt aufgeladen, dass in Teilen der Welt glatt der Eindruck entstand, die globale Kommerzsause sorge für eine Weichenstellung in Richtung Weltfrieden. Weil ja in Pyeongchang ein vereinigtes koreanisches Team gemeinsam einmarschiert ist, weil die Schwester des nordkoreanischen Diktators Kim (zuhause ist sie für das atomare Drohpotenzial zuständig) als Eröffnungsgast einen Glamourfaktor versprühte, der die Yellow-Press dahinschmelzen ließ, weil Frauen aus dem Norden und dem Süden gemeinsam Eishockey spielen. Und jetzt das: Die Maske verrutscht, Olympias wahres Gesicht tritt wieder zutage. Sichtbar wird ein Schreckgespenst, welches das IOC Anfang Dezember doch per exorzistischer Übung auszutreiben versucht hatte: Russen-Doping.

Die Sotschi-Winterspiele 2014 waren die größte Lügenstory der modernen Sporthistorie

Nein, ein mutmaßlicher Sündenfall wie der des russischen Curlers Alexander Kruschelnizki passt nicht ins Konzept. Dafür ist schon die positive A-Probe eine zu viel. Dieser Fall gefährdet massiv die Inszenierung, mit der das IOC bisher ein hartes Vorgehen gegen das Staats- Doping der Kreml-Sportler simulierte. Zwar spricht selbst der oberste Sportgerichtshof Cas in seinen Urteilen vom staatlich gesponserten Dopingschema. Doch die Russen haben das bisher weder zugegeben noch haben sie sich dafür entschuldigt, dass sie die Sotschi-Winterspiele 2014 in die größte Lügenstory der modernen Sporthistorie verwandelt haben.

Andererseits: Warum sollten sie Reue zeigen? Das IOC unter Thomas Bach hält ja in Treue fest die schützende Hand über sie - so sehr, dass sie schon in Pyeongchang wieder als russisches Team antreten sollen, ganz am Ende der Spiele. Den Dreh hatte das IOC in seinen Maßnahmenkatalog vom 5. Dezember eingewoben, und naiv ist, wer glaubt, dass die Kann- Bestimmung - Russlands Athleten können bei Wohlverhalten zur Schlussfeier wieder in vollem Staats-Ornat ins Stadion einmarschieren - nicht dem Kreml hinter den Kulissen fest zugesagt worden ist.

Dazu passt auch die Kabarettnummer um die "Olympischen Athleten von Russland", die gerade mit 168 Leuten am Start sind. Vor der Schlussfeier wird eine dreiköpfige Kommission der IOC-Exekutive empfehlen, ob der Bann gegen Russlands Olympiakomitee ROC aufgehoben werden soll. Dass diese Empfehlung erfolgen wird, stand für objektive Betrachter bisher außer Frage.

Gern sei der Ordnung halber angefügt, dass dieses Komitee als weisungsunabhängig gilt; die Praxis zeigt aber, dass offiziell "unabhängige" IOC-Komitees gern als willfährige Vollstreckungsorgane agieren. Was übrigens nichts damit zu tun haben muss, dass Bach - wie jüngst angesichts der ihm nicht genehmen Cas-Urteile zur Russland-Causa - sehr ungehalten auf Widerstände reagieren und sogar in Drohgebärden verfallen kann. Nein, offenbar ist es so, dass das IOC schlicht das allerbeste Gespür für jede sportpolitische Krisenfrage hat, weshalb nur logisch ist, dass seine "unabhängigen" Experten stets maßgeschneiderte Vorschläge liefern.

Auf den letzten Kotau kommt es auch nicht mehr an

Russlands Schlussfeier-Uniformen liegen schon bereit, hat der Teamchef am Sonntag erklärt. Dann flog der nächste Dopingfall auf. Damit hat niemand gerechnet, weshalb das fein eingefädelte Rehabilitationsprogramm nun zerbrechen müsste. Das IOC war zwar listig genug, die Kriterien für Russlands Heimführung in die Ringe-Familie konsequent schwammig zu fassen, trotzdem ließ sich nicht vermeiden, das Wörtchen Doping irgendwie zu erwähnen. Die Russen, lautet eine Bedingung, müssen sich voll den Anti-Doping-Regeln unterwerfen. Schon deshalb müsste nun endgültig der Daumen gesenkt und der Sportwelt die Groteske erspart werden, dass Russlands Team die Spiele als voll rehabilitierte Saubermann-Truppe beendet.

Aber so tickt das IOC nicht. Und nach all den pro-russischen Verrenkungen, die es seit Beginn der Staatsaffäre vollführt hat, käme es auf einen letzten Kotau vor Moskau gar nicht mehr an. Geht doch eh nur um einen Curler, oder?

Kleine konstruktive Anregung, im Sinne der Bewegung: Das IOC paukt Russlands Athleten, egal ob noch weitere Sünden hinzukommen, zur Schlussfeier einfach mit dem Argument frei, dass es sich diesmal um eine besondere Stadionrunde handle: für den Weltfrieden! Und wenn die Welt dank Olympia sowieso eine bessere wird, ist es dann nicht knickrig, die Athleten nicht als stolze Botschafter ihrer Nationen zu behandeln? Eben. Botschafter aber genießen, richtig: Immunität.

Sollte es am Ende übrigens mit dem Friedensnobelpreis für das IOC auch diesmal nicht hinhauen - für den Karnevalsorden Wider den tierischen Ernst reicht es mit der Nummer allemal.

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